#Prosa

Das Wort als schöne Kunst betrachtet

Ilse Kilic

// Rezension von Günter Vallaster

Mit der Wortverbindung „… als schöne Kunst betrachtet“ werden seit der Setzung dieses Paradigmas durch Thomas de Quinceys satirischen Essay „Der Mord als schöne Kunst betrachtet“ (1827) gerne poetologische und kunsttheoretische Reflexionen betitelt, in denen gefährliche und bedrohliche Szenarien hinsichtlich ihrer möglichen und unmöglichen künstlerischen Verarbeitung erörtert werden. Höchste Zeit also, dass nun dem Wort an sich eine diesbezügliche Betrachtung gewidmet wird, womit der Titel dieses Bildungsmuster ironisch bricht und auf zentrale Ebenen in der jüngsten Buchpublikation von Ilse Kilic hinweist, nämlich die Sprach- und Poesiereflexion und die Diskussion der Literatur als Sprachkunst.

Ausgeführt wird dies primär am Beispiel der epischen Literatur, des Märchens, das exemplarisch für klischeehafte Epik steht und der Erzählung, letztlich geht es dann aber hauptsächlich um den Roman, der auch im frühen 19. Jahrhundert zu seinem Höhenflug ansetzte. Damit trifft sich Das Wort als schöne Kunst betrachtet mit Ilse Kilics Buch Vom Umgang mit den Personen (2006), in dem das Wesen der Haupt- und Nebenperson untersucht wird. Im vorliegenden Band verlagern sich die thematischen Schwerpunkte mehr auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Schreiben, die literarische Schreibbiografie und das SchriftstellerInsein, sowie die Handlung, den Plot, ohne jedoch die Figurenreflexion aus den Augen zu verlieren, ganz im Gegenteil.

Sollte nun der Eindruck vermittelt werden, dass es sich hierbei um eine wissenschaftliche Abhandlung oder einen Essay im Sinne der damit verbundenen Textkonventionen handelt, so ist das natürlich falsch. Erzählt wird vielmehr die Geschichte einer Person, deren „Name in diesem Text nichts zur Sache tut“ (S. 136) und der es ein Lottogewinn ermöglicht, sich einen lange gehegten Wunsch zu erfüllen: Sie möchte sich eine Zeitlang der „Schönen Literatur“ und der Frage, was sie ist, widmen – eine pointierte Anspielung auf die schwierigen Produktionsbedingungen, mit denen sich das Gros der SchriftstellerInnen konfrontiert sieht, oder um es mit einem Vers von Ilse Kilic auf den Punkt zu bringen: „UND WÄRE ICH EIN LOTTOSCHEIN, SO WÄRE ACH DAS LEIDER NEIN“ (aus der Serie „ich, ach“, 2008). Die Person wählt als Ort für ihre literarischen Erkundungen Wien, mietet dort in der Künstlergasse, später in der Steingasse eine Wohnung, beschafft sich Bücher, besucht viele Lesungen und beginnt schließlich, motiviert durch einen vermeintlichen Tippfehler in einem Gedicht von Junki Wehrmann, den sie in der nach dem Bookcrossing-Prinzip  auf einer Parkbank gefundenen Anthologie „Buch“ (Das fröhliche Wohnzimmer-Edition 1989) findet, selbst zu schreiben.

Wichtige Anregungen dazu liefert noch eine Begegnung zuvor: Während eines Forschungsganges durch die Stadt, auf der Suche nach Plätzen für Literatur, bei dem mit satirischem Blick auf den tatsächlichen Status von SchriftstellerInnen in der Gesellschaft einige Wiener Straßennamen von AutorInnen hergeleitet werden (z. B. die Bäckergasse von Heimrad Bäcker), erweist sich eine befragte Passantin als Autorin. Sie liest der Person aus einem Schulheft die Geschichte vom Mondscheinlein vor, einem Kind, das am ganzen Körper „von allem Anfang an mit leuchtend weißem Haar bewachsen“ war (S. 16). Da seine Mutter darob vor Schreck verstummt war, musste seine Sozialisation zunächst völlig ohne Sprache erfolgen.

