#Lyrik

Der Ort ist nicht mehr

Bernhard Kainerstorfer

// Rezension von Eva Reichmann

Die Gedichte des Linzer Autors Kainerstorfer sind formal sehr unterschiedlich; sie sind lyrisch und erzählerisch, allegorisch und konkret.
Besonders gut ist Kainerstorfer in den Gedichten, in denen er Geschichten erzählt und sich auf einen konkreten Lebensbereich bezieht. In Bruno (S.18-24) etwa stellt er die Geschichte eines geistig zurückgebliebenen Knaben dar, der von den Erwachsenen mit Most und Bier ruhiggestellt, von den übrigen Kindern gemieden und gequält, von Therapeuten und seiner Umwelt falsch verstanden wird. Neben die Beschreibung Brunos in der Wahrnehmung durch seine Umwelt schaltet Kainerstorfer Brunos Sicht der Dinge und analysiert so dessen Hang zu Aggressionen.

Im abstrakten Bereich wirken Kainerstorfers Bilder jedoch oft aufgesetzt und gewollt: „Entfernt vom Morgenkuß wo Tinte so / schwarz getrocknet zum klebrigen Ekel geworden ist“ heißt es etwa in „Das Leben in Dunkelheit“.
Die Stimmung der meisten Gedichte ist eher düster und schwermütig, eine Endzeitstimmung, ohne Hoffnung und Licht – auch wenn Kainerstorfer an den Beginn eine „Mondbeschau“ setzt: Der Mond ist eine Utopie mit fast menschlichen Zügen, er ist Quelle des Lebens, aber auch Mythos; doch zwischen aller Mystik und Faszination betrachtet Kainerstorfer ihn ganz naturwissenschaftlich und stellt die Aktionen der NASA und ihrer Astronauten dem mythenumwobenen Einfluß des Mondes gegenüber. Denn von der Romantik des Mondes steht für Kainerstorfer fest: „Tausende Liebespaare waren / ihm schon auf den Leim gegangen / dem Mondgesicht“ (S.10).

Doch auch humorvoll kann Kainerstorfer sein. „Ich fiel“ ist ein Liebesgedicht. „Ihre Brüste machen mich botanisch“ (S. 40) heißt es da, oder „meine Seele ist so verwinkelt / als wäre ihr Architekt besoffen gewesen / ich werde den Zeichner beim jüngsten Gerichtsstand verklagen“ (S. 39).
In den drei Träumen der „Prospektionen“ genannten Gedichte stellt Kainerstorfer viele Gegensatzpaare auf, die er entsprechend charakterisiert. Den Reichen „Kreditkarten goldener Herkunft“ stellt er die „Knochengespenster / eingefallene[n] Rippen / stinkende[n] Bärte und lumpenbehangene[n] Schultern“ der Armen gegenüber, dem zum Tode Verurteilten den Selbstmörder, den unheiligen Nonnen („Nonnen zertreten Gottes Hoden / Nonnen berühren sich unentdeckt zwischen / Mauern der stillen Klausur“) die „heiligen“ Huren des Straßenstrichs („Huren halten die Hände und Lippen bereit / sie zeigen ihr Haar / Engel bedrängen sie immer zu dem was gewesen sein wird“). So entwirft er ein Bild aller Lebensbereiche, das nur aus dem Antagonismus aller Aspekte besteht.

Bernhard Kainerstorfer scheint für seine Lyrik noch keine Richtung gefunden zu haben. Die sprachlich, formal und inhaltlich stark unterschiedlichen Gedichte zeigen einen Autor, der seinen Weg in der Lyrik noch sucht und sich in verschiedensten Weisen ausprobiert.

Bernhard Kainerstorfer Der Ort ist nicht mehr
Gedichte.
Paderborn (Oldenburg): Igel Verlag Literatur, 1997.
79 S.; brosch.
ISBN 3-89621-061-0.

Rezension vom 02.06.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.