#Lyrik

Der Augen Blick

Matthias Schönweger

// Rezension von Sigurd Paul Scheichl

Im Katalog der Bozner Tessmann Bibliothek – es kann gut sein, dass sie die einzige öffentliche Bibliothek mit einer halbwegs kompletten Schönweger-Sammlung ist – wird der auch hier nur annähernd in seiner sprachlichen und grafischen Komplexität wiedergegebene Titel in dieser Form verzeichnet:

Das geht in einem Bibliothekskatalog nicht anders – gleichwohl zeigt schon diese notwendiger Weise konventionelle Titelaufnahme, wie sehr Matthias Schönweger, der sich stets die Oberhoheit über Druck und Gestaltung vorbehält, ‚andere‘ Bücher macht.

Bücher sind für ihn nicht einfach die Behältnisse seiner Gedichte – seiner Texte? –, sondern wollen als ganze Kunstwerke sein und sind es auch. Seine (zahlreichen) bisher erschienenen Bücher haben das sehr oft durch eine Verbindung sprachlicher und bildlicher Mittel, manchmal auch durch sehr überraschende Verfahrensweisen erreicht; in dem neuen Werk, gewichtig wie fast alle Bände des Autors, beruht der Effekt ausschließlich auf dem Schriftbild. Im Innern des Buchs verwendet „msch“ ausnahmslos Großbuchstaben im gleichen Schriftgrad, besondere Wirkungen erreicht er durch die sehr unterschiedlichen Zeilenabstände.

Schutzumschlag und Titelblatt sind rätselhaft. Heißt das Buch nun Der Augenblick oder Der Augen Blick? Gehört „Der Wimpernschlag“ – oder „Der Wimpern Schlag“? – nun zum Titel oder nicht? Aus dem Spiel mit der Wortbildung macht msch ein Spiel mit der bibliografischen Eindeutigkeit und stellt damit gleich das Medium Buch in Frage; dementsprechend sind die Klappentexte Parodien der Textsorte Klappentext.

Das Unerwartetes aufdeckende Spiel mit der Sprache ist das tragende Element dieses Bands wie des gesamten Werks von msch. Noch mehr als bisher spielt er hier mit der Spannung zwischen der Standardsprache und dem Italienischen und der (Burggräfler) Mundart.

Die Anordnung der Seite unterstützt und unterstreicht jeweils das stets erhellende Spiel. Ein Beispiel für diese grafische Lyrik, die sich dem für das traditionelle Gedicht so wichtigen Klang entzieht:

Die geläufige Wendung ‚das Licht der Welt erblicken‘ für ‚geboren werden‘ wird zweifach wörtlich genommen: einerseits durch die Nennung des Orts, an dem heute Geburten zu geschehen pflegen; andererseits durch die Nennung der Quelle des Lichts, das die/der Neugeborene zuerst sieht, einer sehr kalten, sehr künstlichen Quelle. Die großen Durchschüsse zwischen den zu Abschnitten gemachten Satzteilen unterstreichen die Überraschungseffekte. Damit führt msch uns die Sinnentleerung des alten Bilds für die Geburt vor, die Pointe mit den Neonlampen als Licht der Welt macht das Übergreifen der Technisierung auf die intimsten Momente des Lebens bewusst.

Die Verfahrensweise des Wörtlichnehmens und die verwandte des Wortspiels prägen seit jeher viele Texte von msch; bei ihm sind sie stets mit grafischen Mitteln verbunden, etwa dem Zerlegen der Sätze in Zeilen, das den Leser/den Betrachter geradezu zwingt neue Zusammenhänge herzustellen.

