#Roman
#Prosa

Delilah

Sandra Weihs

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Geht es darum, im Trubel von Freundschaft und erster Liebe einen durcheinander geratenen Gefühlshaushalt in Ordnung zu bringen, dürfen junge Leute auch in der Plattitüdenkiste fischen und die stereotype Floskel bemühen, dass Zeit Wunden heilt und Schmerz, denn so falsch ist sie nicht.

Die Geschichte ist unterteilt in vier dem Lauf der Jahreszeiten angepasste Handlungsblöcke und einen kurzen Epilog. Die Erzählerin Penelope setzt durch das Aufschreiben „dieser Zeilen“, die sich zum schmalen Roman zusammenfügen, einen Bewältigungsmechanismus in Gang. In ihrem vormaligen Jugendzimmer blickt sie auf die Zeit zurück, in der alles denk- und machbar erschienen ist.

Verhandelt wird das Aufeinanderprallen zweier Lebenskonzepte, mit denen die beiden im Mittelpunkt stehenden jungen Frauen jeweils sympathisieren: Während es die ängstliche, korrekte Penelope, deren Name als Symbol für Treue und Reinheit steht, schon als Herausforderung sieht, auf ein Geburtstagsfest zu gehen, ist für die plaudernde und Begegnungen suchende Delilah, die meistens ein „Was-soll-schon-passieren-Lachen auf den Lippen“ trägt, das Ziel nebensächlich. Sie beschaut alle Wege und wählt dann; verfällt aber nicht in Panik, wenn sie die Zeit aus den Augen verliert oder in Sackgassen und auf Umwege gerät. Sie hat nämlich „nur eines im Sinn: Im Augenblick leben. Ohne Ziel und Absicht, ohne Plan und Zweck, einfach leben“.

Damit unterscheidet sie sich komplett von Penelope, für die es nichts Wichtigeres gibt, als ein Nest zu bauen, hat sie doch ihre gesamte Kindheit im „Heimatnest“ verbracht und gar kein Bedürfnis, es zu verlassen.

Diese gegensätzlichen Perspektiven nähren die Spannung des Romans, der in seinen poetischen Tönen mit der Lebens- und Vorstellungswelt angehender Maturant/inn/en zu verschmelzen versucht, was über ein ausgeprägtes Maß an Empathie gut gelingt. Im Zentrum der Bobachtungen steht die neu an die Schule gekommene Delilah, die sich diesen Namen, der aus dem Hebräischen stammt und unter anderem auch „die Flirtende, die Kokettierende“ bedeuten kann, selbst gegeben hat. Mit kupferroten Haaren, teichgrünen Augen, olivfarbener Haut und sonnengelbem Shirt ist sie ein hübsches, lebendiges Mädchen, das auch noch glockenhell und ohne jeden ängstlichen Ton zu lachen vermag. Sie hat immer nur kurze Zeit an einem Ort verbracht und schon „in vielen Ecken der Welt“ gewohnt.

Als sie die Klasse betritt, gerät die schüchterne Penelope sogleich in ihr Blickfeld. Und als ob das beiderseitige Schauen auf der Stelle eine Kraft zwischen ihnen mobilisieren würde, drängt Penelopes Körper auf Delilah zu. Die setzt sich ohne zu zögern auf den freien Platz, während Penelope, die sich wie ein hässliches Entlein unter Schwänen fühlt, merkt, dass sie sich an Delilah halten kann, ohne Furcht verloren zu gehen. Sie spürt den von diesem Mädchen erschaffenen Raum, der „Bedrängung und Bedrohung wie eine unsichtbare Glocke“ fernhält, und fühlt sich durch den ehrenvollen Umstand, auf einmal Banknachbarin zu sein, das erste Mal in ihrem Leben „erhoben“.

