#Roman

Der Moddetektiv

Christopher Just

// Rezension von Marcus Neuert

Wieviele Bücher gibt es nicht bereits über in die Jahre gekommene Jugendsubkulturen, die ihre besten Zeiten seit Dekaden hinter sich haben und doch, gleichsam wie die fledermausartigen südosteuropäischen Aristokraten, nicht sterben können? Nun ist es natürlich irgendwie uncool, ausgerechnet die Nichtablebensfähigkeit transsylvanischer Blutsauger – zumal in der stilistischen Gespreiztheit eines solchen Satzes – mit literarisch hippen Hervorbringungen vom Schlage des Moddetektivs zu vergleichen, aber genau dieser Auftakt einer nicht ganz unverkrampften Buchkritik illustriert auf anschauliche Weise den überbordenden Duktus, den der vermeintlich zwanghaft zwischen juveniler und altväterlich wirkender Attitüde hin und her pendelnde Autor seiner basserstaunten Lesergemeinde da präsentiert.

Dennoch entpuppt sich dieses im Untertitel forsch als Kultroman bezeichnete Prosakonvolut als nicht so schwer lesbar, wie es der soeben angestellte Versuch des Rezensenten, sich am Grundton von Der Moddetektiv zu orientieren, vermuten läßt. Christoper Just, bislang vor allem als Komponist von tanzbaren Elektronikspektakeln unter eigenem Namen und diversen Pseudonymen aufgefallen, hat mit seinem ersten Roman gleich ein im besten Sinn des Wortes hemmungsloses Buch vorgelegt, das vor Selbstironie nur so strotzt.

Kulisse für den Plot ist ein mit allerlei irrealen Schauplätzen angereichertes Wien der Jetztzeit, das mit Versatzstücken aus London und anderen Orten des angesagten Weltgeschehens kombiniert wird. Im Mittelpunkt steht die Lebensart der sogenannten Modernists, abgekürzt Mods, die ursprünglich aus der unteren britischen Mittelschicht der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts stammten und in den Achtzigern und Neunzigern ein Revival feiern konnten. Auch die zweite Generation ist nunmehr bereits um die fünfzig, liebt jedoch immer noch ihren alten Parka, der beim Vespafahren die darunter steckende Markenedelklamottage schützen soll, und analoge schwarze Scheiben von The Who. In Daueropposition befinden sich die sich leicht stutzerhaft gebenden Mods zu den Teds, die wiederum auf Nu-Nile-Tollen, Petticoats und Rockabilly abfahren und mehrheitlich der Arbeiterklasse entstammen. Dabei sind die Mods nicht mit der Bewegung der Popper zu verwechseln, die ihren hedonistischen Eure-Armut-kotzt-mich-an-Lebensstil in den Achtzigern entwickelten und ursprünglich der Hamburger Upper Class entsprangen. Dieser kurze Ausflug in die gruppendynamischen Befindlichkeitsgefilde ist für das Verständnis des Buches leider wirklich wichtig, denn wer keinen Spaß an den diffizilen Unterscheidungsmerkmalen der beschriebenen sozialen Filterblasen hat, wird mit dem Stoff wohl nicht so ganz warm werden. Christopher Just macht es allerdings mit überaus launigen diesbezüglichen Rekursen seinem Publikum recht einfach, auch bei einem wie im Falle des Rezensenten verheerenden Mangel an Vorwissen.

Vor diesem poppig-schillernden Retro-Hintergrund spult sich nun die relativ simple Handlung ab, von der von Anfang an klar ist, dass sie hinter dem opulenten Erzählduktus und der sich aus stimmigen Charakteren, Orten, Moden und Musik speisenden Atmosphäre des Romans zurückzustehen hat. Dennoch seien ein paar Worte an dieser Stelle über sie verloren, da sie, wenn schon nicht das Fleisch, so doch wenigstens das abzunagende Gebein der immerhin rund 500 Seiten starken Kriminalhybride darstellt, um im blumigen Jargon des Autors Christopher Just zu verweilen. Augustin Johnny Sandemann ist „Der Moddetektiv“, eine schillernde Persönlichkeit, die auch im mittleren Lebensalter gut angezogen, rollerfahrend und ständig unter Amphetaminen stehend, als privater Ermittler in den Diensten des Vienna Police Department mit so illustren Kriminalisten wie dem zungenbrecherisch-zwielichtigen Lieutenant Lou Tennant-Tanner oder dem Peter-Falk-Double Inspector Krambambo zusammenarbeitet. Ein drogendealender Mod wird auf sehr merkwürdige Weise ermordet, die Spur führt zunächst zu den rivalisierenden Teds, bald jedoch schon in die vertrackt undurchsichtige Immobilienszene, in welcher das Gebrüderpaar Arnold und Emerald Westminster III. den großen Coup zu planen scheinen. Dabei pflastern mithilfe einer perfiden Schallwellenwaffe und polizeiinterner Unterstützung um die Ecke gebrachte Konkurrenten ihren Weg, und der Moddetektiv steht vor kniffligen Ermittlungen, die er aber mithilfe seines unverschämt guten Aussehens, seiner unschlagbaren Intuition und einer frauenverführenden Witzigkeit, die keinerlei Mindesthaltbarkeitsdatum unterliegt, bravourös zu lösen versteht.

