#Prosa

Der Glaskäfig

Bernhard Hüttenegger

// Rezension von Bernhard Oberreither

Lesski ist am Ende angelangt: Nach der Affäre mit der Frau eines Vorgesetzten ist der Versicherungsangestellte in eine Filiale in einer deprimierenden, ausgestorbenen Kleinstadt versetzt worden. Dort schlagen er und sein alkoholkranker Kollege Holzer die Zeit tot. Der Alltag in der ländlichen Einöde spielt sich zwischen Zeitvernichtung im Büro, sinnlosen Fahrten durch das Umland und Gelagen in der Dorfschenke ab.

Dass Lesski und sein Kollege die Arbeit vernachlässigen, scheint in der Zentrale in der fernen Großstadt niemanden mehr zu kümmern – oder ist das Schweigen von oben kein Zeichen stillen Einverständnisses, sondern eher ein Zeichen der bevorstehenden Kündigung?

Diese triste Anordnung ist der Ausgangspunkt von Bernhard Hütteneggers Erzählung Der Glaskäfig. Und an ihr wird sich im weiteren Verlauf des Buches nicht viel ändern: Hütteneggers 1985 erstmals erschienene Erzählung handelt von einer inneren Lähmung, einem Niedergang, der aus zermürbendem Leerlauf resultiert.
Der drohende Existenzverlust fällt für Lesski kaum mehr ins Gewicht. Er ist ganz in seine eigene Wahrnehmungswelt versunken, ängstlich schottet er sich ab, dosiert er äußere Reize. Wie durch eine dicke, trübe Scheibe, eben wie aus einem „Glaskäfig“ heraus, nimmt er seine Umwelt wahr: Er macht sich zum Außenseiter, wirkliche Annäherung lassen weder er selbst noch seine Umgebung zu. Wo er sich anderen Menschen nähern will, tut er es entweder zögerlich und unentschlossen, oder er überfällt sie geradezu, verschreckt sie mit Selbst- und Weltbezichtigungskaskaden. Meist bleibt es jedoch bei der bloßen Beobachtung des derben ländlichen Miteinanders.
An die Stelle tatsächlicher Nähe treten einzelne klägliche Momente der versuchten Annäherung, die im Nachhinein idealisiert werden, an die Stelle von Erfahrungen tritt der innere Bilderreichtum des Protagonisten: Jede noch so kleine Wahrnehmung wird mit poetisierenden Assoziationen verklärt. Meist fungieren dabei exotische, mediterran-antike oder mythologische Begriffsfelder als Bildspender: So stößt man auf „Lombardisches“, „Levantinisches“, auf „Walküren“ und „Amazonen“ (oft im selben Satz); die Wirtin wird zur „ambrosische Gunst gewährenden Köchin“, die Raststätte zur „Herberge der Gauchos“, der Geschlechtsverkehr gar zum „Ritt durchs wilde Belutschistan“.

An anderer Stelle stößt der Leser auf durchaus gelungene Bilder: So schaltet Hüttenegger den labilen Gemütszustand seines Protagonisten mit dem leisen Sirren geschliffenen Glases gleich. Ebenso treffend seine Allegorie der Schriftstellerei: Ein Telefongespräch mit einem unbekannten, schweigenden Teilnehmer.
Unbestritten sind auch Hütteneggers Bemühungen, in der Darstellung der Wahrnehmungen und Gedankengänge Lesskis ein Höchstmaß an Exaktheit zu erreichen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, ihn in seiner Abwehrhaltung, seinem Überhöhungsreflex lächerlich und pathetisch dastehen, ihn seine Betrachtungen mit Metaphern und Vergleichen überfrachten zu lassen, die aufdringlich und manieriert, den äußeren Anlässen nicht angemessen scheinen. Die haarsträubenden Gleichnisse, in die er sich versteigt, zeichnen nachdrücklich das Bild einer instabilen Befindlichkeit. Einen Höhepunkt dieser Manier stellt sicher die Beschreibung eines Werbeplakates in der Auslage einer Drogerie dar:

Traumhaft-schöne Frauen wölbten ihre glatten Körper zu phantastischen Bogenformen, matt schimmerten ihre kostbaren porenlosen Leiber im Geschmeide ihrer Haut, die keiner Berührung mehr zu bedürfen schien (…); wie ermüdet vom vielen Verehrtwerden ruhten diese kunstvollen Göttinnen, weder Stein noch Wachs, nur Bild (…), schenkten dem Betrachter den Anblick ihrer runden Schultern, ihrer sehnigen Arme, ihres gespannten Rückens, der in der Farbe eines ausgetrockneten tropischen Flussbettes sich hindehnte zu den Lenden, zum Ansatz des Gesäßes, wie eine Wanderdüne, die innehält beim Aufgang einer afrikanischen Sonne, hochmütig die Liebkosung des Windes erduldend …“

Es gelingt Hüttenegger, das Innenleben eines Zerrütteten darzustellen; in zahlreichen Facetten wird eine Art innerer Geschwätzigkeit offen gelegt, die höchst eindringlich und nur schwer erträglich ist – zumal Hüttenegger dabei seinen Protagonisten nicht verrät, an keiner Stelle distanziert er sich von dessen geistigen Eskapaden. Als Rollenprosa gelesen, zeigt der Text die Kunstfertigkeit eines Autors, vollkommen und unbemerkt in einer Maskierung aufzugehen.

Bernhard Hüttenegger Der Glaskäfig
Erzählung.
Klagenfurt, Wien: Kitab, 2009.
101 S.; brosch.
ISBN 978-3-902585-41-7.

Rezension vom 02.12.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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