#Roman
#Prosa

Désirée

Annemarie Selinko

// Rezension von Eva Magin-Pelich

Annemarie Selinko. Dieser Name dürfte den jüngeren Lesern kein Begriff mehr sein, ist die Autorin doch den probeweise zur Hand genommenen Lexika wie dem Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen von 1800-1945 auch keinen Eintrag wert. Selinko kam am 1. September 1914 in Wien zur Welt und starb 1986 im Alter von knapp 72 Jahren in Dänemark, wo sie seit ihrer Heirat mit einem Dänen im Jahr 1938 gelebt hatte. Einer dpa-Meldung anlässlich ihres Todes zufolge war die Schriftstellerin während der Zeit der Besetzung Dänemarks in Zweiten Weltkrieg in der Untergrundbewegung tätig. Selinko hatte Sprache und Geschichte studiert und im Anschluss daran als politische Journalistin gearbeitet. Mit dem nun neu aufgelegten Roman Désirée gelang der Österreicherin ein Weltbestseller, der nach dem Erscheinen 1951 in mehr als 25 Sprachen übersetzt wurde. Allein die deutsche Ausgabe hatte eine Auflage von 4,5 Millionen, und auch die Verfilmung mit Marlon Brando und Jean Simmons in den Hauptrollen war erfolgreich.

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch, bei dem auch schon die Erstveröffentlichung erschien, hat den Roman als Taschenbuchausgabe nach 14 Jahren wieder neu aufgelegt. Désirée ist das fiktive Tagebuch der gleichnamigen französischen Seidenhändlerstochter aus Marseille. Im Alter von 14 Jahren lernt sie den Soldaten Napoleone Buonaparte kennen, den korsischen Flüchtling, der sich einige Jahre später Napoleon Bonaparte nennen und Europa seinen Stempel aufdrücken wird. Désirée ist bald die Verlobte des Korsen, wird jedoch von ihm zugunsten Josephine Beauharnais‘ verlassen und heiratet schließlich den General Jean-Baptiste Bernadotte. Jahre später wird sie als Königin nach Schweden gehen, denn ihr Jean-Baptiste ist vom kinderlosen schwedischen König adoptiert und zur Nachfolge bestimmt worden. Das französische Paar begründet die noch heute amtierende Dynastie des Hauses Bernadotte in Schweden.

Auch 51 Jahre nach dem Erscheinen ist dieser Roman eine vergnügliche Lektüre. Noch immer ist der Ton, in dem die Seidenhändlerstochter ihrem Tagebuch die Geschehnisse und ihre Gedanken und Gefühle anvertraut, amüsant zu lesen. Es ist ein wunderbar leichter Ton, der hilft, sich die Szenerie vorstellen zu können, es sind wirkliche Menschen mit all ihren Fehlern und Schwächen, denen wir begegnen, dies wird insbesondere in den Dialogen deutlich. In einem leichten Plauderton lernt der Leser die wichtigen Personen der französischen Geschichte und ihr Handeln kennen.

Ja, der Roman enthält Ingredienzen, aus denen Trivialromane zusammengesetzt werden, und ist doch weit davon entfernt, ein solcher zu sein. Die Leichtigkeit des Buches darf nicht mit Trivialität verwechselt werden, denn die Schreiberin Désirée ist eine Person, die sich entwickeln darf. Sie ist die Heldin des Buches, doch steht die französische Geschichte auf der gleichen Stufe wie die Person Désirées, deren Entwicklung von der Historie geprägt und bestimmt ist. Es ist die Tagebuchform des Romans, welche diese Leichtigkeit erlaubt, denn ein Tagebuch darf subjektiv und spontan sein, muss keine Zurückhaltung üben, gibt es meist doch keine Leser außer dem Verfasser.

Désirée ist eine, wenn ihr selbst auch nicht bewusst, starke Persönlichkeit. Was ihr an erlerntem Wissen fehlt, wird durch Herzensbildung wettgemacht. Sie lernt und reift zu einem Menschen heran, der auch ungeliebte und schmerzliche Entscheidungen fällen kann. Mit ihrem Herzen erfasst sie sehr schnell die Gefahr, die von Napoleon ausgehen kann. Dieser ist schon als unbedeutender Soldat überzeugt, dazu bestimmt zu sein, Weltgeschichte zu machen. Als erwachsene Frau macht sie die Erfahrung, dass Menschen im Allgemeinen sich von ihren Ängsten leiten lassen: „Ich glaube, es gibt sehr seltsame Völker. Solange man ihre Städte nicht erobert, bilden sie sich aus unerforschlichen Gründen ein, weitaus tüchtiger und tapferer zu sein als alle anderen Menschen der Welt. Sobald man sie jedoch regelrecht geschlagen hat, beginnt bei ihnen ein Heulen und Zähneklappern, wie man es sich kaum vorstellen kann, und viele behaupten, schon seit jeher im Geheimen aufseiten der Feinde gestanden zu haben.“

Selinko ist ein Buch gelungen, das persönliches Erfahren und Geschichte miteinander verbindet. Mit der Liebesgeschichte des Paares Bernadotte kann sie auch Leser in Bann halten, die sich sonst nicht mit Geschichtsromanen befassen. Es ist ein Buch für jedes Alter. Im Text zur Lizenzausgabe für den Bertelsmann Lesering aus dem Jahre 1957 wird die Schriftstellerin mit den Worten zitiert: „Als ich ihr Tagebuch schrieb, wurde ich Désirée. Ich habe diesem Buch alles gegeben, was ich in diesem Stadium meines Lebens geben konnte.“ Und genau das merkt man dem Buch an, dies ist das Geheimnis hinter dem Erfolg. Mit entwaffnender Ehrlichkeit und großem Charme, der aus jeder Seite spricht, gelang es der Autorin, eine glaubhafte Désirée zu schaffen, eine Désirée, die man vor sich sieht und mit der man leidet und lacht. Was will man mehr von einem Buch?

Désirée.
Roman.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2002.
832 Seiten, broschiert.
ISBN 3-462-03102-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 22.07.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.