Erneut stellt Steinfest im Allesforscher seine Meisterschaft der überraschenden Plot- und Figurenentwicklung unter Beweis: Er lässt Sixten Braun, der zum wohlgestalten Bademeister in Stuttgart avanciert, ein Büblein aus Taiwan zuwachsen, das ihm als sein biologisches verkauft wird und zu dem er trotz besseren Wissens Ja sagt. Diese Verbindung von Sixten und seinem baldigen Adoptivsohn Simon ist eine von vielen wundersamen Beziehungen, an deren Entwicklung und beglückender Einmaligkeit uns Steinfest teilhaben lässt. Wie so oft stellt er das Vertraute auf den Kopf, so sind es etwa die Kinder, die den Erwachsenen in schwierigen Situationen die Hand halten, und nicht umgekehrt. Simon, der nur seine eigene Kunstsprache spricht und auch mit seinem unglaublichen Kletter- und Zeichentalent ein Solitär ist, rückt für Sixten zunehmend in den Dunstkreis der Allesforschung. In Simons Gravitationsfeld bewegt sich ein Schwarm faszinierender Gestalten, die Steinfest mit großer Kunstfertigkeit aus der Ursuppe des Erzählens schöpft. Denn am Anfang seines Buches sei, so Steinfest im Epilog, allein das Wort „Allesforscher“ gewesen, in die Welt gekommen, um ihm als Romantitel zu dienen …
Uns Lesern drängt sich freilich ein weiterer Gedanke auf: der des Autors als Allesforscher. Die Denkfigur vom Dichter als Schöpfer fiktiver Welten, als Erforscher unterschiedlicher Figuren-Psychen ist altbekannt. Im Allesforscher allerdings verleiht Steinfest seinem literarischen Schöpfungsakt einen wunderbar universalistischen Anstrich und eine Stoßrichtung, die ihn gewissermaßen in die Tradition mancher deutscher Romantiker stellt. Formal betrachtet finden sich da ein Erzählrahmen, in dem der Autor spricht, ebenso unterschiedlich fokussierte Buch-Teile mit einem teilweise unzuverlässigen Ich-Erzähler, glänzende Dialoge und Sätze, die mit amüsanten und erhellenden Vergleichen erfreuen.
Amöbenhafte Zeichnungen von Steinfest treiben wie zufällig durch das Buchstabenmeer, Kritzel-Plankton, das im ersten Moment ein Wiedererkennen von Vertrautem verspricht, beim zweiten Hinsehen aber schon wieder an Eindeutigkeit verliert und den Lesenden in einem wohlig fortplätschernden Rätsel zurücklässt. Inhaltlich verströmt der Roman eine nicht religiöse, eher schon pantheistisch anmutende Humanität, die sich vorrangig aus der Wertschätzung der Einmaligkeit der Menschenwesen und ihrer vielgestaltigen Bindungen ergibt. Das färbt ab, öffnet Herz und Hirn des Lesers für die verborgene Poesie der Welt. Mit gutem Recht hätte Eichendorffs Gedicht Wünschelrute im Roman abgedruckt werden können.
Metamorphose, Entgrenzung, Zufall, Schöpfung, alle dies findet auf inhaltlicher bzw. gestalterischer Ebene im Roman Platz. Dabei ist dieser mitnichten schwurbelig-esoterisch, sondern leichtfüßig, elegant und lustig zu lesen. Fast zwei Jahrzehnte Autorschaft haben Steinfest ein gut austariertes, bis zuletzt die Spannung haltendes Buch schreiben lassen, an dem es nur zu bemängeln gibt, dass nach 400 Seiten Schluss ist.