#Prosa

Der Webfehler

Utta Roy-Seifert

// Rezension von Florian Braitenthaller

Utta Roy-Seifert, Abkömmling protestantischer und jüdischer Vorfahren, ist als Kind von Breslau nach Berlin (1938), als Jugendliche von Berlin nach Bad Ischl, Gmunden und Wien (1944) übersiedelt, hat den Krieg erlebt und überlebt. Nach dem Krieg studiert sie Anglistik und Kunstgeschichte und wird Übersetzerin, ausgezeichnet unter anderem mit dem Österreichischen Staatspreis für literarisches Übersetzen (1992).

Mit diesem, ihrem ersten Buch legt sie Erinnerungen an ihr Leben vor. Weitgehend chronologisch berichtet der Text in Form von Blitzlichtern und Momentaufnahmen über ein einfaches Leben in schwierigen Zeiten. Skizzen- und bruchstückhaft ist dieses teils sehr private, auf Familie, Freundinnen und Freunde konzentrierte „Archiv im Kopf“, das die nunmehr 84-jährige Autorin zu Papier gebracht hat. Sie ordnet ihre Erinnerungen und Notizen wie ein Testament – um es an ihre Nachkommen weiterzugeben.

Der titelgebende Begriff Webfehler verweist auf einen „Makel“ in der Familiengeschichte: Uttas jüdischen Großvater mütterlicherseits. Durch die damit verbundenen Konsequenzen wird die Familie einerseits zum „Nazi-Gegner“; andererseits gelingt es aber Utta, diese nicht NS-konforme Herkunft vor ihren Berliner Schulkameradinnen zu verheimlichen. Immer wieder betont Roy-Seifert die Wichtigkeit von Freundschaften in ihrem Leben, wie die zu ihrer jahrzehntelangen Schulfreundin Helga.

Als sie gegen Ende des Krieges in Wien eintrifft, marschieren wenig später die alliierten Truppen ein. Recht nüchtern erzählt sie von ihrer Angst in dieser Zeit, von den Aufenthalten im Luftschutzraum unter dem Stephansplatz, von den stattfindenden Vergewaltigungen und auch von den Geschenken, die die russischen Soldaten machten. Nach dem Kriegsende wird ihr „reichsdeutscher“ Akzent problematisch und sie sieht sich mit Aggressionen der Einheimischen gegen „Reichsdeutsche“ konfrontiert. Als sie viele Jahre später am 50-jährigen Klassentreffen in Berlin teilnimmt, wird ihr eine zeitlich verschobene Schicksalsgemeinschaft bewusst: War es für sie und ihre Familie mit dem verschwiegenen jüdischen Erbe schwer in der Nazizeit, so hatten es ihre „reichsdeutschen“ Klassenkolleginnen nach dem verlorenen Krieg ebenso schwer.

Im Studium gewinnt sie Zugang zur englischsprachigen Literatur. Schon damals entsteht der Wunsch, sich schreibend im Leben zu orientieren. Schließlich der erste Boyfriend, Georg, eine Kopie ihres unseriösen Kunsthändler-Vaters, von dem sie sich nach langen kinderlosen Jahren des Zusammenseins trennt. Der Ehe mit ihrem späteren Mann Hans entstammen zwei Töchter. In ihrem Lebensbericht streicht sie die bei aller Liebe problematische Beziehung zu ihrem Ehemann, bedingt durch ihre Hinwendung zum Feminismus, heraus.

Utta Roy-Seifert gibt mit diesem Bericht etwas sehr Persönliches weiter, ein Erbe für Kinder und Kindeskinder. Als sie vor gar nicht langer Zeit ihre Kindheitsstadt Breslau in Begleitung ihrer älteren Tochter besucht, tut es ihr gut zu wissen, dass die Erinnerung gut aufgehoben sein wird. „Ich habe die Stadt meiner Kindheit sozusagen an meine Tochter weitergegeben und hoffe, sie damit als solche vor dem Vergessenwerden bewahrt zu wissen.“ Zuletzt ist das Schreiben der Autorin wohl auch ein Anschreiben gegen das Schweigen, mit dem sie nichts anzufangen weiß: das Schweigen, das auf das Ende einer Freundschaft oder auf den Tod folgt: „… das Schweigen ist schwer zu ertragen – auch das eigene.“

Utta Roy-Seifert Der Webfehler
Erinnerungen.
Hohenems: Limbus, 2010.
128 S.; geb.
ISBN 978-3-902534-35-4.

Rezension vom 08.09.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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