#Roman
#Prosa

Der siebente Brunnen

Fred Wander

// Rezension von Klaus Ther

Fred Wanders Schlüsselwerk Der siebente Brunnen ist 34 Jahre nach seiner Erstauflage in der DDR wieder neu aufgelegt worden. Der Autor beschreibt darin seine Erfahrungen in insgesamt 13 Konzentrationslagern; einen Lebens- und Leidensweg, der auch jener von tausenden anderen Häftlingen war. Der siebente Brunnen setzt den Häftlingen der NS-Konzentrationslager ein literarisches Denkmal. Das Buch – eine Ode an das Leben angesichts des Todes, ein Oeuvre voller Hoffnung und Glauben an das potenziell Gute im Menschen.

Im Jahr 1971 erschien im Aufbau-Verlag in der DDR ein unauffällig aufgemachtes, knapp 150 Seiten starkes Buch. Geschrieben von einem Österreicher, dem ein Literaturstipendium das ermöglichte, was für ihn in Österreich unmöglich war: Vom Schreiben zu leben. Der siebente Brunnen war nicht das erste Werk des Fred Wander. Der Autor, damals 54 Jahre alt, war schon vor seiner Übersiedlung in die DDR im Nachkriegs-Wien Reporter der linken Boulevardzeitung Abend gewesen, hatte also Erfahrung im Recherchieren und Schreiben. Mit Reiseerzählungen – gleichsam seine zukünftige Romandramaturgie und Gestaltungsart auslotend und übend – näherte sich Wander sukzessive dem Stoff seines Lebens an: Dem Unterfangen, literarische Kunst nach Auschwitz nicht – wie es der Philosoph Theodor W. Adorno verkündete – tot erklärt zu belassen. Wander begann die eigene Erfahrung der NS-Konzentrations- und Vernichtungslager in Dichtung und Literatur zu wandeln. Die Tatsache, dass Fred Wander 25 Jahre gebraucht hatte um Inhalt und Form in eine seinen hohen gestalterischen Ansprüchen gerechte literarische Synthese zu bringen, zeigt, wie lang Wander mit dem Stoff des Romans schwanger ging.

Der Stil: Kurze eindringliche Episoden reihen sich aneinander, immer geht es um das Leben und Überleben angesichts des Sterbens. Die Protagonisten sind wie Wander sagt real, aber auch fiktiv. Wie Maxim Gorki sei er vorgegangen, hätte aus „drei Personen eine gemacht, verdichtet, Fiktion geschaffen, die aus Wahrheit geschöpft ist“. Ein polnischer Junge, Tadeusz Moll, er steht als KZ-ler und Kronzeuge des Schreckens an der Gaskammer, der Rotarmist Petrow. Jacques, ein Kämpfer der französischen Resistance, sie alle versuchen – jeder für sich und miteinander – mit dem Schicksal ein „KZ-ler“ zu sein zurechtzukommen. Fred Wander schreibt nicht in der Ich-Form, obwohl er das Zeug dazu hätte, er kann – so seine Schriftstellerkollegin und Bekannte Christa Wolf „Ich sagen ohne nur sich selbst zu meinen“. Wander setzt den Gefangenen ein literarisches Denkmal. Und: Er beherrscht die Kunst des „poetisch affektlosen Erzählens“. Erzählen, das hat Wander – wie er einmal gestand – von seinem aus Tschernowitz stammenden jüdischen Großvater geerbt, der ihm schon als Kind die Geschichten aus 1001 Nacht auf Jiddisch erzählt hatte.

