#Sachbuch

Der Salon als kommunikations- und transfergenerierender Kulturraum

Rita Unfer Lukoschik (Hg.)

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Dem Salon als kulturellem Ort der Begegnung ist von der Genderforschung wie von der kommunikationstheoretischen Netzwerktheorie eine neue Aktualität zugewachsen. Der vorliegende Band dokumentiert Beiträge von zwei Tagungen, 2007 in Kassel und 2008 in Frankfurt/Main, die deutsche und italienische WissenschafterInnen zum Dialog über das Phänomen Salonkultur zusammenführten.

Die Fallstudien reichen zeitlich vom deutschen Mittelalter bis zur italienischen Restaurationszeit, sie umfassen also auch reale wie imaginäre Vorformen der Salongesellschaft an mittelalterlichen Höfen (Michaela Dallapiazza) oder Madeleine de Scudérys berühmtesten Pariser Salon der Barockzeit, den sie ab 1647 führte (Renate Knoll). Wie schon ihre Vorgänger-Salonnière Marquise de Rambouillet widmete sich Scudéry der Sensibilisierung und Zivilisierung der nicht zuletzt in den Hugenottenkriegen einigermaßen verrohten Herrenwelt und formulierte in ihren Romanen und Schriften neue, überraschend heutig wirkende Konzepte der Liebe, der Freundschaft und des Geschlechterverhältnisses. In der französischen Literaturgeschichte hat sich für diese Phase der galanten und intellektuellen Salonkultur der Begriff der „Preziösen“ eingebürgert. Den negativen Beigeschmack verdankt diese Bewegung und auch die Figur der Scudéry Molière, dessen erste Erfolgskomödie „Les Précieuses ridicules / Die lächerlichen Preziösen“ hieß. Den Hauptteil des Bandes bilden konkrete Porträts einzelner Salonlandschaften Italiens in Rom (Marina Caffiero, Marina Formica), Florenz (Rita Unfer Lukoschik) und Bologna (Elena Musiani).

Einen einführenden Überblick über Entwicklung und Begriff des Salons / salotto gibt Rita Unfer Lukoschik, wobei sie als Begriffszeugen auch historische Romane von Horace Walpole oder Franz Werfels „Die Geschwister von Neapel“ heranzieht. Als „Salonnière“ „erhält die Frau realen Zugang zu einer öffentlichen Sphäre des Lebens, die ihr sonst verschlossen bleibt“ (54), heißt es in der Einführung, doch es ist eben nur ein informeller Zugang und das bleibt letztlich so bis zur Einführung des Wahlrechtes für die Frau. Der Salon ist eine jener Nischen öffentlicher Wirksamkeit, die sich Frauen selbst schufen und die nicht selten im (Männer-)Blick von außen in ein lächerliches Licht gerieten, selbst bei denen, die die Netzwerkpotentiale der Salons durchaus für sich selbst zu nutzen verstanden.

In dieser Einführung fällt auch der Begriff vom „globalisierten Salon-Dorf“, der auf den regen Austausch von Debatten, Themen, Werken und Salonbesuchern anspielt und einen fruchtbaren Ansatz bieten könnte für eine neue Lektüre des Phänomens vor dem Hintergrund der Kommunikationsstrukturen von heute. Doch diese Fragestellung wird in den Beiträgen nicht aufgegriffen, das wäre vielleicht ein spannendes Thema für eine fortführende dritte Tagung.

Nicht eindeutig zu entscheiden scheint die Frage, inwieweit Modebegriffe der aktuellen Wissenschaftsterminologie im vorliegenden Fall die Sachverhalte neu oder adäquat zu fassen vermögen. Schon die Titelbegriffe „kommunikations- und transfergenerierender Kulturraum“ wirken etwas sperrig. Zwar legen sie den Akzent auf das aktive und produktive Potential der Salons, doch sie werden den Beiträgen nur zum Teil gerecht, denn gerade über die Austausch-Prozesse, die zweifellos schwer zu fassen sind, hätte man oft gerne mehr erfahren. Und ist eine Zeitschrift, auch wenn sie Ende des 19. Jahrhunderts in Bologna erscheint und „La Donna“ heißt, wirklich ein „virtueller Ort des Begegnens“, nur weil sie über die „Gründung einer Frauenarbeitergesellschaft in Wien“ berichtet? Was bleibt hier vom Begriff „virtueller Ort des Begegnens“ als spezifischer Informationswert über die 1878 von Alaide Beccari gegründete Frauenzeitschrift übrig? Natürlich wurde „La Donna“ auch von der sich formierenden deutschen Frauenbewegung rezipiert, so wie „La Donna“ etwa Artikel von Fanny Lewald abdruckte. Aber sind das nicht einfach normale Phänomene jedes spezialisierten Diskurses im Zeichen der damals neuen Technologie Zeitungsdruck, mit denen man der spezifischen Themenstellung des Bandes kaum näher kommt?

