#Roman

Der Silberfuchs meiner Mutter

Alois Hotschnig

// Rezension von Jelena Dabić

Was bedeutet Ausgeschlossensein (und was nicht)? Wann ist jemand ein von der Mutter verlassenes Kind (und wann nicht)? Darf eine gescheiterte Liebe das ganze Leben bestimmen (oder nicht)? Wer ist fremd und wer bleibt es (oder nicht)? Um solche und ähnliche Fragen, eingebettet in die Zeit des NS-Regimes und die Nachkriegsjahre in Vorarlberg, kreist der aufwühlende wie einfühlsam erzählte neue Roman von Alois Hotschnig.

Der Silberfuchs meiner Mutter, der poetische Titel der Erzählung eines Mannes, der es trotz widriger Umstände zu einer Karriere als Schauspieler auf mittleren deutschen und österreichischen Bühnen gebracht hat, gelangt erst gegen Ende des Romans zu seiner Erklärung. Solche Pelzmäntel haben Wehrmachtssoldaten oft ihren Freundinnen und Verlobten geschenkt, wo auch immer sie stationiert waren. Ja, und damit ist man schon bei der zweiten Besonderheit des Ich-Erzählers Heinz angelangt: er entstammt der Verbindung einer norwegischen Krankenschwester mit einem Wehrmachtssoldaten aus der Gegend um Lustenau. Gerd (später in Vorarlberg Gerda genannt), immerhin die Tochter des Bürgermeisters der im hohen Norden Norwegens gelegenen Stadt Kirkenes, ist ein Verhältnis mit Anton Halbsleben, Wehrmachtssoldat aus Vorarlberg und im zivilen Beruf Metzger, eingegangen, der ihr offenbar eine bereits vorhandene Liebesbeziehung in seiner Heimat verheimlicht hat oder sich aus anderen Gründen nach der Geburt ihres Sohnes Heinz gegen ein Leben mit ihr entscheidet. Er zweifelt zudem an seiner Vaterschaft und heiratet schließlich eine andere Frau aus der Gegend.

Die Beziehung eines Österreichers mit einer Norwegerin war, wie man erfährt, während des zweiten Weltkrieges keine Seltenheit: die deutschen Soldaten waren zwar in Norwegen als Besatzungsmacht verhasst, gleichzeitig pflegte die Wohnbevölkerung (wenn es nicht gerade russlandtreue Kommunisten waren) ein überaus herzliches Verhältnis zu ihnen und lud sie oft zu geselligen Abenden ein. Insofern ist Gerd/Gerda Hörvold absolut kein Einzelfall. Bereits von Anton hochschwanger, reist sie mit großer Unterstützung der Lebensborn-Behörden nach Lustenau, um dort den Vater ihres Kindes zu heiraten und vorerst bei seiner Familie zu leben. Ein gründliches Scheitern dieses Plans, den die beiden Verliebten tatsächlich gemeinsam gefasst haben und der von den Verwandten des Mannes nachdrücklich in mehreren Briefen bestätigt wurde, bildet den Kern des Romans. Es ist die Geschichte einer jungen Norwegerin, die – vereinfacht gesagt – die Liebe ihres Freundes nun mal falsch eingeschätzt hat und dadurch ihre Heimat ein für alle Mal verlassen musste. Der Geschichte dieser unglücklichen Liebe und damit der Geschichte seiner eigenen Herkunft geht der Ich-Erzähler, hier wie die reale Person Heinz Fitz genannt, in der langen Erzählung nach. Der Roman ist also auch die Geschichte seiner schwierigen Kindheit und Jugend, und – im geringeren Ausmaß – seines steinigen Weges zu einem künstlerischen Beruf.