Wander berichtet über alle an der Shoa Beteiligten, über Opfer wie Täter: Über die „Gestiefelten“, wie er die SS-Wachmänner nennt. Und er dämonisiert die Täter nicht. Ganz normale deutsche Bauernsöhne werden da zu Mördern, man hat ihnen gesagt, „die anderen seien keine Menschen“. Hannah Arendts Diktum über die „Banalität des Bösen“ wird einem gewahr. Über Juden, Kommunisten, Bibelforscher, Gläubige und Ungläubige schreibt Fred Wander. Viele seiner Romanfiguren leben so intensiv wie möglich, haben sie doch allesamt immer den Tod vor Augen, sie glauben an das Leben – bis zuletzt. Sie lechzen nach Brot, aber auch nach Lesestoff. Fred Wander erinnert sich in einem Gespräch, das ich mit ihm im Jänner 2005 für das ORF-Magazin Orientierung geführt habe: „Alles was man gefunden hat, wurde aufgehoben, vor allem Essbares! Einer von uns hat am Misthaufen eine Bibel gefunden. Jeder wollte sie haben, wir haben die Bibel in Stücke gerissen, verteilt und dann die Teile in einer Gruppe, die einander kannte, ausgetauscht, dass wir darin lesen konnten. Da war auch das Alte Testament dabei, das kannte ich schon seit dem 16. Lebensjahr, es hat mich mein ganzes Leben lang beeinflusst.“ Fred Wander, der später Kommunist war, ähnlich wie Brecht, ließ sich durch das Buch der Bücher inspirieren. Auf die Frage, ob die Protagonisten seines Buches Der siebente Brunnen erfunden sind oder echt, lächelt der weißhaarige Mann, der seit 1983 wieder in Wien lebt: „Natürlich ist das zum großen Teil Fiktion, aber aus Wahrheit geschöpft, das sind Fiktionen, die der Wahrheit näher kommen, behaupte ich, oder behaupten andere Schriftsteller, weil wir die Erlebnisse und die Gestalten verdichten. Gorki hat einmal gesagt, ich schreibe und ich mache aus drei einen, er verdichtet und macht Charaktere zu einem exemplarischen Charakter.“

Im April 1945 – vor annähernd 60 Jahren – wurde Fred Wander von amerikanischen Truppen aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit und erlebte die Befreiung als an Flecktyphus erkrankter Mann. In Buch Der siebente Brunnen erzählt er von der Zeit vor der Befreiung im KZ: „Das Gerücht ging von den Amerikanern, sie eröffneten eine zweite Front, aber wann kam eigentlich die zweite Front? Die Juden beteten in den Waschbaracken und beschworen den Ewigen, die Christen stimmten in das Gebet mit ein. Der Sommer würde kommen, viel Sonne und die zweite Front. Mendel Teichmann starb kurze Zeit nach Jossl. Er starb einen sinnlosen, unwürdigen Tod, lasst mich darüber schweigen. Vergessen sind seine Verse, seine Asche liegt über den polnischen Wäldern verstreut.“

Immer wieder berichtet der Autor, dass ihn diese Zeit bis heute beschäftigt, man ist geneigt zu fürchten, bis zum letzten Atemzug. Denn diejenigen die überlebten plagt – so bestätigt es auch Fred Wander – ein diffuses und doch sehr klares Schuldgefühl: „Warum habe ich überlebt, meine Angehörigen aber nicht!“ In Fred Wanders eigener Familie überlebte außer ihm selbst nur sein Bruder Otto, seine Schwester René und seine Eltern, Berta und Jakob, fielen Hitlers so genannter Endlösung der Judenfrage zum Opfer. Fred Wander sagt, er habe „auch heute noch Schuldgefühle gegenüber seiner Familie, die in Auschwitz umgebracht worden ist.“

Noch einmal zum Thema Befreiung. Vor der Befreiung hatte sich bereits das von Kommunisten gegründete „illegale Lagerkommitee“ formiert, als die Amerikaner kamen, waren diese Leute da, bewaffnet, aber diese Tatsache beschreibt Fred Wander in seinem Buch Der siebente Brunnen nicht. Triumfalismus und Heldenkult liegen ihm nicht, seine „Helden“ agieren still. Fred Wander verweigerte schon in den siebziger Jahren dem Stalinismus, er bedient nicht die Mythen und Übertreibungen der DDR Geschichtsschreibung, was für ihn spricht. Sein Buch, was wieder für die DDR spricht, konnte dort erscheinen, aber eine Verfilmung durch die Studios der DEFA war ihm nicht beschieden. Heute, 60 Jahre danach, ist sein Buch in Österreich immer noch wenig bekannt, was wieder gegen das offizielle Österreich spricht, doch Anzeichen einer verstärkten und späten Wertschätzung des heute 88jährigen häufen sich. So erhielt Wander 2003 den Theodor Kramer Preis. Ehrungen allerdings sind ihm zuwider, wie immer hält er sich im Hintergrund. „Wie ein Schlemihl“, meinte er einmal lächelnd, ein Pechvogel also, eine Rolle, mit der Fred Wander vielleicht sogar etwas kokettiert, wie wenn sie ein Teil seines Schicksals wäre.

Der siebente Brunnen.
Roman.
Mit einem Nachwort von Ruth Klüger.
Göttingen: Wallstein, 2005.
166 Seiten, gebunden.
ISBN 3-89244-837-X.

Rezension vom 11.07.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.