#Roman

Der Fallstrick

Leon Kane

// Rezension von Daniela Völker

Sommer 1940: Vielen jüdischen Exilanten bietet der südliche Teil Frankreichs in diesen Jahren eine Unterschlupfmöglichkeit – so auch den drei Freunden Dollek, Max und dem Ich-Erzähler; drei Streuner, Heimatlose … immer auf der Flucht. „Es ist schwer zu sagen, was uns verband“ resümiert der Ich-Erzähler. Max war in einem Dorf an der russisch-polnischen Grenze geboren, hatte die Schrecken des vorherigen Krieges miterlebt und lebte seit über fünfundzwanzig Jahren auf der Flucht. „Dollek war nach Bedarf Pole oder Belgier, belgischer Kriegsfreiwilliger oder Arzt des Roten Kreuzes. Für alles hatte er Papiere und überall Beziehungen.“ Ein Umstand, der auch seinen Freunden das ein oder andere Mal zugute kommt. Der Ich-Erzähler scheint der Autor selbst zu sein – viele Parallelen legen diesen Schluss nahe:

Leon Kane, 1913 in Galizien geboren, studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Wien, 1938 musste er nach Amsterdam fliehen, 1939 nach Frankreich. Dort wurde er in ein Arbeitsbataillon eingezogen. Nach der Entlassung war er zwei Jahre als Landarbeiter und Englischlehrer im Pyrenäenort Bagnères-de-Luchon tätig. 1942 floh er nach Spanien, wurde inhaftiert, anschließend emigrierte er in die USA. Ab 1943 arbeitete er für den Verlag Penguin Books, war anschließend über dreißig Jahre lang als Übersetzer und Bibliograf an der Engeneering Library Society tätig. 1973 übersiedelte er nach Wien, 1984 kehrte er nach New York zurück, wo er 2003 starb.

Kanes Zeit in den Pyrenäen steht in Der Fallstrick im Vordergrund. Auf der einen Seite gelingt es ihm und seinen Freunden, ein annähernd ’normales‘ Leben zu führen, andererseits wird dieses Leben ständig durch neue Hiobsbotschaften unterbrochen. Überlebenskämpfe sind an der Tagesordnung und der Krieg ist allgegenwärtig, auch wenn er sich groteskerweise hauptsächlich in einem Papierkrieg äußert: Falsche Pässe, Dokumente, Briefe, etc. sind begehrt und für sie geht man schon das ein oder andere Mal über Leichen. Neue Biografien müssen her, man erfindet sich, sein Leben und seinen Charakter beinahe täglich neu. Kane gelingt es vortrefflich, dieses Leben als Provisorium zu schildern. Die bangen Stunden des Ausharrens, Wartens, Zögerns werden mit Übersprungshandlungen wie Flanieren, Geschichtenerzählen, Radiohören, Politisieren und mit Gesprächen über eine mögliche Zukunft verkürzt. Und auch die Liebe hält Einzug in diese Welt, in der sich alles viel langsamer, dann aber doch wieder sehr schnell dreht. Die Liebe kommt und geht, sie meint es einmal ernst, dann wiederum nicht, sie nützt aus, macht Geschäfte und belügt … und in manchen Fällen überwindet sie sogar die schreckliche Zeit. Was aus der befremdlichen Liebe zwischen der gar so spröden Eva und dem Ich-Erzähler wird, bleibt offen. Eine vorherige Liebesgeschichte mit einem Mädchen namens Sulamith löst sich in nichts auf. Was für eine Beziehung wohl zwischen dem verheirateten Mädchen und dem Ich-Erzähler existierte?

Aber nichts ist eben normal zu dieser Zeit, in dieser Welt. „Es ist festgelegt, wann du isst und wann du auf die Latrine gehst. Selbst der Krieg hatte in dieser Hinsicht seine guten Seiten. Vorgesetzte, die alles entscheiden. Wer wird so irrsinnig sein und wieder so etwas wie eine eigene Initiative ergreifen? Hier zumindest gibt es noch kaum eine Beschränkung meiner Bewegungsfreiheit.“ so der Erzähler, die Situation herunterspielend. Dennoch: um ihr Leben nicht zu gefährden, sitzen sie im kleinen Pyrenäendorf fest und um satt zu werden, sind die Freunde gezwungen, verschiedene Gelegenheitsjobs anznehmen – auf dem Feld, als Lehrer, in einer Fabrik, sogar bei den Behörden. Alles nur vorübergehend. Denn wie die Zukunft aussieht, darüber sind sich alle im Unklaren. Und wer heute der Chef ist, kann morgen schon auf der Flucht, der Feind oder tot sein.

Schließlich verstreuen sich die drei Freunde in alle Winde – Max und Dollek zeigen mehr Mut und Entschlossenheit und verlassen das Dorf zuerst, gehen allerdings aufgrund unterschiedlicher moralischer Auffassungen getrennte Wege, während der Ich-Erzähler noch ausharrt, über die letzten Worte seiner Freunde sinnierend. Ihm fehle jegliche Neugier und Moral, wirft ihm Dollek in den letzten gemeinsamen Minuten an den Kopf. Und in der Tat muss er sich eingestehen: „Ich wusste nichts von Neugier, Dollek hatte das richtig erkannt, und ich war ruhig, ich hatte gelernt stillzustehen, auch wenn alles rings um mich in Bewegung war.“ Eine Eigenschaft, die ihm schließlich auf der Flucht mit Eva zugute kommt, auch wenn offen bleibt, ob die Flucht über die Pyrenäen gelingen wird.

Der Fallstrick ist Leon Kanes erster und einziger Roman. Er entstand bald nach seiner Ankunft in den USA, fand jedoch keine Veröffentlichung, da „der Stoff zu speziell und für ein amerikanisches Publikum nur bedingt von Interesse sei“. 2006, dreiundsechzig Jahre später, liegt nun dieses autobiografische Werk erstmals im Picus Verlag vor – in der von Ursula Seeber herausgegebenen Reihe „Österreichische Exilbibliothek“.

Leon Kane Der Fallstrick
Roman.
Wien: Picus, 2006.
198 S.; geb.
ISBN 978-3-85452-614-8.

Rezension vom 09.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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