Die Autorin, freie Mitarbeiterin am Klagenfurter Musil-Institut, untersucht des Dichters Tätigkeit als „Schriftleiter“ zweier Militärzeitungen im Ersten Weltkrieg. 1916 und 1917 redigierte er die in Bozen erschienene „Tiroler Soldaten-Zeitung“, von März bis Dezember 1918 leitete er in Wien das Organ „Heimat“. Das war eine propagandistische „Durchhaltegazette“, wie Musil-Biograph Karl Corino in einem der beiden Aufsätze schreibt, die im vorliegenden Band enthalten sind. Corino informiert aber auch darüber, dass nicht nur Musil, sondern auch Franz Blei, Albert Paris Gütersloh und Egon Erwin Kisch für dieses Organ tätig waren. Musil leitete diese patriotisch-kaisertreue Zeitung bis zu ihrer Einstellung im Oktober 1918. Wenige Wochen später gehörte er dann zu den Mitgliedern jenes kurzlebigen „Rates geistiger Arbeiter“, der in Österreich wie in Deutschland eine sozialistische Republik unter maßgeblicher Führung der „Geistigen“ forderte. Dieser abrupte Gesinnungswandel am Ende des Krieges ist nicht nur bei Musil zu beobachten, sondern war eine verbreitete Reaktion auf die radikal veränderten Verhältnisse.
In Schaunigs Buch werden die Neuorientierungen der Zwischenkriegszeit aber nur noch am Rande berührt, denn hier geht es vorrangig um Robert Musils Verhalten während des Krieges. Bekanntlich haben sich viele namhafte österreichische Schriftsteller im Dienste des Kriegspressequartiers (KPQ) als Kriegsapologeten betätigt, nicht zuletzt, um damit einem Einsatz in der kämpfenden Truppe zu entgehen. Schaunig macht jedoch klar, dass Musils schriftstellerischer Einsatz mit den Opportunismen Hofmannsthals, Zweigs oder Rilkes nicht gleichzusetzen ist. Musil war Absolvent einer Militärschule, mithin dem Soldatischen „habituell angepasst“, wie Schaunig im Rückgriff auf Pierre Bourdieus Kategorien schreibt. Die Richtigkeit dieser Aussage beweist schon das Titelfoto, doch wird sie von der Verfasserin auch gründlich belegt durch eine Präsentation und Analyse jener Artikel, die Musil selbst in seinen beiden Soldatenblättern veröffentlicht hat. Der Redakteur hat seine eigenen Beiträge damals namentlich nicht gezeichnet, so dass es einer umfangreichen philologischen Recherche bedurfte, um einzelne Artikel als Musil-Texte zu identifizieren. Regina Schaunig hat die erhaltenen Soldatenzeitungen im Auftrag des Musil-Instituts durchgearbeitet und stellt nun 87 Texte vor, die sie mit guten Gründen Musil zuschreibt.
Selbstverständlich drückt sich der Militärjournalist Musil handfester, einfacher und volkstümlicher aus als der Romancier gleichen Namens. Er will die Soldaten im Schützengraben ebenso ansprechen wie die breite Leserschaft im Hinterland, und er erreicht dieses Ziel mit großem journalistischem Geschick. Sein Weihnachts- und Neujahrsartikel „Heilige Zeit“ vom Silvester 1916, nährt zum Beispiel die Vermutung, Musil hätte auch das Zeug zum boulevardesken Reporter gehabt, wenn er es nicht vorgezogen hätte, ein zeitkritischer Analytiker und philosophischer Weltdeuter zu werden: „Willst Du Blei gießen und eine Frage an das Schicksal stellen, so geh hin, wo vorn bei den Posten im Dunkel da und dort ein Gewehreinschlag aufspritzt. Statt Engelchören zieht von Zeit zu Zeit eine Granate singend durch die Luft. So feiern die Schützengräben Weihnacht und Jahreswende.“
Auch ist Musil der sozusagen „populistischen“ Ansicht, eine Soldaten-Zeitung könne nicht von Schriftstellern gemacht werden, die das Kriegsgeschehen nur vom Schreibtisch aus beurteilen können. In der Tat hatte er selbst ja von 1914 bis 1916 an der Front gekämpft; erst dann bewirkten gravierende gesundheitliche Probleme seinen Einsatz als Propagandaschreiber. Diese Erfahrung der „Bewährung an der Front“ bildete (im Krieg und erst recht danach) den harten Kern im Selbstverständnis vieler soldatischer Männer. Auch Musil appelliert an dieses Gefühl, wenn er 1916 in der „Soldaten-Zeitung“ das sehr rufzeichenhaltige Manifest „Kameraden arbeitet mit!“ veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt:
„So muß sich heute eine Soldatenzeitung ihre alte Aufgabe neu stellen. Nennen wir es so: Sie muß eine Soldatenzeitung bleiben!
