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#Prosa

Der Umfang der Hölle

Heinrich Steinfest

// Rezension von Barbara Angelberger

Als schräger Krimi wird Steinfests neuestes Buch im Klappentext angepriesen – und schräg geht es gleich los. Der 52jährige Reisiger, mond- und lottobegeistert, hat den Jackpot geknackt. Dennoch verbrennt er seinen Lottoschein, mit dem er den Riesengewinn beheben könnte, weil er nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss kommt, dass hinter einem solchen Glück nur der Teufel stecken könne.

Der (vermeintlich) großen Hölle entronnen stürzt sich Reisiger – entgegen seiner sonst so zurückhaltenden Art – in eine kleine: er springt zwei Frauen bei, die von einer Handvoll Hooligans bedroht werden.

Dass es sich bei einer der beiden um eine berühmte Chansonnette handelt, ist Reisiger, dem Welt- und Menschenskeptiker, natürlich unbekannt. Reisiger wird bei der Auseinandersetzung leicht verletzt; einer der Hooligans stirbt – durch einen gezielten Messerstich der Sängerin. Die obligate Leiche liegt vor, die Krimihandlung kann beginnen.

Sie führt Reisiger über München, Linz, einen kleinen Ort im Garstner Tal (OÖ) rund um den Globus bis ins grönländische Packeis. Dabei begegnet der reichlich schrullige Reisiger noch anderen Exzentrikern, die die Krimihandlung um ihre fast aphorismenhaft verpackte Sicht der Welt und bizarre Dialoge erweitern:

„Nichts gegen die Kunst“, kommentierte der Rotgesichtige vergnügt. „Das halbe Leben der Menschen steckt in ihr. Aber in Fragen der Religion funktioniert sie leider wie ein Brett, das uns die Sicht verstellt.“

„Das ist ein Standpunkt“, meinte Marzell, „dem ich vollkommen widerspreche. Nicht nur, weil ich die Verantwortung für ein Altarbild trage, dem die Jahre und die Feuchtigkeit zusetzten […]. Sondern weil die Funktion solcher Bilder ganz entscheidend darin besteht, Gott zu fürchten, seine Gnade und Güte nicht als einen Persilschein mißzuverstehen. Was die Leute leider immer wieder tun. Sie meinen, daß der Allmächtige ungleich milder waltet […] als unsere Kirche […]. Das ist eine neuzeitliche Auffassung, diese obszöne Verwandlung Gottes in einen – ich darf so sagen – in einen Softie […]“. (S. 171)

Philosophische Petitessen werden nicht nur zum Thema Himmel und Hölle gereicht, auch zur Aggression, zu Ethik und Forschung, dem Vergessen, der Sexualität, zu Österreichern und Deutschen (der Autor ist übrigens ein in Deutschland lebender Österreicher), dem Vergehen der Zeit usw. werden Überlegungen angestellt. Das Abschweifen ist Prinzip, das Naheliegende wird großräumig umgangen. Ziel des Autors ist es nicht, den LeserInnen eine stringent erzählte Handlung zu präsentieren, sondern sie zu überraschen. Das Unvorhergesehene nimmt ebenso breiten Raum ein wie die mehr oder weniger zufällige Begegnung. Des Autors Lust die unterschiedlichsten Dinge miteinander zu verbinden bzw. zusammenzudenken drückt sich auch in seiner großen Liebe zum Vergleich aus. Eine wahre Vergleichsflut ergießt sich über den Leser; einige davon durchaus gelungen, viele aber schlichtweg unnötig – leeres Wortgeklingel, das nicht der Verständlichmachung dient, sondern schlicht den Einfallsreichtum des Autors unter Beweis stellen soll. Da etwa schultert ein junger Mensch ein Paar Ski „als entführe er eine schlanke Braut.“(S. 29), Reisiger trägt ein altes Buch wie einen in Formalin eingelegten Embryo bei sich (S. 263), die Harley-Davidson wird als unsägliches Motorrad bezeichnet, „das von einer Unmenge unsäglicher Menschen benutzt wird, die hinter einem Mythos herfahren, wie man einer Frau hinterherläuft, die man andauernd als Schlampe bezeichnet.“ (S. 244)

Wer solches Fabulieren schätzt, sich über ein wenig literarisches (Malcolm Lowry) und kinematographisches (Giganten) Name-dropping freut, wer am Bizarr-Skurrilen seine Freude hat und von einem Krimi nicht verlangt, dass sämtliche Handlungsvolten schlüssig begründet werden, der/die ist bei Steinfest richtig.

Heinrich Steinfest Der Umfang der Hölle.
Kriminalroman.
München: Piper Verlag, 2005.
360 Seiten, broschiert.
ISBN 3-492-27092-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 03.08.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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