Die Erzählung selbst, die in der Ich-Form aus der Perspektive des bereits in die Jahre gekommenen und nun recht einsiedlerisch lebenden Heinz ausgebreitet wird, erfolgt zwar einigermaßen chronologisch, folgt aber nicht immer einer inneren Logik. So nimmt das Leid des Jungen bzw. des erwachsenen Mannes breiten Raum ein: er fühlt sich als „abgegebenes“ Kind oder auch als Waisenkind, weil er die ersten vier Jahre seines Lebens bei Pflegeeltern, einem Bauern und seiner Schwester, verbracht hat. Die Szenen, in denen Hotschnig immer wieder diese Zeit umkreist, vor und nach der Geburt von Heinz, sind einprägsam und glaubwürdig, dennoch nimmt das Selbstmitleid des Protagonisten sowie das Mitleid gegenüber seiner Mutter zuweilen arg überhand. Nicht nur, dass die Mutter ihren Sohn als Vierjährigen wieder zu sich nimmt; es gelingt ihr zudem, nach einigen Jahren großer Armut einen Einheimischen zu heiraten und also ein den gesellschaftlichen Anforderungen der Zeit völlig entsprechendes Leben zu führen. Nicht anders verhält es sich mit der Auffassung ihrer Krankheit, der Epilepsie, die sich bei ihr zum ersten Mal während der anstrengenden Reise von Norwegen nach Österreich, einer Reise ins Ungewisse, gezeigt hat: nirgendwo wird etwa eingeräumt, dass die Krankheit (im Dorf wohl öfter auch als „Wahnsinn“ aufgefasst) sie nicht daran gehindert hat, drei gesunde Kinder zu bekommen. Die Mutter erscheint als Kranke gleichermaßen als Opfer, weil man ihr keinerlei medizinische Behandlung zukommen lässt, und dann auch wieder, als genau das in der berühmt-berüchtigten Nervenheilanstalt „Valduna“ geschieht. (Im Übrigen bessert sich ihr Zustand dort.) Als Kind leidet der Ich-Erzähler unter seinem gewalttätigen Stiefvater, der ihm nur das Schlachten von Tieren beibringt (hätte ihm der heiß ersehnte leibliche Vater, selbst Metzgermeister mit eigenem Betrieb, etwas anderes beigebracht?), weiß es aber zugegebenermaßen zu schätzen, dass dieser ihn keineswegs daran hindert, im Hof seine ersten, provisorischen Theaterstücke aufzuführen. Ein weiterer Widerspruch liegt auch darin, dass anfangs das beharrliche Schweigen der Mutter gegenüber dem Sohn beteuert wird; später stellt sich aber heraus, dass die beiden Halbgeschwister sehr wohl Norwegisch von ihr gelernt haben und sie auch ihren späteren Pflegekindern gerne und viel aus ihrem Leben erzählt.

Parallel zu dieser persönlichen Geschichte, die anhand der Berichte des realen Heinz Fitz um fiktive Teile erweitert bzw. frei entwickelt wurde, werden etliche Episoden aus der NS-Vergangenheit der Region geschildert. Es sind erschreckende Fälle von Denunziantentum und bornierter Ideologietreue dabei, aber auch von Zivilcourage und Hilfsbereitschaft. Diese Szenen fügen sich allerdings nicht nahtlos in die Haupterzählung ein; sie sind auch sprachlich anders gestaltet. Durch den mündlichen Duktus der erzählenden Personen, deren Rede im Perfekt statt im gewohnten Präteritum wiedergegeben wird (was sich auch am Ende des Textes, in der Erzählung von Heinz‘ Halbschwester wiederholt), wirken sie bisweilen völlig unliterarisch und fallen aus dem Roman gewissermaßen heraus.

Trotz aller Widersprüchlichkeiten und so mancher vermisster Erklärung lohnt sich die Lektüre, da sie doch eine nicht alltägliche Geschichte erzählt, deren Figuren und ihre Lebenswege einem nahegehen. Nicht wenige Stellen des Textes zeichnen sich durch ihre ästhetische Gestaltung aus, allen voran die Schilderung der Wildnis am Alten Rhein, wo ein Aussteiger-Pfarrer lebt, der dem halbwüchsigen Heinz Vaterersatz und guter Freund zugleich ist. Ganz nebenbei bietet der Roman zudem interessante Einblicke in die damals gut gehenden Spinnereibetriebe in Vorarlberg, und nicht zuletzt klärt sich auch der mythenumwobene Begriff „Lebensborn“, der letztlich nichts anderes war als ein nationalsozialistisches Geburtshaus für ledige Mütter und ein ebensolches Kinderheim.

Alois Hotschnig Der Silberfuchs meiner Mutter
Roman.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021.
224 S.; geb.
ISBN 978-3-462-00213-3.

Rezension vom 02.11.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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