Es ist Erzählkunst von großer Sinnlichkeit, ein grotesker, magischer Realismus waltet bei der beschwörenden Beschreibung leiblicher Einzelheiten vor, das erinnert unwillkürlich an die Nachkriegsmalerei des phantastischen Realismus der so genannten Wiener Schule eines Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner oder Wolfgang Hutter, oder an manche Bilder von Salvadore Dali. Die Art und Weise der visuellen Inszenierung von Körperteilen mit den Mitteln der Sprache weckt den Verdacht, dass der Psychoanalytiker im Autor da seine Lacan-Geschultheit ausspielt; bei dem dezidiert männlich-voyeuristischen Blick auf sekundäre Geschlechtsorgane des weiblichen Körpers, wie eben auf den prallen Hintern von Sibylle in der Erzählung Silvester, assoziiert man Lacans Partialobjekt a. Genauso wie einem bei der exhibitionistischen Allüre des in den meisten Texten jugendlichen männlichen Erzählers das Spiegelstadium von Jaques Lacan in den Sinn kommt. Aber wie schafft es der nicht nur einschlägig bewanderte, sondern eigentlich überqualifizierte Autor, der ja ein richtiger poeta doctus auf diesem Gebiet ist, von diesen Sex-Dingen so unbefangen zu fabulieren, als wäre er ein rechter Hillbilly? Neben dem Blick, der sich am begehrten Teil entzündet, spielt die Stimme eine ebenso große Rolle. Die Stimme des Erzählers mit ihrer Fabulierlust, die das Deutsche verballhornende Stimme der Hure Louise im Heiligenscheinorgasmus oder die unfreiwillige Mädchenstimme des vierzehnjährigen Knaben in Zeitzeugenstunde geben beredt Auskunft davon.
Das Erzählverfahren Sama Maanis verquickt Sexualität mit Religion, Kultur, Gesellschaft und mit – Politik. Der Ich-Erzähler bleibt sich in allen sechs Erzählungen treu und er bleibt derselbe: ein iranischer Österreicher, ein Wanderer zwischen zwei kulturellen Welten, der aus seiner iranischen Herkunft sexuelle und politische Fixierungen mitschleppt. Er legt sich in der Erzählung Der Heiligenscheinorgasmus, aber nicht nur in ihr, eine sadomasochistisch erlebte nationale Identität zu, ein verbal traktiertes Österreichertum eines gemischt Identitären. Das scheint autobiographisch zu sein, bleibt aber bestimmt nicht dabei stehen. Zweifellos leistet sich der Autor Sama Maani in diesen Erzählungen einen beträchtlichen Ich-Einsatz, er stellt sich und seinen Leib bloß, aber er tut es für uns alle (Männer), stellvertretend, wie immer, denn das Autobiographische in der Literatur geht immer uns alle an, selbst das Intimste, das weiß man spätestens seit Kafka. Vladimir Vertlib hat wohl recht, wenn ihn die Abenteuer von Sama Maanis Erzähler an einen Schelmenroman erinnern. Eine pikareske Figur ist dieser Erzähler in der Tat, wir fühlen uns an Grimmelshausens Simplizissimus erinnert, dessen Besuch im Venusberg, er ist ja auch ein Besuch im Ausland bei einer Ausländerin. Die Politisierung der Sexualität, oder Sexualisierung der Politik, die Sama Maani betreibt, gab es also schon im Barock, und auch schon noch früher. Das Erotische ist immer schon das Exotische, und das Exotische das Erotische. Ganz von Grund auf gilt: begehrt wird das Fremde.
Aber genug der Theorie. Wovon handeln Der Heiligenscheinorgasmus und die anderen Erzählungen denn? Was sind die Sujets der Geschichten? Sex sells, gewiss, aber braucht die Kauf- und Leselust nicht Fabeln, Erzählfäden, an denen man sich anhalten kann? Auch damit kann Sama Maani aufwarten. In der Eingangserzählung Der Heiligenscheinorgasmus erlebt der ins Schweizerische geratene österreichische Schelm seine maximale sexuelle Befriedigung, wenn er als Österreicher beschimpft wird, bis ihn die aus der frankophonen Schweiz stammende Hure Louise von dieser Perversion heilt. In der zweiten Erzählung Zeitzeugenstunde wird unter anderem dargestellt, wie bei pubertierenden Jugendlichen eines Grazer Gymnasiums in den 1970-er Jahren sexuelle und politische Selbstfindung sich in die Haare kriegen, eine bemerkenswerte Früherkennung postfaschistischer Residuen. In der dritten Erzählung Silvester wird der pikareske Held auf einer Silvesterparty vom feisten Hinterteil der Sybille beim Versuch der Wiederannäherung an seine Ex irritiert, es ist eine seismographische Studie, wie eine Wünschelrute verhält sich das Messgerät in den unteren Körperregionen. Die vierte Erzählung Die Geschichte meines Dünnseins handelt unter anderem von der Ganzkörpertherapie der Literatur für einen Don Juan mit magerer Ausbeute, dessen Körper einfach zu dünn geraten ist, am Ende glückt die Identifikation Leib = Phallus, sein bestes Stück taugt zum Bohren, doch er wird die Angst nie los, er werde das Fleisch der Frauen, die sich ihm hingeben, für immer verunstalten (S. 131). Das Ende der Erzählung mit diesem interessanten Sachverhalt enthält die LESEPROBE1. Der fünfte Text Der, der sterben wird kulminiert im Aussprechen des Wortes Arschloch (S. 137), der Kennmelodie des Österreichischen (siehe LESEPROBE2), aber auch im Tod. Der sechste, der kürzeste Text, Erika, schließlich gibt die Körperstudie von einer, die aussieht wie ein gerupftes Huhn, so zeichnet der männliche Erzähler ihr physiognomisches Profil. Erikas Körper gerät aus dem Blickfeld des männlichen Begehrens, sie bekennt sich zu ihrer lesbischen Identität. Auch dieser Text erzählt in mehrfacher Weise vom Tod, von letzten Dingen, der Erzähler verabschiedet uns mit einer Phantasie, die ihresgleichen sucht; Abschied von der Heterosexualität im fetisch-überladenen Bild von einem letzten Blowjob: „Ich hätte mir vorstellen können: Daß Erika den Silberbarren, der dem Günter [= Erikas verstorbener Mann] als Briefbeschwerer gedient hat, in den Mund nimmt, und daß der Silberbarren in Erikas heißem und trockenem Kindermund schmilzt, so daß das flüssige Silber aus ihren Mundwinkeln fließt und zu klumpigen Streifen gerinnt, weil es draußen kalt ist.“