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Der Fund

Veza Canetti

// Rezension von Kristina Pfoser

Der Fund – der Titel des vorerst letzten Bandes der Veza-Canetti-Werkausgabe könnte als Motto über der späten Entdeckung dieser Autorin stehen. Der Fund gelang dem Göttinger Germanisten Helmut Göbel, der Ende der 80er Jahre das Pseudonym Veza Magd entschlüsselt hatte, daraufhin Elias Canetti kontaktierte, der schließlich zögernd begann, Schriften aus ihrem Nachlass veröffentlichen.

In seiner Autobiografie „Die Fackel im Ohr“ hatte Elias Canetti ihre Schönheit gerühmt, ihre Klugheit beschworen, ihre literarische Arbeit aber verschwiegen. 1990 öffnete Elias Canetti also 27 Jahre nach dem Tod seiner Frau seine Schreibtischladen und ließ ihren Roman „Die gelbe Straße“ erscheinen – die Literaturkritik war begeistert, das Buch wurde mittlerweile in 13 Sprachen übersetzt. Ein Jahr später folgte das Stück „Der Oger“, das nach den Motiven einer Erzählung aus der „Gelben Straße“ 1992 mit Erfolg im Züricher Schauspielhaus eine späte Uraufführung erlebte. Elias Canetti im Nachwort zum „Oger“: „Sie hielt es für das Beste, was sie je geschrieben hatte. Es war das erste Mal, dass sie mir etwas zeigte, ohne zu beteuern, dass sie nichts davon halte. Ich hatte sie auf jede Weise zum Schreiben ermuntert. Ich lobte mit Überzeugung, was sie mir zeigte, und musste es gegen sie verteidigen. Sie war lange entschlossen, nichts von ihren Sachen zu halten.“

Ob Veza Canetti in ihrem schriftstellerischen Selbstbewusstsein von ihrem Mann gestärkt worden war oder nicht, ob er Angst hatte vor einer erfolgreich publizierenden Gefährtin, mag das Thema von Spekulationen sein, Anschuldigungen gegen den Nobelpreisträger, dass er seine Frau als Lektorin, Agentin und Sekretärin intellektuell ausgebeutet habe, wurden immer wieder von den einen erhoben, von den anderen als feministische Schematisierung abgetan. Dass Elias Canetti kurz vor seinem Tod, im Sommer 1994, alle Briefe von und an Veza verbrannte, hat ein übriges zur Legendenbildung beigetragen. Das Werk Veza Canettis jedenfalls – zunächst als literarisches Ereignis, als späte Entdeckung gefeiert – geriet bald wieder ins Hintertreffen, Vezas Existenz im Verborgenen und Vermutungen über die Ehe der Canettis weckten mehr Neugierde als ihre Literatur. – Tatsache ist, daß Veza Canetti zu Lebzeiten nicht mehr als eine Handvoll Erzählungen in der Arbeiter-Zeitung publizieren konnte und ein paar dieser Geschichten in Anthologien unterbrachte. Nach 1937 verlieren sich auch diese spärlichen Spuren.

1887 in Wien geboren, begegnet Veza Canetti als 27jährige bei einer Lesung von Karl Kraus erstmals dem um acht Jahre jüngeren Elias Canetti. „Sie sah sehr fremd aus“ – schreibt Elias Canetti im zweiten Band seiner Autobiografie „Die Fackel im Ohr“ – „eine Kostbarkeit, ein Wesen, wie man es nie in Wien, wohl aber auf einer persischen Miniatur erwartet hätte. Ihre hochgeschwungenen Brauen, ihre langen, schwarzen Wimpern, mit denen sie, auf virtuose Weise, bald rasch, bald langsam spielte, brachten mich in Verlegenheit. Ich schaute immer auf die Wimpern statt in die Augen und wunderte mich über den kleinen Mund.“

Als Elias Canetti Anfang der 30er Jahre an der „Blendung“ arbeitete, begann auch Veza zu schreiben. Ihr Thema waren die hilflosen, zu kurz gekommenen Menschen, denen sie in ihrer unmittelbaren Umgebung in der Wiener Leopoldstadt begegnete. Unter Pseudonymen – als Martin Murner, Martina Murner oder auch als Veza Magd – hat Veza Canetti ihre Erzählungen in der Wiener Arbeiterzeitung veröffentlicht, Erzählungen, die sie später zu dem Roman „Die Gelbe Straße“ zusammenfügte, die geplante Buchveröffentlichung kam nach den Februar-Unruhen 1934 im austrofaschistischen Ständestaat nicht mehr zustande. 1938 flüchtete Veza Canetti als Jüdin und Sozialistin mit ihrem Mann nach England. Damals glaubte sie noch an ihre berufliche Zukunft als Autorin, gleich nach der Flucht begann sie die Arbeit an ihrem ehrgeizigsten literarisches Projekt, dem Roman „Die Schildkröten“, eine Abrechnung mit den Ereignissen des Jahres 1938, mit der Demütigung und Verfolgung der Juden. Wieder scheiterte eine geplante Publikation – diesmal am Kriegsausbruch.

