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#Prosa

Der letzte Badegast

Hugo Ramnek

// Rezension von Bernd Schuchter

Bademeister und Schwimmmeister

Hugo Ramnek wurde 1960 in Bleiburg in Kärnten geboren und lebt in Zürich. Er hat schon manches veröffentlicht, Der letzte Badegast ist allerdings nach einigen kürzeren Texten sein erster Roman. Ort der Handlung ist ein Badesee, der Saisonausklang nach einem Jahrhundertsommer, Protagonisten sind der Bademeister und ein geheimnisvoller Gast, der zwar Badehose und Bademantel trägt, aber nicht schwimmt, sondern redet. Und das ohne eine Reaktion zu erwarten, ohne sein Gegenüber wahrzunehmen und pausenlos. Das Buch hat durch einen erzählerischen Trick des Autors zwei Ich-Erzähler und zwei ineinander verschlungene Handlungen.

Der Bademeister hätte nach den stressigen Tagen, an denen das Bad immer voll war, einiges an Putzarbeiten zu erledigen – oh ja, Bademeister haben auch bei Schlechtwetter zu tun –, da steht aber dieser Mann mit einem Kübel, darin ein Fisch, und redet ungefragt los. Einige Tage hintereinander erscheint er im Bad und da der Bademeister erkrankt, keine Stimme mehr hat und teilweise gar das Gefühl hat, kaum bei Bewusstsein zu sein, bestreitet der Gast die Unterhaltung, die eigentlich ein Monolog ist. In inneren Monologen trägt der Bademeister das Seinige zur Geschichte bei, dazu die Außensicht auf den Badegast – und die Geschichten der beiden ähneln sich so sehr, sie verschwimmen geradezu ineinander, was bei einem Buch, in dem Wasser eine so gewichtige Rolle spielt, bestimmt nicht ohne Absicht ist. Allzu viel Vermischung und Verwischung der Biografien wollte wer-auch-immer dann aber doch nicht riskieren, deshalb sind die Passagen des Bademeisters im Schriftbild eingerückt. Man kann also die Geschichte des Badegastes in einem Zug lesen, indem man die eingerückten Passagen überspringt; die des Bademeisters kaum, er reagiert nämlich auf sein Gegenüber, wenn auch nur in Gedanken; der Badegast nicht.

Beide haben Eltern, die einander viel Reibungsfläche boten; beiden kamen die Väter abhanden, beide sind dem Badesee sehr verbunden. Der Vater des Bademeisters verließ die Familie, der Bademeister hat ein mehr als ungesundes Verhältnis zu seiner Mutter („Gell, du bleibst bei mir? Du gehst nie weg von mir! Nie!“ – S. 75). Der Vater des Badegastes war Schwimmmeister im Freibad und ertrank, den Hintergrund dazu bietet das Konkurrenzverhältnis zu seinem Arbeitskollegen Schlögl. „Klarer Fall. Der ist abgesoffen. Im Suff abgesoffen. […] Das war wie ein Schlag auf den Kopf, der mich aus meiner Erstarrung riss. Ein gewaltiger Schmerz: Vater, du bist der tote Mann! Und eine gewaltige Wut: Schlögl, du wirst der tote Mann sein!“ (S. 60)

Nachfolger des Vaters wird nicht der Schlögl, sondern ein Schweizer namens Baumann, der die Witwe heiratet und seinen Sohn Tom mitbringt, der bald ein Stiefzwillingspaar mit dem halb verwaisten Buben bildet. Die beiden werden unzertrennlich und verbringen jede freie Minute miteinander, und da kommt in die bis dahin eher gemächlich dahinplätschernde Parallelgeschichte Spannung. Der schweigende Tom und der schon damals redende Joe – so nennt er sich aber nur für Tom, beide Protagonisten sind namenlos oder eigentlich eins mit ihrer Rolle im Zwei-Personen-Stück. Die beiden Pubertierenden jedenfalls entdecken miteinander die Sexualität. Der heranwachsende Badegast und Schwimmmeisterssohn verliebt sich unsterblich in ein Mädchen, das er dann mit Tom erwischt. Und plötzlich eskaliert die Sache in erschreckende Gewalt. Joe tötet aus Rache den kleinen Haubentaucher seines Stiefzwillings (’s Annettli), worauf der ihn um ein Haar ertränkt. Fortan sind sie keine Brüder mehr, aber aneinandergekettet, denn „eins plus eins ist mehr als zwei“.

Was der Bademeister als Parallele aus seinem Leben einzufügen hat, ist eher wie der blasse Abdruck eines bunten Bildes, der verschwommene Widerhall eines lauten Rufes. Er erlebt Ähnliches, nur weniger dramatisch. Aber die Geschichten brauchen einander, sie ergänzen einander. Außerdem kann das, was der Badegast/Schwimmmeister erzählt, in Zweifel gezogen werden – möglich ist schließlich, dass er alles erfunden hat.

Hugo Ramnek erzählt mit feinem Gehör für individuelle Sprache, besonders das bisschen Schweizerisch des schweigenden Tom, das der Autor als Wahl-Zürcher ja gut kennt, hat man direkt im Ohr beim Lesen. Das umschwärmte Mädchen ist Irin und hat einen Sprachfehler: „Did you hear thomething? – Nüt, äääh, nasing.“ (S. 122) Mitunter ufert die Geschichte mit all den Details und Einzelepisoden ein bisschen aus, auch mit den hilfreichen Einrückungen sind die Szenen dann nicht mehr den Protagonisten zuzuordnen. Er erzählt eine sich an Dramatik zuspitzende Geschichte, die Geschichte des Heranwachsens von Buben ohne Väter, eine Wassergeschichte, eine Geschichte voller schöner kleiner Details wie der alten Damen, die täglich pünktlichst im Bad erscheinen, eine Geschichte, in der Sprache und auch Literatur eine große Rolle spielen – vom heiseren Bademeister, der über Einzelwörter nachdenkt und ein Rezitier-Trauma hat bis zum unentwegt sprechenden Badegast, der in seine fabulöse Erzählung literarische Versuche einfügt und Eltern hatte, die sich über Wörter stritten: „Schlappt! – Schwappt!“ (S. 73)

Besonders hervorzuheben ist schließlich der letzte Satz, denn was sich der Bademeister am Ende des achten Tages denkt, nachdem der letzte Badegast ungebeten seine Lebensgeschichte ausgebreitet hat, das ist wirklich überraschend.

Da lacht der Leser laut heraus.

Der letzte Badegast.
Roman.
Klagenfurt: Wieser Verlag, 2010.
141 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85129-864-2.

Homepage des Autors

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 18.03.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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