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Das Zeichen für Regen

Jana Volkmann

// Rezension von Beatrice Simonsen

Wollte man dem Roman von Jana Volkmann einen Platz in der Bücherwelt zuweisen, könnte man ihn nach Amélie Nothombs Mit Staunen und Zittern (2000) und Milena Michiko Flašars Ich nannte ihn Krawatte (2012) auf die dritte Steigerungsstufe der Fiktionalisierung stellen. Alle drei Autorinnen haben Japan als Szenerie für die Entwicklung ihrer Romangeschehen gewählt: Nothomb erzählte ihre eigene wahre Geschichte, nämlich den immer tieferen Fall der Europäerin in japanischen Arbeitsstrukturen, Flašar dagegen komponierte einen makellosen Roman über das Phänomen der sich sozial verweigernden „Hikikomori“. Auch die 1983 in Kassel geborene und in Wien lebende Autorin Jana Volkmann hat nun das fremde Japan gewählt, um das Scheitern ihrer Hauptfigur Irene noch drastischer zu zeigen und dieses zudem in die Nähe der phantastischen Literatur zu rücken.

Irenes Fremdheit in der Welt ist eine ganz andere als die der kämpferischen Amélie, ähnelt eher jenen Aussteigern, die Flašar beschreibt. Wir folgen Irene im erzählerischen Pendelspiel zwischen „Kyoto. Heute.“ und „Berlin. Früher.“ – die junge Frau hat ihr Studium in Berlin abgebrochen und arbeitet nun in Japan als Zimmermädchen in einem großen Hotel. Dies wiederum erinnert an Amélie, die im Wolkenkratzer in der Hierarchie ganz unten steht, aber in einem der obersten Stockwerke ihre Sehnsüchte aus den Fenstern über die Monsterstadt schickt. Warum Irene sich für dieses Leben entschieden hat, kann sie zwar selbst nicht so genau erklären, aber man versteht, dass sie aus ihrem alten Leben ausbrechen will. Von einer Reihe von gescheiterten Versuchen, „ganz normale“ Beziehungen einzugehen, bleibt nur mehr Timo, ein instabiles, einigermaßen problematisches Verhältnis, das dennoch ein letzter Rettungsanker zu sein scheint. Dabei möchte Irene verständlicherweise doch eigentlich nur: „Gewöhnlich sein, so gewöhnlich, dass es fast schon wieder kunstfertig wäre, so ein Leben.“ (40). Irene ergreift die Flucht nach vorn und Timo, der Japanologe, hilft ihr dabei, indem er ihr einen Job in Kyoto besorgt.

Jana Volkmann stellt uns Irenes unschlüssiges Leben in Berlin so klar und deutlich vor Augen, dass man sich gern mir ihr auf den Weg nach Japan macht, wo vorerst alles besser zu sein scheint. Irene ist fast glücklich, sie fühlt sich, als gehöre sie ganz einfach hierher, in dieses Zimmer im Hochhaus mit Blick auf die Berge am Rande der Stadt. Erst die Hitze, dann der Regen, die Geräusche, das Wetter, die Jahreszeiten dringen durch die Wände, hinter die sie sich schutzsuchend zurückzieht. Sie erlernt mechanisch die Sprache, verrichtet klaglos die harte Arbeit im Hotel, treibt durch die Straßen Kyotos – und lebt ein noch menschenferneres Leben als zuvor.

Als sie auf ihrer Putztour durch das Hotel in Zimmer 1009 einem Mann begegnet, der dieselbe Sprache spricht wie sie, wünscht sie sich so plötzlich und unerwartet zu diesem fremden Mann unter die Bettdecke zu schlüpfen, dass man das ganze Maß ihrer Einsamkeit klar erkennt. Ein Verwirrspiel beginnt, das sich nicht so schnell deuten lässt: Ist der Unbekannte, der mit großer Selbstverständlichkeit immer wieder in ihrem Leben auftaucht und sich einmischt, so tut, als würde er Irene kennen, eine Phantasie, die sie sich in ihrem Alleinsein zusammenreimt?

