Die vierundzwanzig Tuschezeichnungen Moussa Kones sind so präsent über das Buch verstreut, ganz- und mitunter sogar doppelseitig, dass sich eine direkte Bezugnahme zu den Texten von Alexander Peer fast von alleine ergibt und beide Medien gleichberechtigt ineinander greifen. Der menschliche Körper ist das metaphorische Leitthema, das sowohl die Gedichte wie auch die Bilder auf vielfältige Weise immer wieder aufnehmen und reflektieren.
Zwar wird im Klappentext eine Fünfteilung in die Kapitel Kopf, Herz, Bauch, Geschlecht und Hand angekündigt, was zunächst einmal eine entsprechende formale Einteilung der Verse und zugeordneten Bilder erwarten ließe, doch wird ebendiese Erwartungshaltung von den beiden Künstlern souverän durchbrochen; die fünf genannten Kapitel scheinen nur jeweils in den Text-Bild-Konstellationen selbst auf, gewissermaßen in den Bezügen, die die LeserInnen bzw. BetrachterInnen zwischen ihnen herstellen. Dabei illustrieren Gedichte und Zeichnungen einander nicht (bedingt allein schon durch die Tatsache, dass es deutlich mehr Texte als Bilder im Buch gibt), sie sprechen vielmehr eigenständig und nähern sich einander gleichwohl gerade dadurch beständig an.
Interessant ist dabei zu beobachten, dass für Moussa Kone offenbar die Hand zum dominierenden Körperteil wird, denn sie ist auf fast allen Zeichnungen in der einen oder anderen Variation zu sehen. Sie greift gewissermaßen überall hin. Alexander Peers Texte korrespondieren dazu auf ihren jeweiligen Ebenen, die ebenso aus-greifend eine Vielfalt von Themen streifen: Ich-Du-Beziehungen inklusive mitunter deftig-erotischer Aufladungen, Welt- und Gesellschaftskritik, die Situation des Schreibenden, philosophische Reflexion und immer wieder Versuche der Eigenverortung eines lyrischen Ichs, die der Autor mit einer gehörigen Portion Ironie würzt, wie etwa im Gedicht „Vergebliches Kommando“: „Das Leben, das ich abzurichten versuchte, / bellte mich an und lief abseits geplanter Wege.“ Dieses eigene Leben, welches sich im Bild eines undressierbaren Hundes widerspiegelt, führt schlussendlich zu dem abgeklärt-sarkastischen Statement: „Es macht mir auch gar nicht mehr so viel aus, / dass es bestimmt nie stubenrein wird.“
Peer montiert, meist in freien Versen, sowohl naheliegende als auch stark kontrastierende Bildebenen miteinander. So begegnet seine Leserschaft beispielsweise Personen, deren Seinszustände mit Landschaften oder Jahreszeiten verknüpft werden wie im Gedicht „Herbstabend“, in dem der körperliche und mentale Verfall eines Protagonisten porträtiert wird. Übergangslos wechselt die Vergleichsebene zunächst in einen technischen, in der letzten Strophe gar in einen geografisch-politischen Kontext: „Der Fuß des Berges / litt an Diabetes, / verkohlte mehr und mehr. // Geröll vom lebenslangen / Abgang von / Sache, Sahne, Crème brûlée. // Unter der Motorhaube / lockerte der Mechaniker / Alzheimer ein paar Schrauben. // Es reichte noch / für kurze Fahrten, / Autorennen lagen lange / schon zurück. / Im Reich der Mitte / war das Licht ausgegangen, / kein Aufstand / mehr gelang.“ Der diese unterschiedlichen Bildebenen wiederum in eins fassende und damit legitimierende ironische Subtext wird von Kones fein schraffierter, flächiger Zeichnung einer Hand, die sich um eine offenbar schmerzende Hüfte fasst, augenzwinkernd aufgenommen.
Doch soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, Peers Gedichten und den zeichnerischen Arbeiten Kones hafte ausschließlich der Duktus des Komödiantischen an. Viele der Text-Bild-Beziehungen haben ernste und auch entsprechend nachdenklich gestaltete Hintergrund-Sujets. Sie sparen im Expliziten ihrer Benennung nichts aus. So klingt eine Strophe aus „Führe dich in Versuchung“ geradezu programmatisch: „Das Bekenntnis klarer Prosa / macht deine Lippen geschmeidig, / du sprichst auch schlimme Worte nicht mehr spröde.“
Nicht zuletzt in denjenigen Gedichten, die sich als Reflexionen über den Zustand unseres Planeten lesen, löst Alexander Peer dieses Bekenntnis ein. Doch erscheinen diese oftmals entpersonalisierten, Ich- und Du-losen Texte nicht unbedingt als die stärksten innerhalb des Bandes. Am eindrücklichsten funktioniert die Drastik der Bildsprache in Versen wie „Die Rückkoppelung an die Stimme des Vaters“, in denen schicksalshafte Positionsbestimmungen das Leben des lyrischen Ichs nachhaltig beeinflussen: „Kafkas Axt traf mich am Kopf, / schlug ihn in zwei Hälften / lange blutete die rechte, / weniger die linke. / Aus meinem gespaltenen Mund / konnte ich endlich mit gespaltener Zunge reden / und sprach wieder nur / den vertrauten Monolog.“
In mitunter geradezu liebevolle Worte fasst der Autor Kindheits- und Jugenderinnerungen, denen mutmaßlich viel Autobiografisches innewohnt, hier lässt Peer persönlich empfundene (und wichtiger: nachempfindbare) Vergangenheit aufscheinen, etwa in dem Gedicht „Amphibien, die wir waren“, welches die gedankenlose Übergriffigkeit der Erwachsenenwelt zum Thema hat: „Wir beide, / du, Sophie, und ich, / wir waren gefährliche kleine Kröten. / Die Erwachsenen schleckten uns ab / und taumelten danach einige / Minuten glücksumflort durch den Garten / oder hatten ein Grinsen um den Mund, / dass einem bange wurde. // Diese Eltern! Diese Tanten! / Wir aber rieben uns die Wangen / beim Teich und trockneten die Gesichter / mit den ausgedehnten Hemdchen oder Pullovern, / und als ich daran dachte, Jahre später, / wie rückhaltlos wir der Begrüßung der Verwandten / ausgeliefert waren, / da erst fühlte ich mich dir / entsetzlich nah. // Aber weg bist du seit Jahren schon, / oder bin ich es?“
Vielleicht ist dieser lyrisch-retrospektive Ton gar der eindrucksvollste aus der Peerschen Palette. Und auch hier erweist sich wieder das feine Zusammenwirken von Sprache und Bild: wie den Text einleitend steht dem zitierten Gedicht umseitig eine Zeichnung Kones voran, in welcher eine Hand eine soeben abgesetzte Brille hält: der Hintergrund, eine schwarzweiße Rautenstruktur, wird durch die Gläser nicht gebrochen, vergrößert oder verzerrt. Das Sehen findet nicht mehr durch die Augen statt, sondern im Kopf, im Rückblick.