Wie dies konkret funktioniert – oder eben nicht funktioniert, zeigt Streeruwitz in der Erzählung von Christian F., „dem Mann von Bettina“, Ehegatte, Hausmann und Vater. „Er war dieser stille Mann, der das Baby zum Stillen in die Botschaft gebracht und das Kind dann wieder mitgenommen hatte. Alle fanden das großartig. Der Botschafter in den Haag hatte geglänzt vor Begeisterung, wenn er damit prahlte, dass in seinem Büro die Geschichte mit dem Geschlecht und den Kindern überhaupt keine Rolle mehr spielte.“ Aber es spielte eben doch eine Rolle, im Büro und andernorts. „Den Müttern aus der deutschen Schule war es ein bisschen unheimlich, dass ein Mann auf ihre Kinder aufpassen sollte.“ Sie waren misstrauisch. Und nicht ganz zu Unrecht. Schließlich hatte er ein Verhältnis mit der Mutter von Janine angefangen. Das Kind war aus dem Gröbsten raus, die Frau mit dem Büro verheiratet – er hatte sich einsam gefühlt. Und nun sollte Bettina wieder versetzt werden. Doch diesmal würde er nicht stillschweigend mitgehen, er würde mit ihr sprechen und ihr erklären, dass er sein Atelier nicht aufgeben wollte. Sie würde das nicht verstehen, dass er nur hier seinem Kunsthandwerk nachgehen konnte und die Scheidung veranlassen. Und alle würden sich bestätigt sehen. „Dass so etwas ja doch nicht gutgehen könne, würden sie sagen. (…) Sie würden sagen, dass ein Mann. Ein richtiger Mann. Dass ein Mann doch in seinen Beruf gehöre und nicht ins Kinderzimmer.“
Also alles zurück auf Anfang – die Frau zurück an den Herd? Oder anders gefragt: „War der Feminismus ein Irrtum? Ist Selbstverwirklichung eine Lebenslüge?“ Eva Herrmann zögerte nicht, dies in ihrem Buch Das Eva-Prinzip laut mit JA zu beantworten und entfachte damit einen Sturm der Entrüstung. Vier Jahre später bekam die reaktionäre Publizistin unverhofft prominente Unterstützung: „Ich glaube, dass zumindest der frühere Feminismus teilweise übersehen hat, dass Partnerschaft und Kinder Glück spenden,“ erklärte Deutschlands Familienministerin Kristina Schröder kürzlich in einem Spiegel-Interview. „Es ist absurd, wenn etwas, das für die Menschheit und deren Fortbestand grundlegend ist, per se als Unterwerfung definiert wird. Das würde bedeuten, dass die Gesellschaft ohne die Unterwerfung der Frau nicht fortbestehen könnte,“ ergänzte sie mit Blick auf Alice Schwarzer. Die Feministin der ersten Stunde und Emma-Gründerin nahm den Fehdehandschuh prompt auf und konterte mit einem offenem Brief, in dem sie gegen Schröders „hanebüchenen Unsinn“ polemisierte und erklärte, richtig sei nach wie vor, dass manche Frauen unter „Liebe vor allem Selbstaufgabe“ verstünden und Sexualität „noch viel zu oft mit Gewalt verbunden“ sei.
Dieser Feststellung würde Marlene Streeruwitz ohne zu Zögern zustimmen. Auch sie stellt sich die noch immer, immer wieder aktuelle Frage nach der Notwendigkeit von Feminismus und der Möglichkeit von Emanzipation, doch wählt sie dafür das Medium der Literatur, nimmt Abstand von publizistischer Polemik und dogmatischen Festlegungen. Stattdessen tastet sie in ihrem neuen Buch Das wird mir alles nicht passieren… in elf literarischen Lehrstücken die „Schranken der Unfreiheit“ ab, schildert am Beispiel von elf Personen den grundlegenden Konflikt zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, zwischen Anpassung und Autonomie. Diesen Zwiespalt ihrer Figuren vermittelt die Autorin ausschließlich über die Sprache, über die Zerrissenheit der Syntax und den Fragmentcharakter der Erzählungen. Ganz nah bleibt die Autorin bei ihren Figuren, sie zeichnet ihre Gedanken nach – die Gedanken von Ulrike M., die gerade von ihrem jugendlichen Liebhaber verlassen wurde; die Gedanken von Xenia M., die auf der Suche nach ihrem Vater immer wieder Zurückweisung erfährt; die Gedanken der krebskranken Marianne M., die gänzlich vom Schmerz bestimmt sind. Die Bewusstseinsströme der Figuren – starke Frauen (und Männer) mit einer unerklärlichen Sehnsucht nach Unterwerfung in der Liebe – gewähren allesamt Einblick in fragile Gefühlswelten, für die Streeruwitz eine adäquate Sprache findet: präzise, brüchig, unsentimental; seismographisch in ihrer Funktion als Indikator eines grundlegend gestörten Gleichgewichts. (Vom Lektorat wäre übrigens dieselbe Genauigkeit zu wünschen gewesen, die Häufung der Fehler ist recht ärgerlich!)
Streeruwitz‘ Erzählungen sind politisch im Privaten, fortlaufend, mit offenem Ende und gerade deshalb auch hoffnungsvoll. Sie beschränken sich auf eine Momentaufnahme, vermeiden jeden Fatalismus und jede Parteinahme, jedes Für und Wider. Dieses wertfreie „so ist es“ gilt Marlene Streeruwitz als die einzige heute mögliche Form: „Ich könnte heute nicht mehr sagen, wie’s richtig ist“, sagt die Autorin. „Jeder und jede kann dann drauf schauen und das für sich neu interpretieren oder herausfinden: Kenne ich so seine Person, wie viele davon kenne ich, bin ich so eine?“ Und wie bleibe ich nun FeministIn? Welche Entscheidungen die ProtagonistInnen der elf Erzählungen getroffen haben, welche Überlegungen für sie ausschlaggebend waren und welche Fortsetzung ihre Geschichte genommen hat, erfährt die LeserIn auf der Website der Autorin http://wie.bleibe.ich.feministin.org. ein cross media experiment von marlene streeruwitz. Hier kann diskutiert und kommentiert, das Buch weitergeschrieben, umgeschrieben, neugeschrieben werden.
Oder in den Worten Streeruwitz‘:
„welcome.
wie soll das gehen. mit dem klugen und gerechten leben. in der heutigen zeit. unter den heutigen umständen. und was kann die literatur damit zu tun haben.
vorschläge. ratschläge. umschläge. hinschläge. herschläge. aufschläge. abschläge. anschläge.
whatever.“