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#Prosa

Der Chauffeur

Heinrich Steinfest

// Rezension von Veronika Hofeneder

Paul Klee heißt der Protagonist in Heinrich Steinfests neuem Roman und er ist – trotz beabsichtigter Namensgleichheit – nicht Maler, sondern Chauffeur.

Zumindest bis zum Beginn des Romans, denn nach einem tragischen Autounfall und einer unglücklichen Fehlentscheidung muss Klee seinen Dienst quittieren und sattelt auf Hotelier um. Er erwirbt ein Haus in der baden-württembergischen Provinz und macht daraus das „Hotel zur kleinen Nacht“ mit Salzwasserpool, exquisiter Bar und dem besten Frühstück überhaupt. Der Hauskauf stellt aber nicht nur eine berufliche Veränderung für Klee dar, sondern auch eine private: Er und die Maklerin, Inoue Sander, verlieben sich Hals über Kopf ineinander und werden nach einer Prügelei mit Fußballrowdies und exzessivem Genuss von Sake sogar noch Geschäftspartner. Für einige Zeit, genauer gesagt für eineinhalb Jahre läuft alles nach Plan, die Gäste schätzen die Exklusivität des kleinen Hotels sehr und das Paar kommt auf allen Ebenen gut miteinander aus.

Dann erschüttern aber einige schwerwiegende Ereignisse die Steinfest’sche Idylle: Zunächst gerät die Beziehung von Klee und Inoue in die Brüche, als diese sich zu Klara, die als Haushalts- und Kinderhilfe engagiert ist, hingezogen fühlt, und dann landet auch noch die Sputnik 2-Kapsel mit der Hündin Laika in der Nähe des Hotels, wo sie von Inoues Kindern gefunden wird. Um diese vor dem Medienrummel zu schützen, taucht Inoue mit ihnen und ihrer Geliebten ab, Klee begibt sich unterdessen auf die Spuren eines ungelösten Verbrechens, das er in der Nachbarschaft vermutet, und macht sich an die Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit. Die Verbrecherjagd führt ihn über die Landesgrenzen hinaus und die Donau hinab, bis es in einem Sanatorium am Semmering zu einem reichlich skurrilen Finale mit Anklängen an Thomas Manns Zauberberg kommt.

Wie üblich und von seinen Fans geschätzt, kommt Steinfest auch im Chauffeur wieder einmal vom Hundertsten ins Tausendste, verfolgt jeden noch so nebensächlichen Handlungsstrang und füllt jeden „Zufall“ mit Bedeutung. Nichts in diesem aus 22 Kapiteln bestehenden zu 4 Fäden gewebten Text passiert ohne Sinn, nichts wird einfach so dahin gesagt und keine Figur tritt auf, ohne nicht früher oder später bzw. in einem anderen Roman einen Teil zum Steinfest’schen Textuniversum beizutragen. Die „Nebenwege des Schreibens“ (so der Titel eines poetologischen Manifests von Steinfest aus dem Jahr 2010) lassen sich wohl derzeit mit keinem anderen Autor der Gegenwart so unterhaltsam wie auch niveauvoll beschreiten. Da verzeiht man dem Meister der Fabulierkunst im aktuellen Plot auch ein paar Passagen, die allzu konstruiert wirken oder ins Abstrus-Esoterische abdriften, wie z. B. seine utopische Vision über die Rückentwicklung der Menschheit weg von Technik und Waffengewalt hin zu archaischen Verhaltensweisen vor Einführung der Geldwirtschaft.

Äußerst gelungen hingegen sind all jene Szenen, in denen Steinfest körperliche Empfindungen und Erlebnisse seiner ProtagonistInnen beschreibt, besonders hervorzuheben sind hier jene mit Bezug zum Wasser – das Hotel verfügt nicht nur über einen Pool, sondern auch ein Aquarium –, die so sinnlich formuliert sind, dass man beim Lesen gleichsam in einen schwerelosen Raum eintaucht und sehr erfrischt wieder auftaucht.

Und so charmant wie Steinfest hat auch noch kein Autor seinen KritikerInnen den Wind aus den Segeln genommen, denn nach der Qualifikation für das Betreiben eines Hotels gefragt, antwortet Inoue ganz trocken: „Zwischen Gast und Hotelier ist aber ein Unterschied, oder? Die Unzufriedenheit etwa eines Lesers von Büchern macht aus ihm nicht automatisch einen guten Schriftsteller.“ (50) Dass Steinfest aber einer der Besten ist, stellt er mit dem Chauffeur wieder eindrucksvoll unter Beweis; möge ihm die Lust am Fabulieren noch lange erhalten bleiben!

Der Chauffeur.
Roman.
München: Piper, 2020.
368 Seiten, gebunden.
EAN 978-3-492-05867-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 23.09.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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