#Roman

Der geborene Gärtner

Alois Brandstetter

// Rezension von Helmut Sturm

Vor gut zwanzig Jahren hat Alois Brandstetter in seinem Erinnerungsbuch „Über den grünen Klee der Kindheit“ erzählt, dass er in einer seiner ersten Prüfungen an der Wiener Universität von Professor Kainz gefragt wurde, woran der Vater im „Helmbrecht“ erkenne, dass es sich bei dem jungen Mann, der eines Abends an seine Tür klopft, um seinen Sohn handelt. Der Autor hält die Situation für „merkwürdig“, dass ein Gelehrter im 20. Jahrhundert einen Bauernsohn fragt, „was ein gelehrter Dichter des 13. Jahrhunderts einen Bauern seinen Sohn fragen läßt“.

Viele Bezüge zur Versnovelle des Wernher der Gartenaere in dem genannten Erzählband („Wie Wernher waren auch mir die Tiere auf unserem Bauernhof nicht nur dem Namen nach bekannt …“) zeigen, dass dem Altgermanisten Alois Brandstetter die Märe vom Bauernsohn, der Raubritter und für seine Verletzung der sozialen Ordnung grausam bestraft wird, bereits damals besonders zur Aktualisierung geeignet erschien.

Brandstetter hat zwar seinen Verlag gewechselt, seine Themen aber nicht. Der geborene Gärtner ist eine rhetorisch höchst kunstvolle Strafpredigt, die der Abt des Chorherrenstiftes Ranshofen an seinen schriftstellernden Gärtnermeister Wernher richtet. Wir finden darin alles, was Brandstetters Leser von ihrem Autor erwarten: eine Mischung aus Bodenständigkeit und Gelehrtheit, literarischem Anspruch und unterhaltendem Erzählen, herbeizitiertes Sachwissen und Zeitkritik.
Da dem „Roman“ eine Auseinandersetzung mit einem literarischen Werk zugrunde liegt, verwundert es nicht, dass er als eine Art Brandstetterscher Poetik-Vorlesung gelesen werden kann. Es geht darin unter anderem um Flores rhetorici et poetici, geeignete Themen der Literatur, das Aptum des geblümten Stils, Literatur und Sinnlichkeit, Literatur und Mist und die Arbeit des Dichters. Bemerkenswert ist die Abhandlung des gegen den Dichter erhobenen Vorwurfs der Nestbeschmutzung. Der Abt verteidigt, wenn auch nur halbherzig, Wernhers Recht parteiisch zu sein, verlangt aber gleichzeitig nach der Devise „Wo bleibt das Positive?“ von seinem Untergebenen ironisch die Scharte auszuwetzen, indem er ihn auffordert „der staunenden Welt einen großen Baiern vor Augen“ zu stellen, „ein urbairisches Mannsbild, einen Bauern, einen Müller, einen Helden, einen wahren Helden“. Auffällig wie der Abt, der predigt, was richtige Literatur enthalten soll, in diesem Zusammenhang mehrmals beteuert, kein Fundamentalist zu sein. Und amüsant, dass das lehrende Beispiel dem Abt vom Autor des Romans „Die Mühle“ in den Mund gelegt wird.

Die Versuchung liegt nahe, den Abt, der zugleich seine liberale Einstellung hervorhebt und zurechtweist, Gedankenfreiheit gewährt und gleich eine Einschränkung anhängt, nicht ganz ernst zu nehmen. Gleichzeitig spiegelt er freilich das Dilemma einer wertkonservativen Grundhaltung, der man Alois Brandstetter wohl zurechnen muss. Jedenfalls muss man dem Autor zugestehen, in diesem Roman das Problem humorvoll offen zu legen.
In Anspielung auf Gertrude Stein heißt es in „Über den grünen Klee der Kindheit“ „Ein Stall ist ein Stall und bleibt es lange“. Der Abt, der den Schriftstellern vorwirft, Nominalisten zu sein, wiederholt dieses nominalistische Credo gleich mehrfach. Wahlweise setzt er Gärtner, Mönch, Herr, Schriftsteller und Müller ein: „Ein Müller ist ein Müller ist ein Müller.“ Überhaupt ist seine Straftirade nicht frei von Widersprüchen, was ja typisch ist für dieses Genre und sie erst menschlich und erträglich macht.

Alois Brandstetter fügt seinem Roman eine „Nachträgliche Widmung oder Das Hohelied auf den niederen Klerus“ an, worin er jenen von den Nazis ins KZ gesteckten Landpfarrer Heinrich Steiner liebevoll charakterisiert, von dem der ehemalige Ministrant Brandstetter schon im „Tractatus de tractore“ erzählt, dass er mit dem Traktor „sogar die dreißig Kilometer nach Linz gefahren sei, als ihn der Bischof wieder einmal zitiert hatte, um ihn zu fragen, ob er sich endgültig von seiner Bauernwirtschaft trennen und ganz der Seelsorge widmen wolle“. Der Abt in Der geborene Gärtner hat ein wenig mit diesem Bischof zu tun und mit dem gärtnernden Pfarrer. Eine ganz und gar konservative, keine radikale Lehre tischt er uns auf, in der es – Gott sei gedankt – stark menschelt.

Anzumerken gilt noch, dass freilich alle Fragen, die etwa Nachwörter zum „Helmbrecht“ ansprechen, abgehandelt sind. Wir erfahren seine Rezeption und seine Herkunft, lokalisieren die Dichtung und lernen ihre Sprache zu charakterisieren. In die Gegenwart verweist nicht nur die Novelle, sondern auch Wernhers Erfahrungen bei Lesungen und mit der Literaturkritik.

Alois Brandstetter Der geborene Gärtner
Roman.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2005.
160 S.; brosch.
ISBN 3-423-24456-9.

Rezension vom 08.06.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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