Damit wird im Buch eine zweite Textstrecke eröffnet, die sich mit der ersten in der Folge einige Male abwechselt. Die Geschichte von der Person in Wien wird dadurch zur Rahmenerzählung, die zunehmend der Kommentierung und Reflexion des Weiterschreibens der Geschichte vom Mondscheinlein und der Dokumentation von Schreib- und Gestaltungsstrategien für das Manuskript dient. Vexierbildartig kann ebenso das Märchen als Rahmen gesehen werden, durch den die Geschichte der werdenden Schriftstellerin, des werdenden Schriftstellers beleuchtet wird. Vergleichbar etwa mit einigen bildnerisch-visuellpoetischen Arbeiten von Josef Bauer, die die scheinbare Totalität eines „fertigen“ Bildes konzeptuell unterlaufen, indem die Abbildung einer Hand des Künstlers in Malgestik oder in ihrer Singularität belassene Pinselstriche in die Bilder und Objekte integriert sind, werden hier die Konzepte und der Wahrnehmungshorizont der Narration und damit die Perspektiven und Ebenen des Textes erweitert und präzisiert durch die Einbeziehung des Autors, der Autorin, der Schreibbedingungen, vor allem des Schreibprozesses und seiner Momente, Bewegungen, Dynamiken und Möglichkeiten.

Konsequenterweise bilden auch visuellpoetische und bildnerische Arbeiten von Ilse Kilic eine weitere, dritte Strecke, die mit dem Text interagiert. Wie in „Vom Umgang mit den Personen“ bestehen die gezeichneten Figuren akzentuiert aus den geometrischen Grundfiguren Kreis, Dreieck und Rechteck, ähneln darin dem Aufbau von Buchstaben und folgen so gesehen auch einem Prinzip Bild als Schrift. Vergleichsweise sind sie aber bewusst nicht in diesem Ausmaß plan gehalten, flächenfüllender und weisen expressive Serialisierungen einzelner Elemente auf, realisiert beispielsweise in identischen Blütenformen (S. 71). Ein häufig wiederkehrendes Sujet ist die Wiese, mit der auch eine Klammer zum 2006 erschienenen Roman „pubertät mit mädchen. visionen und versionen“ von Fritz Widhalm gesetzt wird, in dem drei Kilometer Wiese – „also gewissermaßen umfassend“ – als Biotop für menschliche Gefühlslagen und Handlungsweisen auftreten, nach der „wiesenregel. die wiese erblüht durch die empfindsamen, liebenswürdigen, weil sie hineingetrampelt werden“ (Fritz Widhalm).

Zum Mondscheinlein, weniger Wechselbalg als Haarmensch à la Petrus Gonsalvus aus dem 16. Jahrhundert (S. 64) und seiner Mutter gesellen sich die Tante Annabell, die die Mutter und das Mondscheinlein zum Sprechen bringen will und ein Holzknecht, der von der Tante nach einer glücklich verlebten Zeit mit einem „Hackebeilchen“ (S. 18) totgeschlagen wird. Das Märchen wird dicht, konzentriert, straff und reduktiv, gewissermaßen im No Wave-Stil dargeboten. Dabei werden wesentliche Strukturelemente, in erster Linie die Verharmlosung von Brutalität durch Verkleinerungsformen, kritisch hervorgehoben, zugespitzt und gebrochen. An den Bruchstellen kristallisieren sich glasklare kritische Gesellschaftsanalysen, deren thematische Bögen von der ungerechten Güterverteilung bis zur Patentierung der Gene reichen. Das Hackebeilchen im Kopf des Holzfällers präsentiert sich als Axt, die Böses vom Guten scheidet. Und der Holzfäller erfährt dann eine entscheidende Metamorphose: Er wird wieder lebendig und seine Auferstehung wird in farbigen, traumhaften und surrealen Bildern aus der Ich-Perspektive dargestellt: „… dort, wo das Hackebeilchen steckte, glühte ein stummes rotes Licht und schuf eine dezente wohnliche Atmosphäre“ (…) „Und seine [eines Würmchens, Anm.] Worte verwandelten sich in bunte Steine, seltsame Pflanzen, Gerätschaften zur Gartenarbeit und Lebewesen, deren farbenprächtiges Aussehen mich blendete“ (S. 48). Das erinnert an Drehbuchgestaltungen von David Lynch, in denen die ProtagonistInnen durch traumatische Erfahrungen in eine ganze Palette von psychischen Veränderungen taumeln und fallen, z.B. in dissoziative Fugen („Lost Highway“, „Mulholland Drive“).

