#Roman

Der Posamentenhändler

Koytek & Stein

// Rezension von Sabine Schuster

Koytek & Stein sind eine Firma, nicht in der Textilbranche wie ihre tote Romanfigur am Buchcover, sondern in Sachen Kunst. Schreibwerkstatt, Atelier und Musikwerkstatt – www.koytek-stein.at.
Lizl Stein macht die Musik, Georg Koytek malt, und weil die beiden ein Paar sind, betreiben sie nun die dritte Disziplin, nämlich das Schreiben, gemeinsam. Durchaus ernsthaft, wie ihr 470-Seiten-Krimidebut zeigt.

Koytek & Stein – der Name erinnert unwillkürlich an „Fruttero & Lucentini“, Italiens jahrzehntelang erfolgreiche „Firma“ für Kriminalliteratur. Deren Erfolgsrezept schien ganz einfach: ein guter Plot, hintergründige Gesellschaftskritik und viel Italianità. Zutaten, die auch Koytek & Stein reichlich verwenden, mit einem kleinen Unterschied: Wir sind in Wien, noch dazu ist November – ja, auch im Buch!

Koytek & Stein haben einen Kriminalroman von wahrhaft barocker Fülle geschrieben, der sich ebenso gemächlich wie bilderreich vor dem Leser ausbreitet. Der alte Posamentenhändler Heinrich Novak, der letzte Vertreter seiner Zunft in Wien, gibt dem Buch seinen Titel, und die Antiquiertheit seines bereits ausgestorbenen Berufes weht einen ebenso kühl an wie die seltsame Starre, in der die Familie nach seinem gewaltsamen Tod verharrt. Heinrich Novak wurde in seinem Geschäft erdrosselt, und ein vermeintlicher Mörder aus der Drogenszene ist bereits in Haft, als Sophie, die ältere Tochter des Ermordeten, das Büro des Privatdetektivs Conrad Orsini aufsucht. Nicht jedoch wegen des Verbrechens, sondern weil sie vermutet, ihr Bruder wolle sie um ihr Erbe betrügen.

Diese erste Szene ist kunstvoll arrangiert und ganz der Ästhetik und Abgründigkeit des Film Noir geschuldet. Wenn Sophie die 78 Stufen zu Conrad Orsinis Büro hinaufsteigt und mit ihr die Novemberkälte wie ein Nebel in das alte Stiegenhaus kriecht, bringt sie die verborgensten Geheimnisse ihrer Familie atmosphärisch mit. Orsini horcht oben auf den Klang ihrer Schritte – ein heimliches Vergnügen – und malt sich seine Besucherin detailliert aus, bevor sie schnaufend an seiner Tür kingelt – nein: schellt. Ein Ausdruck, der nicht nur zur resoluten, aufgedonnerten Dame passt, die nun erscheint, sondern der auch den Ton jener ganzen im Verschwinden begriffenen alten Wiener „Grätzel“-Welt einfängt, in der Orsini nun zu ermitteln beginnt.

Anfangs irrt der einsame und sozial verwahrloste Detektiv wenig appetitlich in einer Dunstwolke aus Alkohol, Gulasch und Erbrochenem durch den tristen Wiener Nieselregen und tritt dabei im Schlamm von Baustellen und dunklen Innenhöfen derart ausgiebig auf der Stelle, dass man als LeserIn einiges an Geduld und zwischendurch auch mal ein Bier braucht, ohne das beim Ermittler ja rein gar nichts geht.

Entschädigt wird man mit einem lebendigen Panorama des siebten Wiener Gemeindebezirks, den das AutorInnenduo mit großer Liebe zum Detail beschreibt, ohne sich von der nebenbei wartenden Krimihandlung im Geringsten stören zu lassen. So entsteht zwischen Alkoholexzessen und einem verwegenen Schlagabtausch mit der Baumafia eine beinah wehmütige Hommage an das alte Wien rund um Brillantengrund und Schottenfeldkirche. Der traditionelle Bezirk der Seidenfabrikanten mit seiner wechselvollen Geschichte – zahlreiche Betriebe des Stadteils waren einst im Besitz jüdischer Familien – ist heute nicht nur im Roman ein lukratives Betätigungsfeld von Bau- und Immobilienfirmen. Einige verbliebene Kleinbetriebe wie Friseurladen, Kohlenhändler, Antiquitätengeschäft, Trafik, Kaffeehaus und Beisl werden zum Zentrum der Ermittlungen. Die Lokale sind authentisch und ein kleiner Spaziergang reicht aus, um die Wege Conrad Orsinis im Bezirk zu verfolgen.

Während dieser mit mehr Glück als (nüchternem) Verstand und mit tatkräftiger Hilfe seiner Ex-Freundin Paula die Nachtseiten des Baugewerbes kennenlernt, fließt beiläufig ein ganz anders Motiv in die Geschichte ein. Paula, die im Polizeidienst Karriere macht, hat inzwischen ein Kind, vielleicht sogar SEIN Kind? Die Familie wird plötzlich zum Leitmotiv – eine steinerne Vater-Mutter-Kind-Gruppe über einem Hausdurchgang lässt Orsini immer wieder innehalten und in Gedanken versinken. Da sind Paula und ihr Kind, und dort die wie versteinert wirkende Familie des Ermordeten: kranke Witwe, gebrochener Sohn, aus dem Elternhaus geflohene Töchter, geheimnisvolle Kindernamen auf einem Grabstein …

Das Netz an Geschichten ist sehr dicht und füllt die vielen Seiten mühelos, schade ist nur, dass die AutorInnen vor allem in der ersten Hälfte des Buches stilistisch manchmal aus dem Tritt geraten, etwa bei der Beschreibung der beiden Kohlenhändler: Rußgeschwärztes Gesicht und blinkende Goldzähne – in Ordnung, aber warum müssen weiter hinten „ausgebuddelte Löcher auf die modernen Schatzgräber in ihren Hightech-Ambulatorien“ warten? Ganz zu schweigen vom Kollegen „Silberrücken“, dessen Gorillahaftigkeit eine Spur überstrapaziert wird.

Vielleicht war ja der Spaß an der gemeinsamen Arbeit schuld an manchem Kalauer? Eine nette Vorstellung, und zugleich das Eingeständnis, dass dieses zweisame Schreiben in vielerlei Hinsicht neugierig macht: Wie schreibt ein Paar gemeinsam? Wer hat die Ideen, wer führt sie aus? Machen beide beides? Streiten sie dabei? Und wie wächst das alles zusammen? Fragen über Fragen, aber natürlich eine ganz ungebührliche biografische Neugier!

Mit Fortschreiten der Handlung gewinnt das Erzählen an Ruhe, und je tiefer man in die letztlich sehr spannende (Familien-)Geschichte eintaucht, desto funktioneller und im besten Sinne kunstloser wird die Sprache. Das tut dem Roman gut und wird sich bestimmt auch in weiteren Koytek & Stein-Krimis bewähren.
Neugierig macht dieses Debut auf jeden Fall.
Und schön gemacht ist das Buch auch, wie aus dem Atelier!

Koytek & Stein Der Posamentenhändler
Kriminalroman.
Graz: Leykam, 2010.
471 S.; geb.
ISBN 978-3-7011-7701-1.

Rezension vom 15.11.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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