Irene arbeitet unbeirrbar und verankert in der realen Welt der selbstgewählten Anonymität weiter, hält sich fern von Kontakten, wird immer öfter und stärker von Visionen heimgesucht, Trugbildern, die sich aus Vermutungen, Ängsten, Hoffnungen zusammensetzen. Gegenüber den Zimmermädchen und dem Hotelportier, der Nachbarin – den wenigen Menschen, denen sie begegnet – wirkt sie keineswegs außergewöhnlich, nur etwas verschlossener als andere. Zwei Mal gibt es ein Bild, wo jemand ihr hilft „zu packen“. Einmal ist es Timo, der sie „rettet“, indem er ihr Berliner Leben in einen Koffer packt. Ein anderes Mal zeigt ihr Himoto, das japanische Zimmermädchen mit dem schönen Rabengesicht, wie sie ihren Spind aufräumen kann, dass alles hineinpasst. Irene will es nicht gelingen, ihr Leben so zu organisieren, dass es für sie und die anderen passt, und man ahnt, dass ihre Fremdheit in der Welt für sie nicht mehr lange auf diese Weise tragbar sein wird: „Neben ihr auf der Bank saß etwas Dunkles, Schweres, Unsichtbares; eine Lücke zwischen ihr und der Welt, ein Spalt, ein Schlund, ein Schatten.“ (87).

Man ist geneigt, das Buch in dieser Richtung weiterzulesen, meint zu verstehen: Es geht um jemanden, der sich in dieser Welt nicht zurechtfindet, der den geraden Weg ins Unglück nimmt. Und doch ist der Erzählton der Autorin dazu angetan, dass man Irene den Aufbruch zutraut, ihr immer wieder eine neue Chance gibt und am Schluss überrascht wird, wenn Irene ans herbstlich kalte Meer aufbricht und hinaus ins „Nichts“ schwimmt. Interessanterweise fehlt dieser Szene aber die angemessene Tragik und der folgende Epilog gibt allem im allerletzten Augenblick eine neue rätselhafte Wendung. Hier ist die Rede von jener im Hotelzimmer versteckten Schildkröte, die Hitomi Irene einmal verbotenerweise zeigte, und die jetzt aus ihrem Schuhkarton verschwunden ist. Bringt man also Irene und die Schildkröte auf übersinnliche Art miteinander in Verbindung, lässt sich die Schlussszene ebenso überirdisch lesen wie das unerklärliche Auftauchen des Mannes. Erst jetzt erinnert man sich an das Ballett, das Irene beim Staubsaugen im Hotel vollführt, an ihre starken, wie selbständig agierenden Arme und Beine, an ihr sich steigerndes Bedürfnis nach Wasser. Erst jetzt denkt man an die Mangas, in die sich der Hotelportier regelmäßig versenkt, und wie in einem dieser japanischen Comics scheint plötzlich die Metamorphose von Mensch zu Tier möglich. „Das Kleid wurde ihr eng um die Brust, immer enger. Es machte ihr keine Angst, so unbedingt festgehalten zu werden, ganz im Gegenteil.“ (192)

Die Auflösung ist verblüffend, das Experiment originell, Elemente des Manga in den Roman einfließen und ihn damit in das Genre Fantasy münden zu lassen. Man fragt sich allerdings, ob nicht schon früher ein paar plakativere Zeichen auf diese „andere Welt“ hätten hindeuten können. Denn diesbezügliche Andeutungen sind im Vergleich zur Darstellung der realen Welt zu zaghaft und bleiben immer im Bereich normaler menschlicher Einbildung, weshalb die Handlung am Ende recht unerwartet ins Phantastische kippt. Wie dem auch sei: Jana Volkmann ist eine wohl durchdachte und spannende Geschichte über eine aktuelle Problematik gelungen – das zunehmende Gefühl von Fremdheit junger Menschen in unserer Welt. Wie sie diese in einer klaren Sprache sehr umsichtig ausbreitet und schließlich ihre deutsche Heldin im asiatischen Mythos von Urmeer und Schildkröte als Trägerin der Erde aufgehen lässt, ist ein sehr unkonventioneller und bemerkenswerter Versuch, europäisches und fernöstliches Gedankengut miteinander zu verbinden.

Das Zeichen für Regen.
Roman.
Wien: Edition Atelier, 2015.
208 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-903005-07-5.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 29.10.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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