Doch nichts bleibt wie es ist. Eines Tages ist der Eiserne Vorhang gefallen und der Grenzstreifen wird jetzt von der anderen Seite bewacht. Die österreichischen Bundesheerler wachen darüber, daß niemand illegal das Land betritt.
Als sich Großvater heuer zu seinem Riesenbovisten anschleicht, wird er von den eigenen Leuten aufgegriffen und muß sich ständig legitimieren. Aber nicht nur das, die neuen Herren haben den Riesenbovisten mutwillig zusammengetrampelt und im wahrsten Sinne des Wortes verheert.
Die Titelgeschichte aus El Awadallas feinnerviger Sammlung von Grenzbegebenheiten zeigt diese kleinen Veränderungen, denen Menschen im Grenzland ausgesetzt sind. Gerade am äußersten Ende des Gemeinwesens, verloren in der pannonischen Peripherie, ist es für die Protagonisten oft recht schwierig, mit jenen neuen Situationen fertig zu werden, die irgendwo im scheinbaren Zentrum der Machtfelder ausgeheckt werden. Für die Menschen am Rande gibt es nämlich keinen straff strukturierten Ausbildungsplan zur Gestaltung der Zukunft, die Figuren werden von jeder Gesellschaft dem Gefühl der Ausweglosigkeit überlassen.
El Awadallas Geschichten sind voll von Figuren, die von der Randlage ihres Daseins in die Stadt pilgern, um irgendwie in die Zone der Anerkennung zu gelangen, und dabei notgedrungen ihr Schicksal in sich hineinfressen.
In der Erzählung „der mörder“ mutiert ein Mädchen mutwillig zum Franz, weil die Eltern immer einen Buben haben wollten. „du hast deiner mutter die größte schande gemacht, weil du ein mädchen geworden bist, sagte großmutter oft zu franz, wenn er schlimm war.“ (S. 127) Sogar das miese männliche Geschlechtsorgan läßt sich semantisch irgendwie in die Sätze flicken, wenn es die vulgäre Sprache des Dorfes verlangt. Freilich dreht dieses Mädchen „franz“ eines Tages durch und setzt sich gegen seine Widersacher zur Wehr. Zur großen Verwunderung kommt Franz in die Frauenabteilung der Psychiatrie und wird endgültig gedemütigt und psychisch erledigt. Nicht einmal für die Rolle eines Mörders reicht es, aber wenigstens ist keine Reue gefragt, wenn jemand so schlechte Karten hat.
In der Geschichte vom „wunschkonzert“ fällt eine Moderatorin völlig aus der Rolle, als sie den Singsang von Schmus, Ohrwurm und Kitsch nicht mehr aushält und die Sendung mit einem schroffen Abgang ad absurdum führt. Freilich ist sie sofort ihren Job los, denn ungestraft verläßt niemand den Weg der Konvention. Aber vielleicht steht es dafür, einmal im Leben bis an die eigene Grenze zu gehen, denkt sie sich.
Unter dem Titel „wichtige frauen“ reflektiert eine sensible Frau, wie die offizielle Welt und ihre sogenannten wichtigen Würdenträgerinnen zusammenhängen. Die Kernfrage zielt auf das richtige Verhalten wichtiger Frauen ab. Was müssen Frauen tun, damit sie in einer bestimmten Gesellschaftsschicht für wichtig gehalten werden? So sehr die Beobachterin auch in der Floskelsprache herumtüftelt, ihre Definition wichtiger Frauen kommt letztlich über einen Kataster von Klischees nicht hinaus.
Die Pendlerin aus der ersten Geschichte „zweimal täglich“ hat schließlich jedes Gefühl für Zeit und Weg verloren. Wenn der Waggon verschmutzt ist, geht es Richtung Hauptstadt, denn dort wird er ab und zu gereinigt, wenn die Pendlerabfälle unter den Sitzen herumschwappen, ist die Pendlerin offensichtlich ziemlich bald zu Hause in der konturlosen Außenfläche der Gesellschaft. Der tägliche Weg ist letztlich nichts anderes als eine tägliche Verschmutzung.
El Awadallas Fallgeschichten vom nachrangigen Leben handeln vom sozialen Gefälle, das sich nur in der ironischen Perversion kurzfristig auflösen läßt. Die Geschichten lassen in ihrer beinahe sarkastischen Prägnanz keinen Zweifel daran, daß es ein Leben im sogenannten Hinterhof gibt, den die Scheinwerfer des Society-Journalismus selten ausleuchten. Bei El Awadalla kämpfen die Figuren tapfer ihren Kampf mit der jeweils zugeteilten Rolle. Sieg ist keiner in Sicht.