#Sachbuch

Dichtarbeit. Schreibprozesse

Max Aufischer, Ulrich Schlotmann (Hg.)

// Rezension von Claudia Dürr

Mit Beiträgen von Lucas Cejpek, Günter Eichberger, Olga Flor, Gertrude Grossegger, Bodo Hell/Zsuzsanna Gahse, Max Höfler, Markus Jaroschka, Sebastian Kiefer, Alfred Kolleritsch, Grzegorz Kwiatkowksi, Rosa Pock, Birgit Pölzl, Angelika Reitzer, Evelyn Schalk, Ulrich Schlotmann, Stefan Schmitzer, Andrea Stift-Laube, Friederike Schwab und Christoph Szalay. Vorwort von Max Aufischer, Kulturvermittlung Graz.

„Immer lässt sich das Entscheidende nicht sagen“, stellt Günter Eichberger in seinem Beitrag des Sammelbands Dichtarbeit. Schreibprozesse fest und benennt damit eine zentrale Herausforderung jeglicher Annäherung an kreative Prozesse. Nicht nur aus der Außenperspektive, auch aus Sicht der Schreibenden sind sie nicht bis ins letzte Detail erfassbar, und zwar ohne genieästhetische Mythen bemühen zu müssen: Introspektion hat erkenntnistheoretische Grenzen. „Das Werk wuchs, ich konnte ihm dabei zusehen“, so Eichberger weiter: „Hatte aber die schwierige Aufgabe, mich beim Zusehen zu überwachen“ (S. 20). Nicht jeder Aspekt des schriftstellerischen Könnens lässt sich, nicht jeden wollen Schreibende kommunizieren: „keine Geheimnisse verraten!“, sagt sich Angelika Reitzer manchmal und überlegt, ob diese Zurückhaltung nicht auch damit zu tun hat, dass sie „gar nicht so viel weiß über diesen Prozess? Was kann überhaupt nachvollziehbar und/oder sichtbar gemacht werden?“ (S. 75)

Dieser Frage begegnen in der von Max Aufischer und Ulrich Schlotmann herausgegebenen Publikation 20 AutorInnen in Text und Bild. Den meist essayistischen Auskünften über die eigene Arbeit sind Fotos beigegeben, die illustrieren, verstärken, irritieren, für sich sprechen: Zeigen lassen sich bekanntlich Arbeitsplätze, Schreibgeräte, hier überwiegend Laptops und als ungewöhnliche Form des Gedankenspeichers ein altes, seiner ursprünglichen Funktion beraubtes Mobiltelefon (Grzegorz Kwiatkowksi). In Abbildungen von Notizen, Manuskripten und Typoskripten, von Zeichnungen, Schreibmaschinenschriftarten (Stefan Schmitzer) und Screenshots (Christoph Szalay) werden Materialität und Körperlichkeit des Prozesses erfahrbar und verschiedene Phasen der Textentstehung plastisch.

In fast allen Beiträgen ist mehr als ein Schreibmedium zu sehen, einige Autoren thematisieren den Wechsel von einem zum anderen im Laufe der Arbeit explizit als relevante, weil die Wirkung des noch beweglichen Textes verändernde Entscheidung – von der handschriftlichen Notiz über die Bildschirmansicht zum Ausdruck auf Papier bewegt sich der Text laut gelesen durch den Körper; die Reihenfolge ist alles andere als linear, nicht nur am Ende heißt es „Überarbeiten“ (S. 15). Aufgrund der alphabetischen Anordnung am Anfang des Bandes präsentiert Lukas Cejpek unter diesem mehrdeutigen Titel die bearbeitete Typoskriptseite seines Textes, der sein Zustandekommen zum Inhalt hat. Schreiben und Über-das-Schreiben-Schreiben sind im schriftstellerischen Selbstverständnis eng verlinkt. Die unmittelbare Arbeit am Text macht jedoch nur einen Teil des Schaffens aus: „Schreiben ist manchmal / auf das Schreiben zu warten“ (S. 54), steht als einzelner Satz neben einem der wenigen Fotos, auf dem ein Autor, Alfred Kolleritsch, sich selbst ablichten ließ. Dass mit dem vermeintlich spontanen Glück des Einfalls nur jene belohnt werden, die das Zu-Fallen von Ideen, Wahrnehmungen und Einsichten durch entsprechende Arbeit und Aufmerksamkeit vorbereiten, wird an vielen Stellen dieser dichten Publikation deutlich, und der Leser mag im Geiste die Galerie der Schreibtische als Orte der Entstehung von Literatur ergänzen um Betten, Küchen, Cafés, Wälder, Supermärkte oder „jeden anderen ort der welt“ (Evelyn Schalk, S. 81). Schreibräume werden in jedem Fall auch (gesellschafts-)politisch definiert, Schreiben bedarf eines „room of ones own“ (S. 83).

