#Prosa

Der Mann, der die
Mandelbäumchen malte

Johannes Mario Simmel

// Rezension von Arno Rußegger

Fast scheint es, als könnte Johannes Mario Simmel kurz vor seinem 75. Geburtstag im nächsten Jahr nicht mehr länger warten, sich selbst ein Geschenk zu machen und seiner Leserschar einen Text ans Herz zu legen, der schon rein äußerlich wie ein Kleinod anmuten soll. Unweigerlich kommt einem in den Sinn, es müsse wohl etwas Besonderes sein, wenn jemand, der sich als Bestsellerautor von Monumentalromanen international einen Namen gemacht hat, eine kaum 120 Seiten umfassende Erzählung veröffentlicht. Darf man sich endlich auf „Simmel pur“ freuen, ein essentielles Alterswerk, befreit von all der Kolportageroutine und Abschreibschlacke, die ihm von der Kritik häufig vorgeworfen worden sind? Ist mit der Verminderung der Quantität diesmal eine Steigerung der literarischen Qualität verbunden – anders als im Falle von Zweiundzwanzig Zentimeter Zärtlichkeit (1979) und Die Erde bleibt noch lange jung (1981), als das Publikum mit Potpourris verschiedenster Kurzgeschichten „aus dem Archiv des langjährigen Journalisten“ (Klappentext) konfrontiert worden ist?

Der Mann, der die Mandelbäumchen malte spielt, zumindest in der Rahmenhandlung, 1983 im Süden Frankreichs. Der Ich-Erzähler namens Roger Royan ist Anfang fünfzig und seines Zeichens, wie so oft bei Simmel, ein verkappter Schriftsteller. Wider besseres Können produziert er lieber anonym und im Kollektiv den „allerletzte[n] Dreck“ (S. 19) von Heftchenromanen als anspruchsvollere Literatur, die niemand kauft. Das große Geld verdient er heimlich im Filmgeschäft als sogenannter „Ausputzer“ (S. 86), der immer dann zu Hilfe gerufen wird, um ein Drehbuch zu überarbeiten, wenn ein kunstversessener und/oder seiner Hauptdarstellerin hemmungslos verfallener Regisseur ein Skript in einem Ausmaß verändert hat, daß die gesamte Produktion bankrott zu gehen droht.

Selbstverständlich ist Royan auch der typische Weiberheld, dem die Jüngsten und Schönsten stets nachgelaufen sind. Ernstlich verscherzt hat er es sich mit den Frauen allerdings nie, vielmehr genießt er je aufs neue deren Vertrauen. Während einer Zugfahrt Richtung Cannes lernt er deshalb die gestandene Mittfünfzigerin Roberta Collins kennen, die (ebenfalls in typischer Simmel-Manier) gerade beschlossen hat, ein neues Leben zu beginnen, und geneigt ist, ihr Innerstes zu offenbaren.

So wird in Form einer Binnenerzählung die Grundlage gelegt für eine Lektion über die Romantik und den Irrwitz, den Wahn und die Wahrheit, die gleichzeitige Dauer- und die Momenthaftigkeit der Liebe. Wer Simmels bewährter „dialectical correctness“ etwas abzugewinnen vermag, einen Sinn für melodramatische Umschwünge hat und glaubt, daß sich das Leben ganz umstandslos in Worte kleiden läßt, wird bestimmt wieder auf seine Kosten kommen – obwohl keine action, keine Verbrecherkartelle, keine apokalyptischen Szenarien, ja nicht einmal ausschweifige Sexszenen aufgeboten werden.

Der eingefleischte Simmel-Kenner wird freilich dessen Handschrift an vielen stilistischen Eigentümlichkeiten ohne weiteres wiedererkennen. Das bezieht sich beispielsweise auf Simmels beliebte Rechenspielereien mit Jahreszahlen, Alters- und Zeitangaben, die er seit seinen schriftstellerischen Anfängen in die Texte einzubauen pflegt, um selbst den Faden in den meist mehrfach ineinander verschachtelten Rückblenden nicht zu verlieren; auf Wiederholungen und erzähltechnisch-grammatikalische Unsauberkeiten, die trotzdem nicht zu vermeiden sind; auf in Klammern gesetzte Kommentare des Autors, die überhaupt nicht zur Erzählkonstruktion gehören, es aber ermöglichen, ideologische Seitenhiebe anzubringen (die nicht selten gegen moderne Kunst gerichtet sind; vgl. S. 26); auf musikalische Untermalungen bestimmter Szenen; auf allgemeine Belehrungen und sachbuchartige Erläuterungen; zu guter Letzt auf die vielen motivischen und metaphorischen Klischees, die bedient werden (wenn z. B. von einem Lächeln die Rede ist, „als gehe die Sonne auf“ (S. 14); oder vom Mondlicht, das alles „wesenlos und unwirklich“ (S. 27) mache; oder von den Bewegungen eines Tänzers, denen etwas „raubtierhaft Geschmeidiges und dabei überaus Zärtliches“ (S. 29) anhafte; oder ein trotteliger Ehemann auftritt, der seine Gattin dem Liebhaber geradezu in die Hände treibt, dafür aber unerhörtes Glück im Spiel hat, usw. usw.).

Höhepunkt der Mutwilligkeit, alles explizit zu machen, ist einmal mehr die Erklärung des Schlüsselmotivs vom gemalten Mandelbäumchen als eines „Symbol[s] der Hoffnung“ (S. 21). Eine Hoffnung erfüllt sich allerdings nicht: Das vorliegende Buch repräsentiert keinen wirklich neuen, sondern nur den neuesten Simmel, der sich ein wenig anders gibt.

Der Mann, der die Mandelbäumchen malte.
München: Droemer Knaur, 1998.
119 Seiten, gebunden.
ISBN 3-426-19485-6.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 17.08.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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