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Der Neubauer

Cordula Simon

// Rezension von Gerald Lind

Zornig, zynisch und ein bisschen ungut. Das ist der namenlose Ich-Erzähler in Cordula Simons viertem Roman Der Neubauer. Ohne Geld in dysfunktionaler Familie aufgewachsen, dafür rhetorisch gewandt und nie um eine gut klingende Lüge verlegen, schummelt er sich in eine Clique betuchter Oberschichtkinder. Sein Plan, auf diese Weise am Wohlstand der anderen mitzunaschen, ist jedoch nicht ohne weiteres umsetzbar.

Die Wohlbestallten sind selbst des Öfteren knapp bei Kasse. Oder tun zumindest so: „Es sind doch immer die Gleichen, die erst behaupten, kein Geld zu haben, und dann drei Monate in der Südsee Urlaub machen.“ (51) Der Erzähler ist also auf Gelegenheitsjobs angewiesen, um sich selbst über Wasser und seine anspruchsvolle Freundin – die Tarán – bei Laune zu halten. Als er jedoch überraschend seine Stelle als Regalbetreuer im Supermarkt verliert und die Wohnungsmiete nicht zahlen kann, steht er auf der Straße. Unter dem Vorwand, von der Mafia verfolgt zu werden, versucht er, bei seinen „Freunden“ unterzukommen. Keine gute Idee, wie sich bald herausstellt.

Die dramaturgische Reibefläche des Neubauer ist die Außenseiterperspektive seines Erzählers. Was materiell wohlbestallten Bürgerskindern als selbstverständlich erscheint, zeigt sich aus Sicht eines benachteiligt Aufgewachsenen als unverdiente Privilegiertheit. Hinter den Fassaden von politischer Korrektheit und Weltverbesserungsattitüde erkennt er, aus innerer Distanziertheit beobachtend, Standesdünkel, Hedonismus und Gefallsucht: „Moni erzählte, wie sie bei Prêt à Manger eine Frau zurechtgewiesen hatte, die sich über die Wartezeit beschwerte, schließlich verhungern auf dieser Welt auch noch irgendwo Kinder. Moni ließ sich dafür feiern. Alle im Prêt à Manger hätten applaudiert. Man stieß auf sie an.“ (140f) Der Erzähler braucht folgerichtig auch selbst kein schlechtes Gewissen zu haben. Zwar gibt er vor, etwas zu sein, was er nicht ist. Aber das machen – offensichtlich – alle anderen ebenso.

Ein Hochstapler zu sein hat durchaus gewisse Vorteile. Man kann sich zum Beispiel die Welt zurechtlügen, wie man es gerade braucht. Allerdings hat es auch einen entscheidenden Nachteil: „Erführe die Tarán, dass ich nicht zu dieser Brut gehöre, weder durch Geburt noch durch Arbeit, sie würde mich verlassen.“ (50) Diese Angst vor Diskreditierung beschreibt auch Didier Eribon in seiner autobiographischen Analyse Rückkehr nach Reims. Eribon verleugnete seine proletarische Provinzfamilie, um in Pariser Intellektuellenzirkeln akzeptiert zu werden. Der Erzähler in Simons Roman hat jedoch – im Unterschied zum Soziologen Eribon – keine reale Aufstiegschance. Er wird nie „rechtmäßig“ zur Oberschichtclique gehören. Die Hingezogenheit zur Gruppe ist bei ihm dauerhaft überlagert: Vom zynisch-zornigen Hass auf die Privilegiertheit der Anderen und dem (weniger deutlichen, aber wohl umso wichtigeren) Hass auf die eigene Benachteiligung und Zurückgesetztheit. Positiv besetzte Gegenidentitäten (bei Eribon ist es seine Homosexualität) gibt es für Simons Erzähler nicht. Solidarität mit anderen, denen es ähnlich wie ihm ergeht, genauso wenig.

Der Erzähler ist – Geld kann Hirn nicht ersetzen – nicht nur intelligenter (oder zumindest kleverer) als die höheren Söhne und Töchter. Er hat auch eine besondere Gabe: Ist Alkohol im Spiel, kann er Gedanken lesen. Mel Gibsons Macho in What Women Want kann das auch (ohne Alkohol, dafür nur bei Frauen). Simons Idee ist also popkulturell anschlussfähig. Erzählmöglichkeiten ergeben sich aus solch einer Konstellation auf jeden Fall mannigfaltig. Eine Röntgenaufnahme des Bobo-Soziotops könnte damit erstellt werden, mit Schein und Sein und den Grautönen dazwischen. Bei Der Neubauer hat man allerdings den Eindruck, dieses magische Element wäre gar nicht notwendig gewesen. Der Erzähler weiß sich auch ohne Telepathie gegen die Doppelmoral der Kinder aus bestem Hause recht wirkungsvoll zu wehren. Zumindest bis zum großen Showdown.

Wie alle bisherigen Romane Cordula Simons hat auch Der Neubauer Witz, Tempo und überraschende Wendungen. Mit Verve und ohne unnötige Schnörkel geschrieben, ist das Buch ein Pageturner, den man nur schwer wieder aus der Hand gibt. Außerdem hat der Roman eine Qualität jenseits der Kritik an Gerechtigkeitsrhetorik und Nachhaltigkeitsgeschwafel sozial Bessergestellter: Er ist auf geradezu unerschrockene Weise mit scheinbar banalen Sinnsprüchen gespickt, die bei genauerer Betrachtung mehr Stoff zum Nachdenken bieten als so manche philosophische Abhandlung. So lautet das bei jeder Frage nach dem Befinden ausgepackte Motto des Ich-Erzählers: „Schlechten Menschen geht es immer gut.“ (10) Und dazu kann man nur sagen: Stimmt doch, oder?

Der Neubauer.
Roman.
Salzburg, Wien: Residenz Verlag, 2018.
200 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-7017-1685-2.

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Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 19.02.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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