#Roman
#Prosa

Der Liebesdilettant

Andreas Tiefenbacher

// Rezension von Erkan Osmanovic

„Er wollte einer sein, der souverän über den Dingen stand – und über der Liebe.“ (66) Doch statt sein Leben von einer inneren Aussichtsplattform zu bewundern, blickt er Richtung Abgrund. Wenzel Wurm, 28 Jahre alt, rettet als Zivildiener beim Roten Kreuz alten, verletzten oder kranken Menschen das Leben. Doch wer rettet ihn?

Zwischen Dialyse-Patienten, Besuchen im Altenheim und Unfallopfern übersieht er die größte Unfallstelle: sein Liebesleben. Seine Freundin Marion joggt lieber, anstatt mit ihm zu sprechen und zeigt sich auch in physischer Hinsicht abweisend. Und was macht Wenzel? Statt nachzubohren trinkt er lieber ein, zwei, viele Biere und flüchtet sich in seine Kindheitserinnerungen. Doch auch die sind nicht rosig. Von strengen Tischmanieren bis hin zu Komplexen wegen mangelnder Körpergröße. Wenzel hatte es nie leicht. Und dann ist auf einmal Schluss. Alles zu viel. An einem einsamen Nachmittag will er sein Leben abreißen: „Wenzel verschwand in der Wohnung. Holte zwei Flaschen Bier aus der Küche. Hastete weiter ins Bad. Riss das Rasiermesser vom Etagere. Stieg in die Badewanne. Ließ warmes Wasser ein. Setze sich und schnitt sich der Länge nach den Unterarm auf.“

Doch es ist noch nichts vorbei – weder sein Leben noch der Roman. Der 1961 in Bad Ischl geborene Andreas Tiefenbacher wagt sich mit Der Liebesdilettant erneut an die Romanform heran. Sein letzter Roman Christbaumcrash liegt schon fünf Jahre zurück – doch er kann es noch. Und so lässt Tiefenbacher Wenzel tief fallen, aber auch wieder auferstehen. Nach einem Krankenhausaufenthalt mit anschließender Therapie fasst er neuen Lebensmut. Die graue Decke seines Gemüts soll neu gestrichen werden. Helle Farben müssen her. Also auf nach Griechenland, aber nicht allein. Nein, der Urlaub wird die Beziehung zu Marion wieder kitten, ganz bestimmt. So zumindest die Blaupause: „Plötzlich schaute es aus, als ob doch noch alles gut werden könnte. […] Und nach Schock und Arbeit war ein wenig Ausspannen, Flanieren und Baden im Meer (wie er sich ganz fest einredete) vielleicht gar nicht einmal so schlecht, ehe es für sie wieder zurück an den Schreibtisch in der Kurverwaltung und für ihn auf die Suche nach einem neuen Job ging.“

Kaum angekommen, offenbaren sich Fehler in der Durchführung. Wenzel findet sich immer öfter allein in der Hotelbar wieder. Der Bauplan für sein neues Leben: misslungen. Doch er hat bereits einen neuen ausgearbeitet. Es geht nach Wien, von wo aus er nach einem kurzen Abstecher als Buchverkäufer nach Linz weiterzieht. Ein neue Stadt, ein neuer Job, es fehlt Wenzel bloß noch eine neue Frau. Und die trifft er schneller als erhofft: „Sie nannte sich Cosima, hieß eigentlich Lea, war schlank, groß, attraktiv, hatte braune Augen und braunes, schulterlanges, naturgelocktes Haar, wohnte im 4. Bezirk und schien ungemein gebildet zu sein.“

Lea erweist sich jedoch als Schlaghammer und hinterlässt tiefe Löcher in Wenzels Nervenkostüm. Das hält ihn nicht davon ab, mit einer weiteren Frau, der exotischen Nadja, ein kurzes Abenteuer einzugehen. Allerdings sägt diese ihn ebenso kurzfristig ab. Doch Wenzel wäre nicht Wenzel, wenn er sich nicht bereits mit einer neuen Frau einlassen würde. Nachdem er wieder nach Wien zurückgekehrt ist, schlendert er in eine Galerie: „War spontan hineingegangen und Franziska gegenübergestanden, die hier neben ihrem Studium am Zustandekommen verschiedener Veranstaltungen bastelte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Franka erzählte ihm viel über Italien.“ Aber auch über ihren Exfreund, und der droht das neu geschaffene Leben Wenzels zum Einsturz zu bringen. Und nicht nur er.

Tiefenbacher wirft einiges in die literarische Mischmaschine: einen Träumer, eine straffe Handlung, und eine detailreiche Sprache. Raus kommt ein Roman, der die LeserInnen nicht bloß durch das emotionale, sondern auch durch das räumliche Labyrinth Wenzels führen möchte. Das zeigt sich, als Wenzel nach dem Anflug einer Panikattacke durch die Gassen Wiens läuft, um sein Stammlokal Blauensteiner aufzusuchen: „Er war komplett durcheinander. Bog in die Stallburggasse ein. Gelangte über die Habsburgergasse zum Michaelerplatz. Nahm die Schauflergasse Richtung Bundeskanzleramt. […] Schritt zügig zur anderen Straßenseite hinüber. Ließ das Café Eiles hinter sich und stand in der Lenaugasse.“

Ist Wenzel einige Seiten zuvor noch voller Glück, befindet er sich wenig später schon wieder inmitten von Trümmern seiner zahlreichen Liebesabenteuer. Tiefenbacher gelingt es, Wenzels dilettantisches Liebesleben mit einer mitreißenden Handlung zu verschweißen, an deren Nahtstellen die LeserInnen schmunzeln, nachdenken und doch mitfühlen.

Der Liebesdilettant.
Roman.
Wien: Verlag Wortreich, 2017.
248 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-903091-25-2.

Rezension vom 31.05.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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