Es muß anders aus ihr klingen, als man es sonst in den Zeitungen liest!
Das Leben in unmittelbarer Nähe des Gegners muß es sein, das aus der Kriegszeitung spricht!
Der Mann, der täglich Gefahr und Entbehrung erträgt, schreibt anders als einer, der sich das bloß vorstellt!
Ihr alle, Kameraden von der Front, müßt für die Tiroler Soldaten-Zeitung schreiben!
Herzhaft muß sie bleiben, trockenen Witz und tüchtigen Ernst behalten, den Feind hassen und Kaiser und Vaterland lieben.“
Allerdings enthält Schaunigs Auswahl nicht nur Frontkämpfer-Pathos. Man darf sich Musils Texte nicht allzu simpel oder gar primitiv vorstellen. So kritisiert er einmal in durchaus feuilletonistischer Manier den überall grassierenden patriotischen Kitsch und fordert dazu auf, die Regeln des Kunstgeschmacks auch im Krieg nicht zu vergessen. Ein andermal überlegt er, wie das englische Wort „Bluff“ auszusprechen sei, „Blaff“, „Blöff“, „Blüff“, oder „Bluff“ und er plädiert nach längeren etymologischen Überlegungen fürs letztere.
Aber meistens befasst sich Schriftleiter Musil doch mit Krieg und Politik. Dabei nahm er sich, wie Schaunig darlegt, gewisse Freiheiten heraus. Er kommentierte immer wieder aktuelle politische Entwicklungen, wobei er zuweilen den Unmut der österreichischen Politik auf sich zog. Allerdings war diese kritische Haltung nur möglich, weil sie durch einen militärischen Vorgesetzten gedeckt – wenn nicht gar angeordnet – war: Alfred Krauß, Kommandant bei der „Heeresgruppe Feldmarschall Erzherzog Eugen“ in Bozen war der Ansicht, Soldatenzeitungen sollten nicht nur dem kameradschaftlichen Zusammenhalt dienen, sondern auch militärpolitischen Zwecken. Er schätzte Musil als intelligenten und gewandten Autor, der diese Ziele mit einigem Geschick umsetzen konnte. Krauß also war der General, in dessen Dienst sich der Dichter für einige Jahre recht erfolgreich als populistischer Militärjournalist versuchte.
Der k.u.k. General Alfred Krauß starb 1938 als hochgeehrter Nationalsozialist und SA-Kommandant, der nach dem „Anschluss“ noch ganz kurz dem deutschen Reichstag als österreichischer Abgeordneter angehört hatte. Einen vergleichbaren Weg hätte auch sein einstiger Untergebener Robert Musil gehen können. Es gibt in seiner „habituellen“ soldatischen Grundausstattung manches, was ihn zum Faschisten geradezu prädestiniert hätte. Aber im Unterschied zu vergleichbaren Autoren (etwa Ernst Jünger, Gottfried Benn, Heimito von Doderer) war Musil gegen alle Verlockungen der Macht und des Totalitarismus immun – auch das ist eine nicht zu unterschätzende intellektuelle und emotionale Leistung. Als die Nationalsozialisten auch Österreich regierten, ging Robert Musil in die Schweiz, wo er 1942 vereinsamt und nahezu vergessen gestorben ist. Mittlerweile ist es allgemein anerkannt, dass er zu den bedeutendsten Analytikern und den originellsten literarischen Gestaltern seines Jahrhunderts gehörte. Die Kriegsjournalistik die Regina Schaunig nun sorgsam ediert und kommentiert hat, ändert an diesem Urteil nicht das Geringste. Sie ist zwar kein so genanntes „Ruhmesblatt“, aber ebenso wenig ein so genannter „Schandfleck“. Musils anonym erschienene österreichische Kriegspropaganda ist einfach nur geschickt gemachte Gebrauchsprosa, die zeigt, wo dieser Autor ideologisch und gesellschaftlich herkam. Wo er später auf ganz und gar eigenständigen Wegen hinging – das steht hingegen in seinen namentlich gezeichneten literarischen Texten, insbesondere im riesigen, nicht auszulesenden Romantorso „Der Mann ohne Eigenschaften.“