#Roman
#Debüt

Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss

Elias Hirschl

// Rezension von Gerald Lind

Er schrieb, dass er schrieb, dass er schrieb, dass er schrieb, dass er schrieb, dass er schrieb …“ (49). Manche nervt, was Elias Hirschl in seinem Debütroman Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss macht: Ständig betonen, dass hier jemand schreibt und etwas erfunden wird. Ständig kommentieren, dass hier jemand schreibt, aber vielleicht doch nichts erfunden wird. Ständig kommentierend betonen, dass hier (vielleicht) jemand (oder niemand) schreibt, dass hier etwas (aber vielleicht auch nichts) erfunden wird. Diese ganzen Metaebenen, werden manche ausrufen, man kennt sich nicht aus, was jetzt was ist und wer jetzt was tut und überhaupt: Wer was schreibt. Eine Geschichte wollen wir. EINE. Und sonst nichts. Alles andere nervt.

Mich nervt das nicht. Ganz im Gegenteil. Mir gefällt das. Mir macht das Spaß. Gerade bei Hirschl. Denn dem macht das ganz offensichtlich ebenfalls Spaß. Ganz schön viel Spaß. Die EINE-Geschichte-keine-Metabenen-Rufer_innen macht er deshalb gleich zu einem Teil des Spaßes, das heißt der Geschichte. Simon Gruber („Gruber – ein recht exotisch klingender Name, finden Sie nicht?“, 132), Schriftsteller (mal mehr, mal weniger), erhält gleich zu Beginn des Romans (und nicht nur dann) eine mit dem Bundesadler auf dem Briefkopf versehene Verwaltungsstrafe in Sachen „wiederholte unsachgemäße und tautologische Verwendung multipler Erzählebenen“ (9) zugestellt mit der „einstweilige[n] Verfügung […] von literarischen Metaebenen 100 Meter Abstand (entspricht etwa 20 000 Zeilenabständen) zu halten.“ (9)

Gescherzt wird bei Hirschl also ständig. Auf der Metaebene sowieso, aber natürlich auch auf der Mikroebene. Wortwitz jagt Wortspiel jagt Wortkalauer jagt Wortwiederholungswitz. Letzterer jagt sich übrigens jedesmal selbst, wenn der Titel gebende einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss auftaucht: „Er hatte sich beschämt und von sich selbst enttäuscht in seinen Telefonanschluss gesetzt und sich frustriert einen starken Telefonanschluss eingeschenkt, den er in einem Zug hinunterstürzte.“ (14) Aus der ja nicht erst seit der Postmoderne nicht gänzlich unbekannten Volte, Figuren und Autorgott auf eine (Erzähl)Ebene zu stellen, gewinnt Hirschl immer wieder neues komisches Potenzial. So sperrt Simon Gruber seine Frau in den Fußnotenapparat, von wo sie die Leser_innenschaft immer wieder auf sich aufmerksam zu machen versucht: „Hallo! Ist da jemand? Hey! Helfen Sie mir! Dieser Irre hat mich hier eingesperrt! Hilfe! Hiiilfe!“ (26)

Der von Hirschl losgelassene Strom an Metafiktionsklamauk, ironischen Wortklaubereien und narrativen Paradoxien ist in seiner Ungezügeltheit hypnotisierend. Der Autor (wer immer das nun wieder sein mag) zensiert nichts, aber genau und wirklich NICHTS. Sei der Schmäh noch so abgedreht oder pubertär oder hanebüchen, Hirschl bringt ihn. Dadurch kommt „Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss“ mit einer solchen brachialen Freude an der Sprache und am Schreiben daher. Freiheit, ja Anarchie springt einem von jeder Seite entgegen und man wünscht sich bisweilen ein bisschen Hirschl in so manch anderem Text der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, der an seiner eigenen Bedeutungsschwere im ironiefreien Vakuum zu ersticken droht. Elias Hirschl hingegen nimmt sich überhaupt nicht ernst und recht hat er.

Aber stop. Sie werden sich nun sicherlich (vielleicht gar schon seit geraumer Zeit) fragen: Worum geht es eigentlich in diesem „Roman“? Was treibt denn zum Beispiel dieser Gruber die ganze Zeit? Nun: Nichts. Wobei das natürlich das Problem ist: Ein Schriftsteller, der nichts schreibt, das kann nicht gut ausgehen. Tut es auch nicht. Gruber wird in eine „geschlossene Anstalt für literarisch abnorme Rechtsbrecher“ (40) eingewiesen. So es soetwas gibt. Was der Roman offen lässt. Natürlich wird er dort geisteskrank. Wobei es auch möglich ist, dass er das schon war. Irgendwie gelingt ihm in der Anstalt aber trotzdem soetwas wie ein Text, der wohl mit soetwas wie einem Roman zusammenhängt. Worauf er entlassen wird und wenig später vor seiner Wohnungstür von der aus genau diesem Roman entlaufenen Dorfgemeinschaft heimgesucht wird.

Dort, im Dorf, ist nämlich ein Streit über die Existenz Gottes, das heißt des allmächtigen Autorgottes, entbrandet. Als Gruber deshalb seine Wohnungstür öffnet, ruft der Dorfpfarrer triumphierend aus: „,Ha, seht ihr! Er existiert wirklich! Ich hab recht gehabt, was sagt ihr jetzt?‘ ,Äh, ja, ich existiere wirklich‘, steuerte Simon schlaftrunken bei. ,Darf ich ein Selfie mit ihm machen?‘, fragte der Elektriker. ,Schweig, Ungläubiger!‘, schrie ihn der Pfarrer an. Dann wandte er sich an Simon. ,Dieser Ketzer hat versucht, die Unmöglichkeit deiner Existenz zu beweisen.‘ ;Cool‘, sagte Simon.“ (75)

Elias Hirschl ist nichts peinlich und schon gar nichts zu peinlich. Sein erzählerischer Wahnsinn lässt niemanden verschont: Weder Mag. Teresa Heidinger, Staatsanwältin in der literarischen Strafsache Gruber und Vorsitzende der kannibalistischen Sekte „Die Terroristen – Organisation zur Vernichtung vieler menschlicher Leben aus Liebe zu Fördebar dem fast Allmächtigen“, noch den eigentlich immer und überall auftauchenden Detektiv, der Unschuldige mit Gemüsefolterung zum Geständnis zwingen möchte, der Gärtner zu sein. Und natürlich schon gar nicht den Autor selbst: „Also wirklich, was bin ich heute doch wieder für ein unzuverlässiger Erzähler.“ (28) Es dürfte nun wohl allen (sogar den EINE-Geschichte-keine-Metaebenen-Rufer_innen) klar geworden sein: Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss ist ein hemmungsloser Spaß, dass es eine Freude ist.

Elias Hirschl Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss
Roman.
Wien: Milena, 2015.
137 S.; brosch.
ISBN 978-3-90295-022-2.

Rezension vom 17.03.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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