Und dann das: Der Brenner und der liebe Gott steht in Form eines Kruzifix auf dem Cover seines neuen Buches und fügt sich damit nahtlos in die religiös-morbid angehauchte Serie der Brenner-Titel ein („Wie die Tiere“ einmal ausgenommen). Der erste Satz konnte zwar nicht einfach wie üblich „Jetzt ist schon wieder was passiert“ lauten, dafür wischt der Autor zu Beginn in nicht einmal zwei Zeilen jeden Einwand von wegen toter Erzähler vom Tisch: „Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.“ Kurz denkt man an den Vorspann der Rocky Horror Picture Show, bei dem ein einsamer Mund vor schwarzem Hintergrund die Titelmelodie singt, und dann geht es auch schon dahin, als hätte sich nie eine tödliche Pistolenkugel in Richtung dieses nicht nur unermüdlichen, sondern offenbar auch unzerstörbaren Plappermauls verirrt.
Auch Brenner jobbt sich im neuen Roman perspektivenlos wie eh und je durchs Leben. Dass aus ihm vorübergehend ein „Herr Simon“ wurde, ist weder auf unerwarteten Ritterschlag noch Gutsbesitz zurückzuführen, er ist nun schlicht Chauffeur der betuchten Familie Kressdorf – und, was doch überrascht, wichtigste Bezugsperson der kleinen Tochter Helena, die er zwischen dem Vater in München, der Mutter in Wien und dem gemeinsamen Domizil in Kitzbühel hin- und herkutschiert. Die Entführung des Kindes auf einer Tankstelle beendet die Idylle. Brenner wird gefeuert und gerät als einer der Tatverdächtigen wieder einmal ins Visier der Ex-Kollegen von der Kripo. Natürlich macht er sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem Entführer, der vorerst keine Forderungen stellt, bzw. nach möglichen Entführungsmotiven. Solche gibt es im Privat- und Berufsleben der Eltern zuhauf: Die Mutter betreibt eine Abtreibungsklinik in Wien, wird seit längerem von fundamentalistischen Christen bedroht und hat gute Gründe, eine an einer Zwölfjährigen vorgenommene Abtreibung nicht, wie vom Gesetz vorgesehen, den Behörden zu melden. Helenas Vater ist als Bauunternehmer in finstere Machenschaften um einen riesigen Neubau im Prater verwickelt, seine Vaterschaft obendrein alles andere als erwiesen.
Während eine gewohnt holprige Liebesgeschichte zwischen dem durch Antidepressiva etwas drögen Brenner und einer Südtirolerin mit charmantem Restdialekt („Kotzescht du gerade?“) stotternd anläuft, setzt auch schon der gewohnte Leichenregen ein. Die Polizei erschießt einen ersten Tatverdächtigen, bald stößt Brenner auf die Leiche eines zweiten und steckt wenig später selbst bis zum Hals in der nicht nur sprichwörtlichen Scheiße, in der ihn niederträchtige Finsterlinge schließlich in einer genüsslich ausgeschlachteten Szene ertränken wollen.
Dass es Wolf Haas in seinen Krimis nicht so sehr um das logisch-analytische Aufdröseln eines gefinkelten Whodunit-Rätsels geht, dürfte inzwischen den meisten Lesern klar geworden sein. Dass ihr Suchtpotenzial dennoch wesentlich höher ist als das der Schokoladentafel auf dem Umschlag, liegt in erster Linie an seinem so unnachahmlichen wie inzwischen untoten Erzähler. Dessen scheinbar mundartliche, aufs Wesentliche reduzierte Syntax wird zwar gerne imitiert, entfaltet aber nur in Kombination mit der Haasschen Mischung aus Distanzlosigkeit, Bauernschläue und Beobachtungsgabe ihre volle Wirkung. Vergnüglich ist darüberhinaus einmal mehr, wie gut es der Autor versteht, das Österreichische und allzu Österreichische durch den Kakao bzw. zur Abwechslung auch durch die Senkgrube zu ziehen.
Der Brenner und der liebe Gott geizt wie die Vorgängerbände nicht mit Bezügen zur austriakischen Realität, von den Abtreibungsgegnern in der Wiener Innenstadt über schmierige Bankmenschen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, bis zu Bauskandalen, wie sie nicht nur im Wiener Prater längst Wirklichkeit geworden sind. Der Roman enthält aber auch ein kleines österreichisches Roadmovie, das den gescheiterten Chauffeur auf der Spur der mittlerweile abgeschafften Ring-Straßenbahn viele Male rund um die Innenstadt führt, deren Sehenswürdigkeiten wie bei einer Karrusselfahrt vorbeiziehen, und von dort zur Kitzbüheler Almhütte mit Stall-Peepshow – eine Fahrt, die Brenner wieder und wieder zurücklegt, anfangs am Steuer eines Luxusschlittens, schließlich als verschnürtes Paket im Kofferraum. Dass der Ermittler im Lauf dieser Handlung körperlich und seelisch massiv ramponiert wird, tritt so sicher ein wie das Amen im Gebet. Über die Brenner-Serie ist ein solches Schlusswort einstweilen wohl noch nicht gesprochen. Und so soll es gefälligst bleiben – Schluss, aus, ding!