#Roman
#Debüt

Der einzige Ort

Thomas Stangl

// Rezension von Anne M. Zauner

Timbuktu, sagenumwobene goldene Stadt. Die Begehrlichkeiten der britischen National Geographic Society und der französischen Société de Géographie waren schnell geweckt, als sich der schottische Offizier Alexander Gordon Laing Anfang des 19. Jahrhunderts in offizieller Mission und der Bäckerssohn René Caillié aus Mauzé zwei Jahre später in inoffizieller auf den Weg in die Tiefen der Sahara machten, um die mythische Stadt aufzuspüren. Ging es doch jenseits von exzentrischem Forscherdrang von Anfang an auch um koloniale Vormachtstellungen und Handelsinteressen.

 

Laing hat nun am Anfang seiner Expedition weniger mit exotischen Wilden zu tun oder schrecklichen Wüstenstürmen, sondern mit Formalitäten und unerklärlichen Verzögerungen. Er logiert beim britischen Konsul von Tripolis und verbringt seine Zeit mit dem Warten auf Passierscheine oder Audienzen bei regional einflussreichen arabischen Potentaten und mit der Kalkulation von Bestechungsgeldern. Wieder und wieder verschiebt sich seine Abreise, wobei die Ursachen langsam, aber sicher in die Gefilde der Spekulation, bösen Vorahnungen und Verdächtigungen abdriften, um schließlich in der afrikanischen Sonne ganz zu verglühen. In den trägen Stunden des Wartens kann eine beinah viktorianische Romanze zwischen dem Offizier und der Konsulstochter erblühen, die ihre Erfüllung in Blicken, Worten und verstohlenen Gesten sucht.
Ganz anders gestaltet sich die Reise von René Caillié. Mittellos und nur mit einer Vision von Robinson Crusoe im Kopf macht er sich auf den Weg. Er lernt arabisch und erdichtet sich als Muslim verkleidet eine rührende Lebensgeschichte, um sein Stammeln in der fremden Sprache zu erklären. Beständig verfolgt ihn die Angst vor Entlarvung. So bleibt er ein Außenseiter in den Karawanen, denen er sich anschließen darf. In gestohlenen Momenten macht er sich Notizen und füllt die weißen Flecken auf der afrikanischen Landkarte. Er verzeichnet halbverstandene Namen von Wüstensiedlungen und kartographiert von Fieberschüben verzerrte Wegmarken.

Mit den beiden Forschungsreisenden hat sich der Autor Thomas Stangl einen faszinierenden Stoff für ein Buch gewählt. Ganz einfach macht er es dem Leser allerdings nicht, denn er beschreibt die beiden Schicksale in einer Ausführlichkeit und mit einer solchen sadistischen Lust am Detail, dass man schreien möchte. Quälend langsam pflügen sich die Sätze durch den Wüstensand und das Ziel der Reise rückt mehr und mehr in die Ferne. Wer sehnte sich da nicht nach der ausschweifend barocken Fantasie eines T.C. Boyle, der in seiner wunderbaren „Wassermusik“ einen anderen schottischen Forscher, Mungo Park, auf die Suche nach den Quellen des Niger schickt. „Weiter“, möchte man Thomas Stangl zurufen, doch der beharrt auf seinem langen Atem, bis man unmerklich beginnt, sich an den Stillstand zu gewöhnen und die Wüste sich bis an den Horizont ausdehnt. Zeit spielt keine Rolle mehr und aus den Dünen sprießen poetische Blüten voll exotischer Schönheit.

Als sich dann endlich die goldene Stadt aus der Wüste schält, hat sie ihre Bedeutung nicht nur für die beiden Forscher längst verloren. Es macht keinen Unterschied mehr, dass sich Timbuktu als ein armseliger Lehmwürfelhüttenhaufen entpuppt. Der Weg ist das Ziel und so kommt auch der Autor auf einmal überraschend schnell zu einem Ende. Wir erfahren schon im Abgehen, dass Laing auf seiner Rückreise nach Tripolis ermordet wird. Caillié dagegen erlebt einen kurzen Moment des Ruhms. Seine dreibändigen Reiseschilderungen werden in Frankreich viel gelesen und rasch wieder vergessen. Aber auch er stirbt, körperlich und seelisch erschöpft, viel zu früh.

Der einzige Ort von Thomas Stangl ist keine leichte Lektüre. Es ist auch kein Buch, das dem Leser das Warum des unbezwinglichen menschlichen Forscherdrangs entschlüsselt, es beschreibt jedoch auf eindringliche Weise sein trotzig hingeworfenes Darum und dabei gelingt dem jungen Autor wie nebenbei ein überzeugendes literarisches Debüt.

Thomas Stangl Der einzige Ort
Roman.
Graz, Wien: Droschl, 2004.
405 S.; geb.
ISBN 3-85420-649-6.

Rezension vom 30.08.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.