#Roman

Der gelbe Diwan

Walter Grond

// Rezension von Silvia Sand

Der Roman um den Journalisten Paul Clement und sein zwiespältiges Verhältnis zu Johan, dem älteren Freund und Schriftsteller, mit dem er sich nach einer intensiven gemeinsamen Zeit entzweit hat, spielt vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnises zwischen Orient und Okzident.

Als Paul vom Selbstmord Johans erfährt, versucht er, die letzten Jahre dieses Mannes, der einmal sein Vorbild war, nachzuvollziehen. Er sucht alte Weggefährten auf und lässt frühere Verhältnisse wieder aufleben. Wie früher besucht er den kleinen Ort Saint-Marc-sur-Mer an der französischen Atlantikküste, wo Johan und er eine Art von Freiheit fanden, die sie in ihrem Zuhause, einer orientalischen Großstadt, nicht leben konnten. Die Erinnerungen schieben sich in Pauls Familienleben, das er als alleinerziehender Vater von zwei halbwüchsigen Kindern führt. Seine Beziehung zu Behle, seiner früheren Frau, lebt wieder auf und lenkt von beruflichen Schwierigkeiten ab. Immer wieder wird seine Arbeit, die er als Journalist über Gustave Flaubert schreiben soll, verschoben. In dieser Warteposition mischen sich Gedanken über die Biographie Flauberts mit jenen über den Freund Johan, den er bewundert und auch beneidet hat. Johan als einer, der aus dem Nichts kam und sein Leben mit Ungestüm ausschöpfte, der sich der Sprache verschrieben hatte, war einer, den Paul nicht erreichen konnte. Paul rettete sich in die engere Freiheit des Journalismus und dokumentiert nunmehr die Veränderungen des Lebens in Betrachtungen über die Veränderungen der ehemaligen Freunde.

Zwei Rätsel gibt der Autor den LeserInnen mit auf den Weg: in welcher Stadt spielt ein Großteil des Romans und welcher Herkunft ist die Hauptfigur Paul Clement? Was den Ort anbelangt, lässt Grond ein entspanntes Lesen erst nach längerem Raten zu und man hätte sich von Anbeginn eine konkrete Verortung des Geschehens im Orient – als Gegenpol zur Handlung in Frankreich – gewünscht. Positiv wirkt sich diese Verunsicherung insofern aus, als man sogar dazu geneigt ist, die Großstadt am Rande der Wüste mit ihren gläsernen Hochhäusern, den Elendsvierteln und den neuen Bürovierteln, den Basaren mit den rufenden Muezzins als Utopie eines globalisierten Stadtbeispiels anzusehen. Rund um die Welt wuchern Städte ins Uferlose, Stadtviertel werden von Immobilienfirmen immer neu erfunden, die Zonen zwischen Arm und Reich verschwimmen, da die Wirtschaftskrise die Menschen dazwischen ins Leere taumeln lässt und die Gesellschaft zwischen Islam und Christentum und einer neuen/alten Wirtschaftsreligion seltsame Blüten treibt. Und über Paul, der einen französisch klingenden Namen trägt und Müsli zum Frühstück bereitet, erfahren wir leider nie, wie er in Kairo ansässig geworden ist und auch nicht, warum sein Freund aus dem Armenviertel Bulak den skandinavischen Vornamen Johan trägt. Aber vielleicht soll auch dies möglicherweise den Eindruck einer globalisierten Gesellschaft erwecken, die überall auf unserer Erdkugel zuhause sein könnte.

Die Einflechtung Gustave Flauberts als historisches Vorbild, an dem Paul und Johan gemessen werden, bringt eine menschliche Disposition ins Spiel, die dem Roman einen negativen Beigeschmack verleiht. Alle drei sind Männer, die ein gestörtes Beziehungsverhalten zeigen. Die Frauenfiguren Behle und Rafaela, denen immerhin intellektuelles Niveau zugeschrieben wird, dienen als Partnerinnen überwiegend zur Befriedigung von Lüsternheit. Erst gegen Ende des Romans gibt der Autor Behle und Paul eine Chance, ihr Verhältnis neu zu gestalten. Die frauenverachtende Haltung bleibt: „Es ist mit Wörtern wie mit den Frauen. Ein striktes Tabu, sich des Schriftstellers Möse (seine Frau, also sein Eigentum) zu bemächtigen …“ (S.319)
Insgesamt hält sich Grond an die Misanthropie des alten Flaubert, der an Lieblosigkeit für die Menschen krankt. Kaum eine der Figuren in diesem Roman lässt sich liebgewinnen oder zumindest schätzen. Paul, dessen Perspektive dominiert, zerpflückt mit mitleidlosem Blick sein jeweiliges Gegenüber, wie etwa Johans „Nichte“ („…in ihrem adretten Lächeln erstarrt, sardonisch grinsend, sklavisch der bürgerlichen Tugend ergeben, um alle Lust und Ewigkeit betrogen, im Leben tot, ein hygienischer Kadaver…“ S.272). Nicht besser ergeht es auch der kurzzeitigen Geliebten Rafaela.

Walter Grond will viel mit diesem Roman: drei Biographien von Männern des 19., 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts werden zueinander in Beziehung gesetzt, somit historische und zeitgenössische Gesellschaftskritik zusammengeführt und dabei noch die Entwicklungen in Orient und Okzident verglichen. Es handelt sich wohl nach Goethes west-östlichem Diwan um eine wertvolle Neubearbeitung des Themas voll lebhafter Denkanstöße, was politische Zusammenhänge in der Vergangenheit und auch was eine Vorausschau in die Zukunft anbelangt. Man findet für Europäer erstaunliche Details aus dem orientalischen Leben, ausführlichste Kapitelabschnitte über französische Geschichtsschreibung und durchwegs interessante Zitate aus Film und Literatur, und doch will all das nicht über die latente Frauen- bzw. Menschenfeindlichkeit hinwegtrösten. Wie Flaubert liebt auch Johan die Menschen nicht und begeht Selbstmord aus einem „Degout“ gegen diese Welt.

Walter Grond Der gelbe Diwan
Roman.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2009.
320 S.; geb.
ISBN 978-3-85218-596-5.

Rezension vom 01.02.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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