„In England widmete sich Veza Canetti im Lauf der Jahre immer mehr und schließlich ganz der Beförderung der literarischen Werke ihres Mannes“, heißt es im Nachwort zu dem jetzt erschienenen Erzählband „Der Fund“, mit den Jahren der ausbleibenden eigenen literarischen Erfolge ist sie immer tiefer in die Opferrolle geglitten. Sie kümmerte sich im Londoner Exil um den Broterwerb, rezensierte und übersetzte für Zeitungen, übersah großzügig die Affären ihres Mannes und war ihm eine wichtige Gesprächspartnerin. So schrieb denn auch Elias Canetti über den Entstehungsprozess von „Masse und Macht“: „Ihr geistiger Anteil daran ist so groß wie meiner. Es gibt keine Silbe darin, die wir nicht zusammen bedacht und besprochen haben.“

Dass Veza Canetti dennoch auch damals und auch nach dem Krieg immer wieder selbst literarisch tätig war, ist jetzt aktenkundig: „Der Palankin“, datiert aus dem Jahr 1952, ist eines von zwei Lustspielen, die in dem Band „Der Fund“ publiziert sind, zusammen mit 12 Erzählungen aus unterschiedlichen Schaffensperioden und von sehr unterschiedlicher Qualität. Frühe Prosa-Versuche aus den 20er Jahren finden sich da ebenso wie Geschichten aus der Kriegszeit, als die deutsche Luftwaffe London bombardierte – Geschichten, die eine Ahnung geben vom Leben der Canettis im Exil. In der Erzählung „Toogoods oder das Licht“ etwa geht es um ein ausländisches Paar, das bei dem geizigen Pastor Toogood und seiner Frau in der Nähe von London in Untermiete lebt. Mehr als unter der Bombengefahr leiden sie unter der Knausrigkeit ihrer Hausherren. Kritisch-humorvoll begegnet die Erzählerin dem misslichen Alltag, mit einem Zug zur Groteske, den auch die charakteristischen Eigennamen erkennen, die sie ihren Figuren gibt – Toogood.

Ein Großteil der Erzählungen knüpft thematisch an den Band „Geduld bringt Rosen“ an, der bereits 1992 Kurzprosa von Veza Canetti versammelte. Ihre Sympathie gehört ihren Protagonisten aus der Arbeiterklasse. Ohne falsches Pathos und jenseits aller Sozialromantik schildert sie in lakonischem, schlichtem und nüchternem Erzählton die Armut im Wien der Zwischenkriegszeit. Als überzeugte Sozialistin und als Anwältin der Benachteiligen thematisiert sie Ungerechtigkeit und Elend und bringt ihre Sozialkritik durch Sarkasmus und bittere Ironie zum Ausdruck. Dazwischen findet sie immer wieder zu einem bestechend pointiert-unsentimentalen Tonfall – egal ob sie von Marie erzählt, dem Mädchen mit dem krummen Rücken, die den Hut immer weit in den Nacken schiebt, weil sie ihren Buckel verstecken will oder – in der Titelgeschichte – von dem jungen Dichter, der einen Tag lang im Fundbüro arbeitet und gleich in eine tragikomische Liebesgeschichte gerät.

Der Fund ist der fünfte und letzte Band der Werkausgabe, sozusagen das, was übriggeblieben ist. 1956, sieben Jahre vor ihrem Tod, hatte Veza Canetti aus Verzweiflung die meisten ihrer Manuskripte zerstört, darunter vermutlich auch ihre ersten beiden Romane, einen Kaspar-Hauser Roman, und den Roman „Die Genießer“, die sie 1932 in einer Anthologie erwähnt hatte. Der Fund – das ist keine literarische Entdeckung, es ist aber eine Vervollständigung des Bildes einer Autorin, das nach und nach enthüllt wird.

Veza Canetti Der Fund
Erzählungen und Stücke.
München, Wien: Hanser, 2001.
326 S.; geb.
ISBN 3-446-19988-8.

Rezension vom 28.01.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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