#Prosa

Der schaudernde Fächer

Ann Cotten

// Rezension von Angelo Algieri

Der Fächer ist in der japanischen, traditionellen Gesellschaft nicht wegzudenken. Er ermöglicht nicht nur das Zufächern von Luft, sondern stellt im klassischen Theater die Verlängerung und somit die Unterstreichung von Gesten dar. Aber auch als Waffe wurde der Fächer benutzt. Außerdem kann er das Gesicht bis auf die Augen verdecken und so die Person interessanter, begehrlicher machen. Ein ambivalenter Gegenstand zwischen Erotik und Kampf.

Genau mit diesem übertragenen Facettenreichtum des Fächers spielt Ann Cotten in ihren 18 Erzählungen des nun vorliegenden Buches Der schaudernde Fächer. Die 31-jährige US-österreichische Autorin, die seit 2006 in Berlin lebt, hat im Jahr 2007 mit ihrem Gedichtband Fremdwörterbuchsonette für Furore gesorgt. Danach legte die mehrfach ausgezeichnete Autorin u. a. ihren Essayband Nach der Welt. Die Listen der konkreten Poesie und ihre Folgen (2008) sowie ihren Gedichtband Florida-Räume (2010) vor.
In ihrem neuesten Band spielen die Erzählungen, die durch die Protagonisten untereinander verbunden sind, in Berlin, Wien, der Ukraine, China und immer wieder in Japan – genauer auf der Hauptinsel Honshu. Etwa die Erzählung Noto. Die Studentin Chiëko besucht das Hobelfest, trifft dort ihren Kommilitonen Nobitori, in den sie heimlich verliebt ist. Doch er hat nur Augen für die Austauschstudentin Laura, die sich ebenfalls auf dem Fest befindet. Sie verbringen gemeinsam Zeit auf dem Fest. Doch als Chiëko pissen muss, befürchtet sie, dass sich die zwei anderen küssen werden …
Um eine Dreierbeziehung und die scheinbare Leichtigkeit des Verliebtseins geht es auch in der  Erzählung Birkenhäuschen. Im Briefwechsel zwischen Vasja und Kostja reflektieren sie über Schönheit, Verliebtheit und wie es um ihre gegenseitigen Gefühle bestellt ist. Vasja ist in Kostja verliebt. Doch Kostja liebt Nina, bewundert aber Vasja. Allerdings genießt Kostja, von beiden begehrt zu werden – das wird ihm jedoch auch schnell zu viel. Kostja flieht vor beiden. Zudem erfahren wir, dass Vasja früher eine „Bio-Frau“ war, doch ihre Geschlechtsumwandlung nicht ganz vollziehen will – ohne Penis.
Alle Texte in verbindet in Themen, Aufbau oder Form das Grundelement Luft. Denn die Storys scheinen in der Schwebe zu sein, ohne Bodenhaftung. Das hat seine Vorteile, gerade wenn es um Verliebtheit, Schönheit und Kommunikation geht. Auch im Stil wirkt sich das Launisch-Luftige aus: Es gibt Passagen, die stürmisch-pathetisch, böig-wütend oder windstill-rational sind.
Bei lauter luftiger Bewegung darf der Humor nicht fehlen: So sind subtile und offensichtliche Ironie, Kalauer als auch slapstickartige Situationskomik vorhanden. Passagen von teils sperrig-ernsten Reflexionen (wie im Text Schönheitstheorie) werden durch erfrischende Albernheiten aufgebrochen. Auch mit der Gender-Zugehörigkeit treibt Cotten mit dem Leser Schabernack und hinterfragt so zu Recht, ob es eine eindeutige Geschlechter- und Sexualitätseinordnung gibt.
Einer klaren Zuordnung entzieht sich die Autorin auch in der Form. Sie schwankt zwischen klassischer Shortstory, Briefroman, verdichteter Prosa, dazu kommen essayistische Elemente, Märchenhaftes und Mythisches – wie Luftgeister – sowie Gedichte. Ein wahrer Genre-Blumenstrauß!

Einige Storys spielen in Japan, wo das Grundelement Holz das Pendant zur abendländischen Luft einnimmt. Und so verwundert es nicht, dass der Buchtitel den (Holz-)Fächer inne hat. Cotten verbindet so kulturübergreifend kongenial beide „luftigen“ Elemente. Am besten versinnbildlicht durch die oben erwähnte Erzählung Noto, in der die Hobelspäne in der Luft schweben.
Doch bei aller Leichtigkeit verbirgt sich hinter dem vermeintlich Unbeschwerten auch das Grauen, das Schauderhafte, Unbeständige, Vergängliche, Verletzliche. Und der Tod, wie etwa in der Erzählung Idyllen. Chillen.
Fazit: Der schaudernde Fächer ist ein meisterlicher, teils anstrengender, trotzdem leichtfüßiger, aber nicht leichtsinniger Erzählungsband, der zu Reflexionen ungemein anregt!

Ann Cotten Der schaudernde Fächer
Erzählungen.
Berlin: Suhrkamp, 2013.
251 S.; geb.
ISBN 978-3-518-42389-9.

Rezension vom 04.12.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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