Mit Delilah kommt auch Dynamik in Penelopes Suche nach passenden Freunden, führt sie doch alle Einzelgänger und Außenseiter zu einer Gruppe zusammen. Es kristallisieren sich sogar Paarkonstellationen heraus: Tanja geht mit Markus, Penelope mit Jonas und Delilah ein wenig mit Jan. Verliebtheit flimmert unter ihnen wie „Hitze auf trockenem Boden“.

Delilah ist aber irgendwie in jeden verliebt und in keinen, während allen anderen vorschwebt, „sich an den einen oder die eine“ zu binden. Für Delilah ist die Liebe immer da wie „Unkraut, das durch Beton brechen“ kann. Statt Jan, der sich in sie verliebt, ernsthaft wahrzunehmen, schwebt sie lieber allein im Himmel über den Dingen. Denn auf eine Einzelperson ausgerichtete Liebe bedeutet für sie nichts anderes als Einschränkung. Ihr Credo lautet: „Ich gehöre doch niemandem!“ Deshalb lässt sie jeden ein in ihr Herz und nimmt bei vielen Gelegenheiten einen Mann zu sich nach Hause. Gefahren lässt sie dabei außer Acht, was ihr zum Verhängnis wird. Doch sie schrubbt sich das erfahrene Leid einfach ab; ja spielt „Marionette, die sich selbst an den eigenen Fäden“ zieht. Denn mit einer Liebe, die Zäune errichtet und zum Käfig wird, will sie nichts zu tun haben. Sie wünscht sich Liebe in der Begegnung. Das führt dazu, dass sie von einem Teil ihrer Clique als Lügnerin gesehen wird und der Freundeskreis zerbröselt.

Nur Penelope distanziert sich nicht, macht mit Delilah im Frühling sogar einen Kurzurlaub am Meer und landet dadurch in der „Uneindeutigkeit“ zwischen Jonas und ihr. Einerseits bewundert sie diese schöne, konturlose, sich in keine Norm fügende junge Frau, die sich in den Quellcode von Penelopes Identität eingeschrieben hat, als wäre sie ein Teil von ihr; andererseits misstraut Penelope diesem leuchtenden Vogel, wenn sie in Gedanken mit ihm fliegend die Freiheit spürt. Denn sie wird dabei jenen Möglichkeiten gewahr, die sie ins Trudeln bringen könnten. So will sie lieber wieder „eindeutig“ werden, um ins Luftschloss von Jonas zu passen. Doch außer dem „Uns“ haben die beiden nichts. Auch wenn sie sich regelrecht verbarrikadieren, löst sich Delilahs Anziehungskraft nicht einfach auf. Die Sehnsucht bleibt und gewinnt in Penelope immer mehr Raum, bis das zu Jonas gehörende „Immer“ schließlich verdrängt und das „Freundschaftsgespinst“ aufgelöst ist.

Den Entwicklungsprozess weg von tradierten Vorstellungen hin zu mehr Selbstbestimmtheit und eigenem Willen mit dem Hinweis darauf, dass die Liebe schön sein kann, wenn beide nach dem Gleichen streben, vermittelt Sandra Weihs auf eindringliche und überzeugende Weise. „Du brauchst dich nicht verstecken!“, gilt dabei als uneingeschränktes Postulat, das Penelope während ihres letzten Schuljahres umzusetzen, ja zu verinnerlichen versucht. Über den Akt des Schreibens dringt sie zur Erkenntnis vor, Delilah geliebt zu haben. Sie ist der Auslöser, dass Penelope ihr Gefühl der Einsamkeit überwindet und nach jahrelanger Dunkelheit die Sonne sieht.

Vor diesem Erfahrungshintergrund weiß man, ob man „Luftschlösser in Einfamilienhäuser verwandeln“ oder es aus Angst vor Überschwemmungen lieber bleiben lassen will.
Im zweiten Fall wäre es natürlich besser, ein Vogel am Himmel zu sein, denn der „kreist über dem Garten und fliegt dann davon“.

Delilah.
Roman.
Wien: Czernin Verlag, 2020.
96 S:, geb.
ISBN 978-3-7076-0703-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 29.10.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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