#Lyrik

Der zarte Leib

E. A. Richter

// Rezension von Martin Kubaczek

Wuchtig sind diese Gedichte und eloquent, präzise und voll sprachlicher Schönheit: „Kuppe des Kogels, auch darunter,/ unter dem Baum der Entscheidung,/ wo sich das Kind gelagert hat/ inmitten unwiederbringlicher Blüten.“ (20)

Jeder Blick Hieb einer Axt“, so stellt das Eröffnungsgedicht Kindheitserfahrungen dem „zarten Leib“ entgegen. Im bäuerlichen Umfeld erlebt das Kind die Härten im Umgang, die verstörenden Bilder vom Mästen und Schlachten, Fällen und Zerteilen. Häufig umkreisen die Eingangsgedichte solche Imagos, entwickeln sie anhand kodifizierter Begriffe aus der christlichen Mythologie, sei es durch die Stigmatisierung der Nägel, die der Vater ins Holz schlägt, dem Sohn symbolisch zwischen die Finger, oder an anhand von Produktnamen wie im Gedicht „Mein Pattex“ (14f), wenn der chemische Klebstoff dem tischlernden Vater den Leim ersetzt, seine „süße Schwaden“ dem Kind zum sinnlicher Zauber werden.

E.A. Richter ist ein untrüglicher Stilist von einer Ruhe und Wahrnehmungsgenauigkeit, die sich durch keine Attitude ablenken lässt. Erstaunlich sind die ausgreifenden, in jeder Zeile ihr lyrisches Denken forttreibenden, weit arbeitenden Bögen in Gedichten, die oft über ein Dutzend Strophen gehen, und dennoch leicht wirken, durchbrochen, duftig und zart wie jenes Leib-Seele-Kompendium, in dem sich hier jemand in seiner Körperlichkeit reflektiert und erfährt. Greifbar gemacht wird Existenz hier vor allem an ihren Bruchstellen, in „Sturzgedichten“, Krankheit und Verletzungen, schließlich im Zusammenbruch von Beziehungen und in Momenten, wenn einer sich zurückgeworfen und reduziert findet auf seine physischen Bedingungen: „Arbeit teilt mich in tausend Stücke./ Trauer klebt mich zusammen“ (22)

Auffallend sind die lyrischen Bausteine der vielfältigen Komposita, zweitaktiger kombinatorischer Chiffren wie „Leibesknospe“, „Restkörper“, Kniegespinst“, „Atemtausch“; „zeiterschöpft“ arbeitet hier ein „Blutkopf“ in „Sturzgedichten“ gegen den „Wortverlust“, für Bewusstsein und Gedächtnis wird einmal das Amalgam „Antiquarium“ gefunden, figurativ findet sich diese Verbindung im Pendeln zwischen Dispositionen: „betriebsamer Tag“ steht gegen „übertriebene Nacht“, „unerwartete Schönheit“ gegen „Verschlossenheit dieser Figur“, häufig wird die Technik von Enjambements eingesetzt, die sich über Zeilen- und Strophenbrüche hinwegsetzen und so Getrenntes wieder zusammenfügen.

Richter ist ein Forscher in den Labyrinthen des Schmerzes und der Schönheit, seine Poesie gleicht einer Suche nach Genauigkeit in der Selbstbeobachtung, und im Verstehen der Angst, mit subversiver Ironie kehrt sie sich gern auch ins Zauberhafte und Subtile. Chiffren bleiben als auratische Rätsel und Phänomene im Text stehen, driften wie „changierende Körper“, die versuchen sich „vom Auftrag der Namen“ zu lösen. Formulierungen wie „Ich schätzte mein Tiergewicht/ verglich es mit meinem Menschengewicht“ (34) kondensieren eine ganze Kulturgeschichte in der eigenen Bedingtheit. Auch ein serielles Gedicht findet sich („Die Adern leuchten“, 89), ein Gedicht über das Lesen und den „Kulturhunger“ (mit dem Titel „Fressen und Wuchern“, 91), das selbst zum Klangerlebnis wird, wenn es durch die Vokale changiert.

Das Buch ist als Triptychon angelegt, der von „Leibesvisitationen“ flankierte frühe Mittelteil (entstanden 1972 in Kleinschreibung) wurde überarbeitet und zeigt die Territorialisierung der Körper in der Paarbeziehung, wo der Übergriff vorprogrammiert scheint: Einsicht, Vertrauen, Intimität prallen gegen Abgrenzungen und kippen in Abwehr und Demütigung. Der interne Paar-Konflikt wird dabei mit Fragmenten aus der Berichterstattung über den Vietnamkrieg gegengeschnitten, der Zugang zum Schlafzimmer ist „vermint“, Ultimaten werden gestellt, Möglichkeiten zum Abzug sondiert. Eine Überzeugung wird sichtbar, die damals selbstverständlich war, in der auch Richters Bezug zur eigenen Geschichte als Mitherausgeber der Zeitschrift „Wespennest“ sichtbar wird: Das Politische trifft das Private, die Termini der Nachrichten wirken auf das Private zurück.

Bildwahrnehmungen kehren prägend wieder, sei es durch ein Kamera-Objektiv oder in Form visueller Künste, auf Monitoren, als Videostills, auf Fotos „in Einzelbilder/ zerteilt“ (37), in einem beobachteten Fotoshooting, im Figuralen einer Skulptur, bis einmal das Wort Schönheit wie in einem Katarakt durch die Zeilen und Strophenbrüche fällt („Vergine sospesa“, 41f), und viele dieser so unprätentiösen und dennoch fulminanten Gedichte münden in jener Einsicht und Erfahrung, die im Gedicht „Schwimmerin“ angesprochen wird: „unerwartete Schönheit, /zugleich Verschlossenheit dieser Figur, die gar nicht strahlt, aus ihrem Schatten heraus einen Moment lang alles stocken lässt.“ (35)

Der zarte Leib.
Gedichte.
Wien: Edition Korrespondenzen, 2015.
128 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-902951-12-0.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 06.10.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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