#Lyrik
#Roman

Der Köter von Sweet Island

Heinrich Spaeth

// Rezension von Helmut Sturm

Auf stillem Kobalt (hellem Himmelsblau?) lese ich die Schrift in aggressivem Neon-Orange. Der in Wien lebende Kameramann und Schriftsteller Heinrich Spaeth hat ein neues Buch vorgelegt. Unter dem Licht meines Arbeitsplatzes verschwimmt das Orange auf der Buchrückseite und wird für meine bebrillten Augen beinahe unlesbar. Ich schlage das Buch auf, und erschrecke. Ist das Buch falsch gebunden? Zweispaltig stehen einander jeweils nur wenige Wörter gegenüber. Handelt es sich um ein Vokabelbuch, das unter dem Titel Der Köter von Sweet Island irrtümlich in die literarische Reihe des Passagen-Verlags geraten ist?

Nach wenigen Minuten ein Aufatmen: Das liest sich ja ungemein flüssig, die Verse erleichtern das sinngemäße Lesen nicht nur der durch harte Schnitte verbunden erzählenden Stränge, sondern besonders der Abschnitte, in denen in immer neuen Ansätzen eine recht komplexe Theorie des Bildes vorangetrieben wird.

Theorie und Erzählung also, dazu Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Das Buch erweist sich als Lesevergnügen. Hauptort ist ein verlassener Militärstützpunkt im indischen Ozean, Sweet Island eben. Die Situation der Hauptfigur charakterisiert treffend der leitmotivisch wiederkehrende 38. Psalm Davids – „Die Klage eines Kranken“: „verstört bin ich / gebeugt gar sehr, / den ganzen tag / geh‘ ich betrübt umher“. Der optimistische Gottesbezug „Doch auf dich, Herr, harre ich; du wirst mich erhören, Herr, mein Gott“ ist auf Sweet Island allerdings nicht mehr möglich; was bleibt, ist die Klage über das Scheitern. Dazwischen, dahinter der Zustand der Welt: Wirtschaftskriminalität, Ballonfahrerinnen, das Missverstehen von Objektivität, Liebe wie im Heftchenroman, Notizen aus dem Alltag des Grauens. Die Hauptfigur selbst wird gesucht, in die Flucht getrieben wegen eines Wirtschaftsverbrechens, das österreichische Leserinnen und Leser an bekannte Skandale und ihre Proponenten der achtziger Jahre denken lässt.

Fern ab vom Ufer des Orinoko zeigt sich Sweet Island immer mehr als das Gegenstück zur Insel jenes Robinson, der seinen Kalender zu führen weiß, die Bibel liest, Gott für die Errettung dankt und dem schließlich wohl organisiert der Neubeginn gelingt. Robinson wird quasi als Schwindler entlarvt, die Vorstellung, wonach ein Mensch eine Insel, die Natur beherrschen und unterwerfen kann, wird radikal abgewiesen. „die insel hat mich / zu ihrem eigentum gemacht, / zu ihrem sklaven.“, heißt es und über den Erzähler „ich bin / ihr hund, / der köter von sweet island, / der unter / der brennenden sonne / irre kreisläufe aufführt“. Nimmt’s Wunder, dass auf diesem verlassenen militärischen Stützpunkt – welches Bild für den Zustand der Welt – auch Freitag als Ansprechpartner nur ein Hirngespinst bleibt. Was letztlich in den Wahnsinn treibt, ist nicht bloß die isolierte Lage, sondern der völlige Kommunikationsverlust.

Daniel Defoes Erfolg war nicht zuletzt in seinem raffinierten Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit begründet. Auch Heinrich Spaeth versteht diese Regeln, kann dabei in nachmodernen Zeiten allerdings viel weiter als der presbyterianische Vorläufer gehen. Zum Jonglieren mit Fakten und Fiktion kommt der arbiträre Umgang mit Geschichte. Das hat seine Reize, nimmt dem Buch andererseits eine gewisse Dringlichkeit, enttarnt es selbst als bloßes Gedankenspiel. Was freilich durchaus in der Absicht des Verfassers gelegen sein wird.

Heinrich Spaeth hat mit seinem Versroman blendend bewiesen, dass Konstruktion und Erzählung gut zusammen gehen und dass das Ergebnis allemal neben einer Literatur, die einfach erzählt, bestehen kann.

Jedenfalls ist dieses Buch eines, das man auf eine Insel mitnehmen kann, vielleicht auch um sich vor dem drohenden Wahnsinn zu retten.

Der Köter von Sweet Island.
Wien: Passagen Verlag, 2005.
182 Seiten, broschiert.
ISBN 3-85165-714-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 20.12.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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