#Essay

Der Himmel ist blau

Franz Josef Czernin

// Rezension von Florian Neuner

Aufsätze zur Dichtung.

Franz Josef Czernin – ohne jeden Zweifel poeta doctus – zählt zu den wenigen Schriftstellern, die einen Weg gefunden haben, überzeugend über Literatur zu schreiben, ohne einfach die Seiten zu wechseln und als Literaturwissenschaftler aufzutreten, aber auch ohne sich bequem im Subjektivismus einer sich auf das Argumentieren pro domo beschränkenden Autorenpoetik einzurichten. Czernins Texte über Literatur lassen allen Fußnotenballast hinter sich und nähern sich in klarer, schnörkelloser Prosa vorsichtig tastend ihren Fragestellungen.

Dabei hat jeder dieser Essais so etwas wie einen (mehr oder weniger offen liegenden) Anlaß, einen Bezug zu einer poetologischen Frage, die den Autor Czernin in seiner literarischen Arbeit beschäftigt, wie zu vermuten steht, und die er zu vertiefen sucht, indem er sich an exemplarischen Texten abarbeitet. Diese Ernsthaftigkeit und die Tatsache, daß sich hier jemand durchaus aus dem Fenster lehnt, verleihen dem bei Urs Engeler erschienenen „Aufsätzen zur Dichtung“ ein besonderes Gewicht.

Der Himmel ist blau: In orangen Lettern prangt der Allerweltssatz als Titel auf dem weißen Buchumschlag – ein Satz wie aus einem Sprachlehrbuch, allgemein, unverbindlich. Mit diesem Satz ist auch der einleitende Text überschrieben, der ganz generell und weit ausgreifend etwas „zur Poesie“ zu sagen verspricht und sich dabei immer mehr in poetische Emphase steigert. Czernin versucht, den himmelweiten Unterschied zu verdeutlichen, den das Auftreten von Sätzen wie „Der Himmel ist blau“ oder auch: „Da steht ein Haus“ in einem beliebigen Alltagskontext von dem in Gedichten unterscheidet. Und auf einem solchen Unterschied muß eine Poetik ja bauen, die der Dichtung zutraut, uns die Welt noch einmal anders aufzuschließen, andernfalls man ja auch bei der Wissenschaftsprosa bleiben könnte. Die Aufgabe der Poesie wäre es, die scheinbare Selbstverständlichkeit und Geläufigkeit dieser einfachen Sätze zu erschüttern – ein Konzept, das in dieser Einleitung noch vage bleiben muß: „Doch wie viel Glück muß ein Gedicht oder sein Leser haben, um tatsächlich gerade die Übertragungen zu finden, die himmelweit und ins Blaue reichen oder bis ins sternbildliche Dach des Himmelshauses.“

Auch der zweite Text des Bandes – „Poesie nach Monsieur Teste“ – versucht, noch immer gleichsam präludierend und ein wenig ins Blaue, allgemeine Charakteristika poetischen Sprechens herauszuarbeiten. Auf den Spuren Valérys beschreibt Czernin dessen Vision einer Selbstdurchdringung als „Gedichtdurchdringung“ bzw. „Gedicht- und Selbsterfahrung“. Dieser „Erfahrung der Extreme“ begegnet er aber skeptisch und vermutet das Entscheidende doch eher in einem zwischen den Extremen vermittelnden Prozeß. Den werden die folgenden Aufsätze im Auge behalten.

