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Der Übergänger

Armin Thurnher

// Rezension von Florian Braitenthaller

„Ich knüpfe mühsam aus meinen Anekdoten, wie ich Alfred Brendel nicht treffe, eine Art melancholische Erzählung.“ Ein österreichweit bekannter Journalist namens Armin Thurnher hat ein Buch darüber geschrieben, wie ein kritischer Journalist namens Armin Thurnher ein halbes Buch lang vergeblich versucht, den von ihm verehrten, weltweit bekannten Pianisten für ein Interview zu gewinnen – und ein weiteres halbes Buch über die Begegnungen selbst. Zu dieser Grundkonstellation gesellen sich weitere Erfahrungen, Erlebnisse, Berichte und Exkurse des Ich-Erzählers. Collageartig wird Material aus verschiedenen Zeiten und Räumen zusammengestellt und als Roman unter dem Titel Der Übergänger präsentiert.

Die Spannung des Buches ergibt sich im ersten Teil aus der schlichten Tatsache, dass die angestrebte Begegnung nicht stattfindet, eine „Verfehlung“ folgt der nächsten, denn „Verhinderungs- und Trennteufel“ sind am Werk. Die Konstruktion der andauernden „Verfehlung“ hat etwas Künstliches, Unrealistisches. Rasch stellt sich beim Lesen der Verdacht ein, dass, wäre dem verehrungssüchtigen Erzähler tatsächlich so sehr an der Begegnung gelegen, wie er ständig versichert, ihn die vielen banalen Verhinderungsgründe, die er ins Feld führt, nicht wirklich davon abhalten hätten können, sein Idol zu treffen.

Aber schauen wir uns den Erzähler genauer an. Dieser Erzähler Thurnher(s) gibt sich kundig („Es gibt kultivierte und unkultivierte Kulturmanager.“), exzentrisch („Er hatte gerade Edward Said gelesen, ‚On Late Style‘, über Spätstil, ein Werk, das den Vorzug hatte, nicht auf Deutsch erschienen zu sein.“) oder provokant („Unter all den staubig-verstockten Wiener Bürgern, unter all den quallig-giftigen Kulturbetriebsnudeln“). Er reiht Berichte an Protokolle an Studien an Konzertkritiken an Tagebuchaufzeichnungen an Notizen an Behauptungen. „Der Wiener Bürgerhumor schätzt die Gegenwart nicht, aber er kann über die Vergangenheit lachen, wenn auch nicht über jede.“ Gerät er ins Erzählen, glaubt man über weite Strecken Thomas Bernhard zu lesen, mit sich steigernden Übertreibungen, Satzungetümen, dem Rhythmus, den Worterfindungen („Klassikerpressung“, „Hinhaltungsprogramm“, Hinunterhaltungsprogramm“). Das ist kein Plagiat, sondern Thomas Bernhards Untergeher geschuldet, dem Thurnhers Übergänger sich gegenüber- und entgegenstellt. Der Bernhard’sche Erzähler war jedoch eine Kunstfigur durch und durch. Der Thurnher’sche Erzähler dagegen ist stark autobiografisch aufgeladen, so dass es unweigerlich zu einer Vermischung von Realitäts- und Fiktionalitätsebene kommt. Wäre dieses Buch nicht als „Roman“ tituliert, stellte sich kein Problem. Aber der Versuch, die Wirklichkeit in Fiktion zu verwandeln, unter Verwendung realer Namen, die auf „wirkliche“ Personen verweisen, verpufft im Unentschiedenen.

Jedenfalls ist dieser Erzähler einer, der munter vor sich hinplaudert, ein Intellektueller, ressentimentgeladen, mit zurückgenommener Emotionalität. Er gibt sich selbstironisch-kokett, selbstsüchtig, selbstmitleidig. Dieses Ich ist der zentrale Bezugspunkt des gesamten Buches. Ob der Vater stirbt oder Brendel sein letztes Konzert gibt, die entscheidende Frage ist: Wie wirkt sich dieses Ereignis auf das Denken und Leben des Erzählers aus? Was bewirkt das in ihm, und nur in ihm. Denn „andere“ existieren nicht als eigenständige Figuren in diesem „Roman“, nicht einmal Brendel oder des Erzählers Frau. Dafür wird das Lesepublikum mit Lebensweisheiten aller Art bedient: „Die Böhmische Granitmasse nährt die Wiener Grantmasse.“

Die musikkritischen Passagen enthalten typische Klischees, die das Feuilleton aufzubieten hat: „Brendel da unten war ganz klein, aber sein Ton war groß, zart und einfach, und wie er strömte, hielt der Saal insgesamt den Atem an und war still, was nicht so oft vorkommt in diesem Goldenen Saal, wo immer einer hustet, scharrt oder knarrt, aber nun war es nicht toten-, sondern lebensstill, ein inniges Innehalten, eine kollektive religiöse Ekstase ohne einen Gott, ein Augenblick, wie ihn eben nur Musik hervorrufen kann.“

Was hier vorliegt, sind disparate Textschichten, zusammengehalten durch das Erzähler-Ich: Die Jugendberichte wirken wie Tagebucheintragungen, die Beschreibungen von Konzertbesuchen ähneln Konzertkritiken, Reiseeindrücke werden im Telegrammstil wiedergegeben. All das formiert sich zu keinem harmonischen Erzählstil. Der Autor ist auf der Suche nach einem eigenen Ton als Erzähler, der die Partikel des Journalisten, Feuilletonisten, Kommentators, Predigers sowie die parodistischen und ironischen Versuche zu integrieren sucht.

Nach den 33 Kapiteln des Übergängers holt den Leser/die Leserin in der Coda die Realität ein: „Du hast so viel Sprache im Kopf, flüstert er [der „Verführer“ genannte Verleger] leise und eindringlich in mein Ohr. Du musst einen Roman schreiben. Schon geschehen, sage ich.“

Der Übergänger.
Roman.
Wien: Zsolnay Verlag, 2009.
252 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-552-05367-0.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 16.12.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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