#Sachbuch

Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch

Marcus G. Patka

// Rezension von Christine Schmidjell

Nach der Monografie „Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1997“ erscheint nun als logische Fortsetzung eine Bild-Biografie des ‚rasenden Reporters‘ Kisch, herausgegeben vom nicht minder schnellen Kisch-Spezialisten Marcus G. Patka. Gleichzeitig dient der Band als Ausstellungskatalog für eine Sonderausstellung, die das Jüdische Museum in Wien vom 15. Mai bis 27. September 1998 gezeigt hatte.

Damit erhält der Journalist und Autor Kisch zu seinem 50. Todestag (gest. 31.3.1948) jenes mediale Echo, das ihm auch zu Lebzeiten gesichert war. Seine unermüdliche Tätigkeit als Reporter auf allen wichtigen (Kriegs-)schauplätzen seiner Zeit (Schreib das auf, Kisch), sein politischer Aktivismus gepaart mit einer exzentrischen Persönlichkeit um die sich zahlreiche Anekdoten rankten, ließen ihn – in der Zeit des Kalten Krieges im Westen zwar lange Zeit totgeschwiegen, im Osten hoch gelobt – als einen der großen Dichter, der er seinem Selbstverständnis nach war (Patka, S. 273), überleben.

Faszination übt Kisch nicht nur als Prototyp des Sensationsreporters und Aufdeckungsjournalisten (Spionage-Affäre um den Oberst Redl) aus. Als „Tscheche, Deutscher, Österreicher – Mitteleuropäischer Internationalist“ – so ein Zwischentitel aus Marcus G. Patkas kompaktem Essay Facetten rasender Zeit (S. 273-287) – repräsentiert er auch den Schriftsteller, der Heimatloser, Reisender und durch die Welt Getriebener ist.

Marcus G. Patka gelingt es in seinem Bildband überzeugend, die ‚bipolare Kunstfigur‘ (S. 386) Kisch zu fassen: äußerst umfangreichem Fotomaterial stehen treffende und erhellende Zitate aus seinen Werken und Briefen, Berichte von Freunden und Zeitzeugen, Zeitungsberichte, Rezensionen … bei. Gegliedert ist die Biografie in fünf Abschnitte, denen jeweils ein kurzer chronologischer Abriß vorangestellt ist.

Über den ‚privaten‘ Kisch erschließt sich dabei oftmals der Stellenwert seiner Außenaktivitäten. So belegen die mehr als 20 Zitate aus Briefen an Ernestine Kisch seine enge Bindung an die Mutter (die Briefe beginnen meist mit „Liebstes Mutterl“), geben im chonologisch-dokumentarischen Stil aber auch Auskunft über seine reelle Einschätzung verschiedener Lebenswirrnisse (z. B. seine Festungshaft in Spandau 1933, S. 139). Und daß er 1937 ein Parteiverbot riskierte, weil er monatelang seine sterbende Mutter betreute, kehrt Kischs „menschlich rührende Züge“ (Margarete Buber-Neumann, S. 183) hervor.

Patkas Textauswahl besticht durch die geschickte Abmischung von persönlichen Erinnerungen und Dokumenten (z. B. Begegnung mit dem Jugendidol Karl May, S. 22f.) sowie Textauszügen zur sozialen und historischen Entwicklung der Lebenswelten Kischs. In der Kontrastierung von oft bislang unveröffentlichtem Bild- und Textmaterial erschließt der Herausgeber einmal mehr ungekannte Facetten eines äußerst gut dokumentierten Autorenlebens.

Erstaunlich ist aber in der Gesamtschau, daß der ‚Mädchenhirt‘ (so auch der Titel seines frühen Romans aus dem Prager Rotlichtmilieu, vgl. S. 46f.) und Ehemann ‚Egonek‘ so sehr ins Hintertreffen geraten sind. Selbst dort wo Fotos reichlich zur Verfügung gestanden wären (z. B. bei Irmgard Keun oder Erika Mann, die mit Kisch im Exil befreundet waren) wird darauf verzichtet. Auch die zwanzigjährige Beziehung mit Gisela Lynner, die Kisch immer begleitete und seine Texte tippte, läßt Patka mit nur drei Fotos festhalten.

Zwar erfüllt der Band den Anspruch einer bebilderten Biografie für jeden an Kisch Interessierten, literaturwissenschaftliche Akribie sollte an den Band nicht gelegt werden. Bildunterschriften stehen mitunter widerspüchlich zum Text im Abschnittsüberblick und fehlen gegen Buchende vollends. Ein – unlesbares – Faksimile einer Handschrift Kischs liefert auch mit der Betitelung „Selbsterkenntnis im Zellenarrest“ (S. 30) keinerlei entschlüsselnde Angaben. Auch im Register häufen sich Fehler und schmälern damit seine Brauchbarkeit.

So verdienstvoll und gelungen nun diese Bild-Biografie zum Leben des ‚rasenden Reporters‘ Kisch ist: sie trägt leider auch die Spuren einer allzu eilfertigen, unpräzisen Arbeit um der Aktualität willen, die Kisch zu seinem Jubiläum nicht ganz gerecht wird.

Marcus G. Patka Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch.
Eine Biographie in Bildern.
Mit einem Vorwort von Hellmuth Karasek.
Berlin: Aufbau-Verlag, 1998.
304 Seiten, gebunden, mit Abbildungen.
ISBN 3-351-02472-X.

Rezension vom 14.05.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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