Mehr Handlung ist eigentlich nicht, dennoch wäre es vermessen zu behaupten, der Rest der wie schon erwähnt nicht unbeträchtlichen Menge bedruckten Papieres gehe allein für die minutiöse Beschreibung des moddetektivischen Kleiderschrankinhaltes, beziehungsreicher Songuntermalungen der jeweiligen Szenerie und den ganzen durch den Kakao gezogenen eklektisch-popkulturellen Schnickschnack drauf, den ein dem geistreichen Schenkelklopfen verpflichteter Roman heute eben so mitbringen muss, um sich in der Flut schrill-literarischer Ergüsse behaupten zu können. Unglaubliche, das Altmodische persiflierende und gestelzte Satzkonstruktionen wechseln andauernd mit jugendsprachlicher Nonchalance ab, und immer wieder sieht sich die Just’sche Leserschaft erzähltechnischen Finessen ausgesetzt, die irritierende und urkomische Wirkung entfalten, etwa wenn aus zunächst unerfindlichen Gründen für einige Seiten der Erzähler ausfällt und sich die Handlung nur noch in Form geschraubter Dialoge fortsetzen kann, in welche die normalerweise von einer perspektivischen Instanz kommentierten Handlungen von den drei betroffenen Figuren integriert werden müssen: „…also ich, der Inspector sage, dass ich eine gute Neuigkeit habe, was den Lieutenant betrifft.“ – „Dann sage ich erst einmal nichts, blicke Sie aber erwartungsvoll an.“ – „Ich auch… also ich, der Thompson.“ Wenige Seiten später nimmt der Erzähler unauffällig seine Tätigkeit wieder auf, und die Ermittler folgern aus einigen Details messerscharf, dass er inzwischen auf der Toilette gewesen sein muss und verwerflicherweise überdies im Stehen gepinkelt hat. Darauf muss man (als Autor, nicht als Ermittler) erst einmal kommen.

Auch mit Selbstzitaten aus vorhergehenden Passagen bekommt man es zu tun, die ausgerechnet dann ellenlang ausgebreitet werden, wenn sie in besonderem Maß auf die Ungeschicklichkeit der Erzählinstanz verweisen und diese den Ball wiederum an die scheinbare Unfähigkeit des Autors weiterspielt. Das zeugt von Justs erfrischender Selbstironie, ebenso wie der Umstand, dass in einer Szene gar eine Figur mit dem Namen des Autors in dessen Funktion als DJ und Komponist vorkommt, die von der Leserschaft eindeutig negativ wahrgenommen werden muss. Diese Durchdringungen der unterschiedlichen Erzählebenen sind natürlich keine Zufälle, sondern sorgsam geplante Verwirrspiele, mit denen es Just gelingt, seinen diegetischen Weltentwurf stets spannend zu halten: immerzu kann im nächsten Moment alles Undenkbare geschehen. So bezahlt man im fiktiven Wien des Autors mal mit Dollars, mal mit Pfund oder Schilling (auch so ein Retro-Effekt) und schnupft sein Kokain in der folgenden Szene durch einen gerollten Zwanzigtausend-Yen-Schein, es gibt erfundene Straßen wie die One Police Plaza oder die Strozzi Avenue und andere an alte Krimis gemahnende Anglizismen, aber auch Verballhornungen wie die „Kritzenvillage Swamplands“, die sich unschwer als heiterkeitserregende Ableitung eines hochwassergeschädigten Wiener Vorortes lesen lassen. Zum Personal gehören beispielsweise auch sprechende Siamkatzen und ein sich im Lotussitz fortbewegender David Lynch, und mitunter sorgen absurde anagrammatische Verwechslungen für eine zusätzliche Beeinträchtigung der Wahrnehmungsbalance.

Just versteht es durchaus, sein Publikum mit tausend solcher Kleinigkeiten auf Trab zu halten, und doch stellt sich nach etwa 200 Seiten ein gewisser Ermüdungseffekt ein. Vielleicht ist dem menschlichen Geist nur eine bestimmte Menge an Schrillheiten zumutbar? Oder vielleicht einfach nur dem des Rezensenten? Doch nach kurzem Durchhänger nimmt dieses gewaltige Opus aus Kitsch, Kunst und Klimbim wieder rasant an Fahrt auf, wobei sich der eigentliche Fall auf eher vorhersehbare Weise zum Schluss fügt, während kunstvoll gesponnene Detailfäden in unerwartete und meist komisch-abstruse Auflösungen münden.

Es steht höchlichst zu vermuten, dass der Autor Christopher Just (gesetzt, es handelt sich bei ihm selbst um einen Mod) genügend Stil besitzt, sich trotz des zu erwartenden kommerziellen Bucherfolges des Verfassens einer Fortsetzung von Der Moddetektiv zu enthalten, um sein geneigtes Publikum nach angemessener Wartezeit mit etwas literarisch völlig anderem zu überraschen.

Christopher Just Der Moddetektiv
Kultroman.
Wien: Milena, 2017.
504 S.; geb.
ISBN 978-3-902950-92-5.

Rezension vom 26.06.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.