Nach diesem Entrée geht es zur Sache, dann nimmt Czernin sich in einem Essai Durs Grünbein und dessen Gedichtband „Falten und Fallen“ vor – und leistet damit etwas, was man in den Feuilletons immer häufiger vergeblich sucht: Kritik. Präzise und immer nahe am Text argumentierend zeigt Czernin, wie der vermutlich am meisten überschätzte Lyriker der Gegenwart mit hohlen Phrasen und einer aufgeblasenen Metaphorik arbeitet, die bei konservativen Kritikern so gut ankommt („Hirngewölbe des Jahrhunderts“, „Zischeln der Polytheismen“). Es geht Czernin aber nicht darum, eine Stilblütenlese in Texten eines erfolgsverwöhnten und für Kritik vermutlich längst unzugänglichen Autors zu betreiben – er möchte herausarbeiten, was sich in diesen Gedichten, sozusagen symptomatisch, zuträgt. Czernin schreibt: „Nirgends läßt sich in den Texten auch nur die Spur eines Hinweises dafür finden, dass der literaturgeschichtliche Ort dieser Maschinerie mitbedacht wird.“ Tradition wird als Cliché benutzt, ohne daß der Autor sie reflektieren oder gar ironisieren würde. Seine „traditionelle, rhetorische Maschinerie“ tarnt Grünbein mit zeitgenössischem Vokabular, das von der Alltags- bis zur Wissenschaftssprache reicht, mit einem besonderen Hang zur Neurologie, und gibt dabei der „Verführung zur Formlosigkeit“ (Brecht) nach. Czernin konstatiert einen „Mangel an Reflexion der Bedingungen des eigenen Schreibens, des Kontexts Gedicht.“ Damit ist, gleichsam ex negativo, auch ein Baustein für eine Poetik entwickelt.

Daß es aber zu kurz greifen würde, eine simple Opposition zwischen dem gediegenen Kunstgewerbe eines Grünbein und einem wie auch immer experimentellen Lager aufzumachen, wird in seinem Text über Oskar Pastior deutlich, bei dem Franz Josef Czernin – bei aller Wertschätzung – die „analytische“ Tendenz („Poesie vor allem als Spiel gemäß bestimmten sprachlichen Regeln“), der er ja selbst nicht unbedingt fernsteht, in ein fragwürdiges Extrem getrieben sieht – subversive „Sinn-Anarchie“ kippt in semantische Beliebigkeit: „Also wuchert dieser Sinn, schießt an jedem Punkt eines Pastior’schen Texts in so gut wie alles mögliche Kraut.“ Impulse, die einst „kunstrevolutionär“ waren, münden in ein „Vergnügen, das nicht selten regressive Züge hat und manchen seiner Texte auch so etwas wie humorige Munterkeit verleiht, eine etwas forcierte Lustigkeit, einen Zug von schmunzelnder Blödelei oder gar von verbosem Leerlauf“. Czernin wirft Pastior vor, zu einfach „zwischen dem Regelhaften und dem Ungeregelten“ zu unterscheiden, letztlich auf so etwas wie ein „selbsttätiges Genie der Sprache“ zu vertrauen, das man durch das Aufstellen von Regeln herauskitzeln könne – und steckt damit auch eine Grenze für sein eigenes Poesieverständnis ab. Denn auf dieses „selbsttätige Genie“ möchte er nicht vertrauen.

Aufsätze über H.C. Artmanns eigentümlich zwischen Archaik und Modernismus changierende Gedichte, die Czernin als „Poesie nach ihrem Untergang“ zu fassen sucht, zum Verhältnis von Religion und Poesie bei Christine Lavant und zu Adalbert Stifters „Witiko“, wo ihn interessiert, wie Monotonie sich in Reichtum verwandeln kann, runden ein Buch ab, das es sich in einem abschließenden Kapitel – ausgehend von Shelleys „Defence of Poetry“ – nicht erspart, den Erkenntnisanspruch von Dichtung als einem von Alltags- und Wissenschaftssprache unterschiedenen Sprechen noch einmal grundsätzlich in Frage zu stellen. Lesenswert sind diese „Aufsätze zur Dichtung“, weil sie einem nachvollziehbaren Erkenntnisinteresse folgen, das gleichzeitig eine poetologische Selbstbefragung und -vergewisserung des Autors Franz Josef Czernin ist.

Franz Josef Czernin Der Himmel ist blau
Aufsätze.
Basel und Weil am Rhein: Urs Engeler, 2007.
184 S.; brosch.
ISBN 978-3-938767-23-8.

Rezension vom 17.02.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.