#Comic

Der Atem

Lukas Kummer

// Rezension von Judith Leister

In Der Atem wird der junge Bernhard wegen einer schweren Rippenfellentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Im selben Spital liegt auch sein bewunderter Großvater, der allerdings noch in der Lage ist, den bettlägerigen Enkel am Krankenbett zu besuchen. Doch statt des vermeintlich todgeweihten Enkels stirbt der Großvater. Soweit die zentrale Handlung, an der sich auch Kummers Adaption (2021) orientiert. Die aseptische Welt des Krankenhauses steht in dieser Graphic Novel im Mittelpunkt: hohe Krankensäle mit ebenso riesigen Fenstern, die beängstigende Schatten an die gegenüberliegende Wand werfen. Die Patienten liegen wie weiße Puppen unter den Decken der aufgereihten Gitterbetten, gesichtslos, fast unsichtbar und vollkommen abhängig vom Medikamenten-Tropf. Das getrübte Bewusstsein des Patienten Bernhard stellt Kummer durch Bewegungsunschärfen der gleichfalls anonym gezeichneten Krankenschwestern dar.

Der junge Zeichner Lukas Kummer ist nicht der erste, der das Werk Thomas Bernhards in einer Graphic Novel künstlerisch be- und verarbeitet. Bereits vor zehn Jahren setzte der Wiener Nicolas Mahler Bernhards Roman „Alte Meister“ und später dessen Theaterstück „Der Weltverbesserer“ als Graphic Novel um. Lukas Kummer hat sich erstmals 2018 an die zeichnerische Umsetzung der fünfbändigen Jugend-Autobiographie von Thomas Bernhard, die zwischen 1975 und 1982 im Residenz-Verlag erschienen ist, herangewagt. Wie Mahler verdichtet auch Kummer die Handlung der Bernhardschen Werke extrem. Ansonsten geht er jedoch einen ganz anderen Weg. Im Gegensatz zu seinem Kollegen verzichtet er nämlich auf Sprechblasen, Farbigkeit und jede Knollnasen-Komik. Vielmehr setzt er auf Reduktion und auf die Unfarben Schwarz, Grau und Weiß. Der Text, der in Kästen am oberen Bildrand platziert ist, besteht aus Originalsätzen aus dem Bernhardschen Werk.

Kummers erster Graphic-Novel-Band „Die Ursache“ (2018) zeichnet das Salzburger Internat, das Bernhard von 1943 bis 1946 besuchte, als eisige Erziehungsanstalt. Während des Kriegs wurde hier nationalsozialistischer Drill eingeübt – der nach dem Krieg einfach weiterlief, dann unter dem Vorzeichen des Katholizismus. Beim Zögling Bernhard führt die schwarze Erziehung zu Selbstmord-Gedanken. Lukas Kummers spröde Zeichnungen zeigen die internen Machtstrukturen und die Gleichschaltung der Seelen auf, oft als Vogelperspektive auf die Protagonisten oder als stereotype Totale. Als Kummers zweite Bernhard-Graphic-Novel kam 2019 „Der Keller“ heraus. Der ‚Keller‘ ist die Kolonialwarenhandlung, in der der 16-jährige Gymnasiast Bernhard eines Tages spontan eine Lehrstelle annimmt, nur, um dem quälenden Schulbetrieb zu entkommen. Bernhard ergreift in seinem Buch Partei für die armseligen Bewohner der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung, in der der Laden liegt. Im Gegensatz zur gesichtslosen Masse der vielen ‚anderen‘ zeigt Lukas Kummer in dieser Graphic Novel Einzelne, wie den sozial engagierten Betreiber der Kolonialwarenhandlung, einen verhinderten Musiker, mit individualisierten Gesichtern.

In Der Atem wird der junge Bernhard wegen einer schweren Rippenfellentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Im selben Spital liegt auch sein bewunderter Großvater, der allerdings noch in der Lage ist, den bettlägerigen Enkel am Krankenbett zu besuchen. Doch statt des vermeintlich todgeweihten Enkels stirbt der Großvater. Soweit die zentrale Handlung, an der sich auch Kummers Adaption (2021) orientiert. Die aseptische Welt des Krankenhauses steht in dieser Graphic Novel im Mittelpunkt: hohe Krankensäle mit ebenso riesigen Fenstern, die beängstigende Schatten an die gegenüberliegende Wand werfen. Die Patienten liegen wie weiße Puppen unter den Decken der aufgereihten Gitterbetten, gesichtslos, fast unsichtbar und vollkommen abhängig vom Medikamenten-Tropf. Das getrübte Bewusstsein des Patienten Bernhard stellt Kummer durch Bewegungsunschärfen der gleichfalls anonym gezeichneten Krankenschwestern dar.

Das lange Warten auf die Genesung zeichnet Kummer durch winzigste Veränderungen sich wiederholender, fast identischer Bildmotive nach, etwa, wenn abends die Dämmerung hereinbricht und es immer dunkler wird im Krankensaal oder, wenn sich bei der regelmäßigen Lungenpunktion das „Gurkenglas“ neben dem Bett nach und nach mit Körperflüssigkeit füllt. Nachdem man für den Patienten Bernhard alle Hoffnung verloren hat, wird er ins Badezimmer abgeschoben – bis vor ein paar Jahrzehnten eine verbreitete Praxis in Krankenhäusern und Altenheimen, mit der man den Tod kollektiv verdrängen konnte – und dort von einem herabfallenden nassen Wäschestück fast erstickt. Im diesem Badezimmer erhält er auch die letzte Ölung, ohne sie gewollt zu haben. Dass Bernhards Buch den Tod des (schriftstellernden) Großvaters als Moment der eigenen Geburt als Schriftsteller, als bewusste ‚Entscheidung‘ zum Leben, inszeniert, findet in Kummers Zeichnungen insofern eine Entsprechung, als aus der gesichtslosen Patienten-Puppe Thomas Bernhard ein zarter junger Mann schlüpft. Der Tod des alles beherrschenden Großvaters bringt den jungen Bernhard auch überraschend seiner Mutter näher, die dem Großvater nach eigener Aussage „hörig“ war. Jedoch erkrankt die Mutter bald darauf unheilbar an Krebs und die zarte Hoffnung wird im Keim erstickt.

Lukas Kummer erfindet für jedes seiner Graphic-Novel-Projekte eine neue, eigene Bildsprache. Mit seinen Zeichnungen für den Bernhardschen Kosmos fängt er die klirrende Einsamkeit, ja Verzweiflung des jungen Thomas Bernhard, seine Ohnmacht vor dem Schicksal und in diesem Fall die entfremdende Krankenhaus-Maschinerie mit ihrer herzlosen Apparate-Medizin kongenial ein. Gestützt auf einen düsteren Realismus und repetitive grafische Elemente, die die Wirkung von Bernhards bohrender Sprache, seiner endlosen Suada, Satz für Satz großartig zur Geltung bringen.

Lukas Kummer Der Atem
Graphic Novel.
Gezeichnet von Lukas Kummer.
Salzburg, Wien: Residenz, 2021.
112 S.; geb.
ISBN 9783701717460.

Rezension vom 11.10.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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