Ein anderes Beispiel, das eher dem klassischen Wortspiel zuzuordnen ist, arbeitet mit der gleichen Schreibweise des Nomens ‚Sucht‘ und der 3. Person Singular des Verbs ’suchen‘, wobei das Nomen hier nur als Grundwort von Komposita vorkommt, was die Vielfalt der Süchte andeutet (zumal ‚Sucht‘ mit den fünf Sinnen verbunden wird), und das Verb in der sprichwörtlichen Formel ‚Wer sucht der findet‘ gebraucht wird. In der Reihe der Süchte wird obendrein die in der Mitte stehende ‚Sehsucht‘ zur ‚Sehnsucht‘. Wie sehr msch hier vom Schriftbild und nicht vom Klang ausgeht, lässt sich schon daran erkennen, dass das Verb mit einem langen, das Nomen mit einem kurzen Vokal ausgesprochen wird:

Ein letztes Beispiel für den Blick des Künstlers auf die erhellenden Doppelbödigkeiten der Sprache:

Zentral ist hier ein klassisches Wortspiel‚ das mit der konkreten und der übertragenen Bedeutung des Verbs ’sammeln‘. Zunächst bewegt sich der Text ganz in der Sphäre des Geistigen‚ in der man Eindrücke und Erfahrungen sammelt; dann sammelt das Ich auf einer noch höhere Ebene sich; und dann stürzt es ab und sammelt ganz banal „Schwammelen“‚ wobei der pointierende Stilbruch durch das Dialektwort am Schluss den Bruch zwischen dem einen und dem anderen Sammeln aufs Äußerste zuspitzt.

Zuletzt ein Text‚ der zeigt‚ wie grafische Anordnung Bedeutung konstituiert:

Konziser als in diesem ganz in der Tradition der experimentellen Literatur stehenden Text könnten Eintönigkeit und Endbewusstsein (das in dem Buch immer wieder zu lesen‚ zu sehen ist) schwerlich Ausdruck finden. In eine existenzielle Dimension wie hier schlägt msch‘ Witz nicht selten um.

Dass die vorgestellten Gebilde sehr minimalistisch konzipiert sind – die Experimentellen lassen bei msch immer grüßen – ‚ ist offensichtlich; das gilt für die Texte in diesem Band und für sein Werk überhaupt. Allerdings hat der Autor diese Verfahrensweisen ganz persönlich weiter entwickelt und ist ein sehr eigenständiger Sprachartist geworden‚ der leider außerhalb seiner Heimat nie den Durchbruch geschafft hat – unter anderem weil man dort „Schwammelen“ und „Gandaloschtia“ nicht versteht‚ ebensowenig die vielen lokalen Anspielungen – ‚ und in Südtirol auch nicht‚ unter anderem weil dort nachwirkt‚ dass man um 1960 die Blüte der Sprachartistik nicht wahrgenommen hat. Ein anderer Grund ist‚ dass man msch schwer zitieren kann‚ denn seine Texte leben nur in seinen Büchern: Papierqualität‚ Farbe‚ Schrift‚ die umgebenden Texte sind untrennbar vom einzelnen Text‚ den man nicht lesen‚ sondern anschauen soll. Und das geht eigentlich nur im msch-Buch. Deshalb ist er auch schwer zu rezensieren.

Wo immer man dieses Buch aufschlägt‚ erlebt man spannende Überraschungen; oft habe ich gelacht. Einen Einwand kann man freilich machen: Die Fülle der oft witzigen‚ aber nicht nur witzigen Einfälle in dem umfangreichen Buch droht einen zu erschlagen. Man sollte darin immer wieder blättern …

Schönweger‚ dessen Arbeit ich seit bald 40 Jahren fasziniert und begeistert verfolge‚ ist in meinen Augen die originellste Figur der Literaturszene in Südtirol. Hohes Sprachbewusstsein und ausgeprägtes grafisches Bewusstsein verbinden sich bei ihm zu einem innovativen Werk‚ das die Grenzen der herkömmlichen Literatur (auch jener der Sprachartisten) weit überschreitet. DER AUGENBLICK – oder wie immer das Buch nun heißt – beweist das aufs Neue.

Der Augen Blick.
Gedichte.
Meran: Alphabeta, 2017.
574 Seiten, gebunden.
ISBN 978-88-7223-303-0.

Rezension vom 08.05.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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