Ein Fabelwesen (vgl. Leseprobe) und das Bübchen Karl, das mit Mo (kurz für „Mondscheinlein“) und mit dem Holzfäller eine Beziehung beginnt, halten im weiteren Verlauf Einzug in die Märchenstrecke, die durch die literarischen Erlebnisse und Begegnungen der Person im ersten Rahmentext allmählich in einen Auszug aus einem Text Konrad Bergers übergeht. Vor allem der sachkundige Buchhändler Rudolf Pollak erweist sich für die Person als Quelle von unschätzbarem Wert, er empfiehlt ihr den poldevischen Schriftsteller Konrad Berger, der Fritz Widhalm sehr nahe steht. Das Buch entwickelt sich zu einer fröhlichen Figurenversammlung, zu der die Sängerin Renate Singspiel und die Autorin Ilse Kilic stoßen und in der zu guter Letzt der Holzfäller den Namen Konrad Berger erhält. Nach einigen abenteuerlichen Wendungen und Erlebnissen laufen die Textstrecken zu einem richtigen Happy End zusammen, d.h. den Romanfiguren wird es ermöglicht, am Ende glücklich zu sein. Diese bedanken sich beim Autor, bei der Autorin und formulieren ein Pamphlet mit einem Rechtekatalog für Romanfiguren, der u. a. eine Mitgliedschaft bei der in Flann O’Briens „In Schwimmen-Zwei-Vögel“ gegründeten Gewerkschaft der Romanfiguren beinhaltet.

Eine vierte Textstrecke bilden die zahlreichen Fußnoten, die ausführliche Erläuterungen, Zusatz- und Hintergrundinformationen bieten, womit in diesem Buch Literatur, bildende Kunst, Wissenschaft und Essay eine wunderbare Einheit eingehen. Der „Anhang: Liste“ ist eine Art Spurenregister, das die Schreibumwelt der Person von Straßen und Gassen über Personen bis zu Speisen zusammenfasst und damit wie schon der Band Reise in 80 Tagen durch das Wohnzimmer von Jana Brenessel und i.g.Naz (2004) eindrucksvoll die poetischen Möglichkeiten nominaler Aufreihung zeigt. Poesie der Liste – und das vom Feinsten! Und die anregende Diskussion der Kriterien für einen guten Text am Schluss des Bandes wird im Anhang mit einem Statement beantwortet, das „Das Wort als schöne Kunst betrachtet“ als Anschauungsbeispiel für einen sehr guten Text mit Leuchtstift unterstreicht: „Und wer eine Antwort sucht, auf die Frage, was einen guten oder schlechten Text ausmacht und wie man die beiden unterscheiden kann, ist herzlich eingeladen, zu antworten, indem er einen Text schreibt, einen kleinen Verlag macht, eine Lesung organisiert, ein Lied singt, einen Leserbrief schreibt und dabei viele, viele Antworten findet“ (S. 139).

Ilse Kilic Das Wort als schöne Kunst betrachtet
Geschichte.
Klagenfurt, Graz, Wien: Ritter, 2008.
142 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-85415-428-0.

Rezension vom 12.01.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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