In ihrem zweiten Aufsatz beschreibt Rita Unfer Kukoschik den „hybride[n] Charakter des Salons“, „der Raum für ein außerordentliches anthropologisches Experiment bietet, indem sich Öffentliches und Privates, weibliche und männliche Lebenswelten begegnen und sich gegenseitig befruchten. Die der Öffentlichkeit zugewandte männliche, dominante Lebenswelt bewegt sich auf die geschützte Sphäre der Salons zu, sich nach Privatheit und Intimität sehnend, während, gegenläufig zu ihr, die weibliche Lebenswelt sich nach Teilhabe an der ihr verschlossenen Sphäre der Öffentlichkeit sehnt und durch den Salon ein Fenster zur Welt des Geistes, der Bildung, der Politik öffnet.“ Hier stellt sich die Frage, ob der rezente Wissenschaftsjargon mitunter ein Thema mehr verschlingt als erhellt, so wie in manchen Beiträgen des Bandes das mengenmäßige Verhältnis von sekundärem Beiwerk (Fußnoten, Hinweise, Literaturangaben) und originären Ausführungen zu kippen droht (Marina Formica). Das Bild vom „hybriden“ Charakter des Salons scheint hier eher dazu zu dienen, die beiden Sphären strenger gegeneinander abzuschließen als es der Realität entspricht, denn viele der Salonnièren verfolgten wie Madame de Stael mit ihren „informellen“ Netzwerken ganz handfeste politische Ziele. Ein gewisses Misstrauen stellt sich auch ein, wenn in einem Beitrag über den Salon in Bologna Goethes „Italienische Reise“ zitiert wird nach einer italienischen Reiseanthologie aus dem Jahr 1973 (Elena Musiani). Da hätte die Herausgeberin vielleicht ebenso eingreifen müssen wie beim uneinheitlichen Umgang mit französischen Zitaten, die manchmal in den Fußnoten übersetzt werden, manchmal nicht. Goethe spielt im Übrigen im ganzen Band kaum eine Rolle – außer der Erwähnung, dass er einen Essay der Madame de Stael übersetzt hat und die Bologneserin Brigida Fava Ghisilieri Tanari – im Text durchgängig zu Brigida amikalisiert – die Werke Goethes wie jene Schillers oder Schellings im Original zu lesen verstand.

Trotzdem ist in den Aufsätzen viel Interessantes über konkrete Beispiele jenseits des deutschsprachigen Raumes zu erfahren, etwa über Gräfin d’Albany oder Madame d’Epinay (Rita Unfer Lukoschik). Am dichtesten gerät das Bild um die beiden Italien-Reisenden Stendhal und Madame de Stael, die in zwei Beiträgen von Olaf Müller vorkommt. Hier wird tatsächlich etwas von „transfergenerierenden“ Phänomenen erkennbar, sowohl was den Transfer des Modells „Salon“ betrifft – den Stael klar als politische Ersatzhandlung enttäuschter Eliten definiert – als auch die Anregung von Übersetzungstätigkeiten und politischen Diskussionen. Dass Madame de Stael ihre Besuche in den Salonszenen von Deutschland wie Italien unter der „Prämisse“ organisiert, „was ihr diese Kontakte im Blick auf ihre ‚réputation‘ in Paris einbringen“, vergisst Olaf Müller nicht zu erwähnen. Ein karrierebewusstes, also auf die eigene Bekanntheit achtendes Verhalten wirkt bei Frauen immer noch verstörender als bei Männern und ist daher immer eine Erwähnung – hier gar eine eigene Kapitelüberschrift – wert.

Rita Unfer Lukoschik Der Salon als kommunikations- und transfergenerierender Kulturraum
Il salotto come spazio culturale generatore di processi comunicativi e di interscambio.
Tagungsband.
München: Martin Meidenbauer, 2008 (Interkulturelle Begegnungen;Studien zum Literatur- und Kulturtransfer. 3).
333 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-89975-148-2.

Rezension vom 23.06.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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