Einblicke in die schriftstellerische Tätigkeit zu geben, bedeutet stets, diese in unterschiedlichem Maß formalästhetisch wie inhaltlich zu inszenieren, dementsprechend reicht die Bandbreite vom Eindruck möglichst authentischer Dokumentation bis zur Persiflage von Konventionen. Die Darstellung des Schreibens kann nie losgelöst von Vorstellungen von literarischem Schaffen und Kreativität, vom jeweiligen Literaturbegriff und spezifischen Berufsbild geschehen. „Wir unterscheiden uns ja gut“ (S. 34), meint Zsuzsanna Gahse über ihre und Bodo Hells Arbeiten; diese bereichern die Publikation, in der Dialoge mit der eigenen inneren Stimme und fremden literarischen / musikalischen mehrfach, reale Gesprächspartner aber kaum vorkommen, um die Schilderung eines gemeinsamen Entstehungs-, wenngleich je einsamen Schreibprozesses. Ihre Aussage charakterisiert ebenso wie Hells Bemerkung, sie „korrespondieren nicht unschön“ (S. 35) nicht nur ihre „Parallelprosa“, sondern die gesamte Anthologie: Die Beiträge erhellen je individuelle poetologische Hintergründe und Arbeitsweisen und sind als einzelne Handreichungen zum jeweiligen Werk aufschlussreich wie für sich gelesen poetisch, kritisch, klug. Darüber hinaus ergeben sich Verbindungen zwischen den Beiträgen, nicht zuletzt, weil sie, entsprechend der Maxime Birgit Pölzls, die den Prozess der Entstehung bis zum Rezipienten zieht, „Raum lassen (andeuten, einfalten, Leerstellen aufmachen)“ (S. 69). Spürbar wird das Changieren der Dichtarbeit zwischen einem kontextsensitiven Wissen der AutorInnen um das, was sie tun, dem mit Worten Ausdruck verliehen werden kann und der überraschten Freude über Augenblicke, in denen etwas geschieht – „das Unvorhersehbare“ (Olga Flor, S. 29), „dieser Kurzschluss von Synapsen“ (Angelika Reitzer, S. 77) –, das nicht restlos erklärt werden kann und auch nicht kognitiv erschlossen werden muss, ohne es metaphysisch zu überhöhen, aber dessen Wirkung für die weitere Dichtarbeit von Bedeutung ist.

In denkbar Unvertrautes führe laut Sebastian Kiefer auch die Arbeit Schlotmanns. Dessen grafisch attraktive Manuskriptseiten, sich ausdehnende Satzgebilde mit farbigen Überarbeitungen und deren Transkription, rahmen in der Anordnung des Buchs die Beiträge der von Schlotmann während seines Grazer Stadtschreiber-Stipendiums eingeladenen KollegInnen. Kiefers den aussagekräftigen Faksimiles zur Seite gestellter Essay repräsentiert als einziger die literaturwissenschaftliche Außensicht. Kiefer erkennt in Schlotmanns Ausgangsmaterial den „Ton eines formellen Kriminalfallberichtes“ und wird selbst zum Hypothesen aufstellenden Detektiv („muss gewesen sein, dass“, S. 116), der rückblickend die Genese einer vorläufigen Endfassung interpretiert und im nur scheinbar Assoziativen rationales Kalkül entdeckt.

Öffnen Autoren der unmittelbaren Gegenwart ihre Werkstätten und Denkräume, erzeugt dies einen Reiz, den retrospektive historische Studien, selbst wenn sie ein Bewusstsein für die vielfach verschlungenen Bewegungen einer Textentstehung aufweisen, nicht haben: Bei noch im Werden befindlichen Werken wissen weder Schreibende noch Lesende, ob und wie das Vorhaben gelingt. Wie wird eine Notiz oder ein reales Gespräch schlussendlich in den Text integriert? Kann eine Recherche fruchtbar gemacht werden? Wie verändern sich skizzierte Figuren? Was bleibt, was wird gestrichen? Wir wissen es nicht. Denn, so der Tenor der hier versammelten Beiträge, wenn trotz Professionalisierung der Arbeitsprozesse und notwendigem Vertrauen in das eigene Schaffen etwas in der Literatur nicht anzustreben ist, dann ist es das zu komfortable Verlassen auf Bewährtes, auf das, was man sicher weiß und kann.

Max Aufischer, Ulrich Schlotmann (Hg.) Dichtarbeit. Schreibprozesse
Sachbuch.
Klagenfurt, Graz: Ritter, 2016.
164 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-85415-550-8.

Rezension vom 09.01.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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