Als Gegenstand von erzählender Literatur ist Alzheimer damit eines jener Themen, die erzwingen, dass von der notwendigen Unzulänglichkeit des Erzählens angesichts der Wirklichkeit mit-erzählt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sorte von Meta-Meta-Mätzchen und selbstreferenziellen Spielereien, mit denen so etwas normalerweise bewerkstelligt wird, im Fall von Alzheimer schnell grell und obszön erscheinen müssen, wobei, fairerweise, Texte grundsätzlich denkbar sind, in denen derartige Obszönität ihren Platz hätte, während der absichtsvolle Verzicht auf sie, als Demutsgeste, schnell mal ins „Von-den-letzten-Dingen-Ergriffene“, falsch Salbungsvolle umschlagen kann – die grössere der beiden Gefahren für einen Text, aber auch ungleich subjektiver zu bewerten. Obendrein lässt sich viel von dem, was Alzheimer vor allem im Anfangsstadium ausmacht, nur adäquat in den Blick bekommen vor dem Hintergrund von eingespielten sozialen Ritualen und detailliert geschilderten familiären Bezugsgeflechten: Ganz viel Zeug, das unter den Bedingungen der Erzählliteratur nicht eben Spannung garantiert. Geschichten also von den Einzelheiten zweischenmenschlicher Beziehungen , die genau so weit erzählt werden, dass gezeigt werden kann, wie sie sich im Nichts verlieren…
Aus allen diesen Gründen ist es gut, dass Beatrix Kramlovskys neuer Roman sich an keiner Stelle selbst im Weg steht. Sie entgeht den oben genannten Fallstricken durch eine nüchterne, durch und durch glaubwürdige Ich-Erzählhaltung aus der Sicht des Ehemannes der Erkrankten, und sie unternimmt nichts, um den Fluß der Handlung „aufzupeppen“. Zwar geschieht einiges mehr als dass eine alternde Anwältin sukzessive aus ihrer eigenen Welt verschwindet – ganz besonders überraschend kam dieser eine Todesfall in der Mitte des Buches -, aber was wir erfahren, ist im Bewusstseinsstrom des Ich-Erzählers und damit in seiner Bezogenheit auf die Erkrankung seiner Frau wohlvertäut.
Ich sage, Kramlovskys Buch stehe sich nicht selbst im Weg und verweise auf Erzählhaltung und Handlung. Aber der einzelne Faktor, der dazu am meisten beiträgt, ist in der Sprache der Autorin zu suchen. Genauer: In dem Umstand, dass sie die Kunst beherrscht, die Sprachregister in einer gleichsam realistischen Weise zu wechseln, die das Ihre zur Charkterisierung des Ich-Erzählers beiträgt. Sätze, die nicht Figurenrede sind, scheinen trotzdem mehrfach auf ein unaufgeregtes, gleichförmiges Fließen hin überarbeitet worden zu sein, das auch Vokabeln und Inhalte, von denen man das eigentlich erwarten würde, nicht stören können. Dieser Gestus – emotionale Glaubwürdigkeit des Ich-Erzählers bei gleichzeitig unerschütterlich ruhigem Fließen der Syntax – macht eine Qualität von Der vergessene Name aus.
Ein Wort zum Verlegerischen, genauer zum Layout: An mehreren Stellen des Buches sind Zeilen oder gar ganze Absätze zu finden, denen auf den ersten Blick die Leerzeichen zwischen den Wörtern fehlen – bei sehr, sehr genauem Hinsehen stellt sich dann heraus, dass sie anscheinend zwar gesetzt, aber in irgendeinem Arbeitsschritt wohl viel zu schmal definiert wurden. Und dann kommen wieder Zeilen mit unnötig weiten Abständen. Einige zig Stunden mehr Aufmerksamkeit durch jemanden mit Indesign-Kenntnissen hätten dem Buch sicherlich gutgetan.
Fazit: Dass es sich bei Der vergessene Name um einen Roman über das unangenehme, traurige Thema Alzheimer handelt, wird vorhersagbarerweise manchen Leser abschrecken, aber es wäre eine Themenverfehlung, einen zeitgenössschen Erzähltext über Alzheimer irgendwie „sexy“ zu gestalten. Kramlovsky unterläuft keiner der Fehler, die ihr leicht hätten unterlaufen können. Das Buch ist unprätentiös und weder von Pathos noch von Zwangsoriginalität geprägt. Es ist dabei sprachlich um einige Stufen genauer, als wir das sonst mit dem Begriff „unprätentiös“ in Verbindung bringen, und wird seinem Gegenstand so gerecht wie seinen implizit selbst-gesetzten Maßstäben. Mehr ist von ihm nicht zu verlangen.