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Das Wildschwein

Erwin Einzinger

// Rezension von Ulrike Matzer

Ein Buch von Erwin Einzinger wäre keines, käme in ihm nicht alles Denkbare vor. Auch sein jüngster Band wirkt wie ein riesiges Reservoir an Dingen, Begebnissen, Bildern. Dieses profane Inventar rührt und schüttelt er jeweils derart, dass es apart zu schillern beginnt. Im Unterschied zu seinen früheren Büchern ist jenes nun nicht mit der Gattungsbezeichnung „Roman“ oder „Gedichte“ versehen, sondern mit „Arabesken“.

Mit diesem Begriff assoziiert man flächenfüllende Geflechte, ein Gestaltungsprinzip, das verschlungen und verworren wirkt. Aus etwas Distanz jedoch zeigt sich, wie eines sich ins andre fügt und welche Schleifen sich durchs Ganze ziehen. Dementsprechend bilden die meist seitenlangen Fragmente Einzingers keine geschlossenen Entitäten. Irgendwie leitet einen irgendwas immer weiter, selbst wenn es noch so sehr an den Haaren herbeigezogen ist: „Leider ist an diesem rundum schönen Tag der Faden irgendwann gerissen. Wir aber wissen: […].“ Wie ein Schimpanse, der sich mit leichter Hand von Liane zu Liane hangelt, schwingt der Autor von einer Episode zur andern – abrupte Richtungswechsel inbegriffen.

„Der eine kommt, die andere geht, doch wichtig ist, daß sich wie immer alles weiterdreht.“ Ein banaler Spruch wie dieser fasst im Grunde die Praxis von Einzingers Schreiben. Bewusst legt er es auf Stilbrüche an – just darin entfaltet sich seine Poesie. Ungenierte Binnenreime haben hier System, solche der hanebüchenen Art – „wollte Herr Pötscher auf den Ötscher“ –, wie solche der zarten – „Wolkenschlieren zieren“. Nicht wenige davon erinnern an Schlager oder Kinderlieder; Stellen wie jene, wo eine Frau „Schnittlauch schnitt“ sind sichtlich von Karl Farkas‘ Lyrics inspiriert („Pflückt ein Mädel Ribisl / Zwickt man sie ins Knie bissl“). Derart dummdreiste Passagen einzupflanzen fordert Mut; Einzinger ist jedoch gut darin, diesen reimbasierten Sound so über die Seiten abzumischen, dass es richtig funky klingt: „Finken zanken, Funken sinken“.

Mehr noch als seine bisherigen Werke ist dieses ein sophistiziertes Sprachbastelbuch. Auch Wortungetüme entfalten ihren eigenen Charme, sie wirken in ihrer Metrik wie komprimierte Gedichte: „Meeresfrischeduftspraydosen“, „Einpersonenhaushaltsmüll“, „Betriebsküchengerüche“. An anderer Stelle finden sich auf fast surreale Art die Dinge zusammengespannt – „Kanäle, Korallen und Choräle“ –, weil das Schräge so gut klingt! Verweise aufs Musikmachen und auf MusikerInnen aller Sparten finden sich konsequenterweise dort und da, und auch bildende Künstler lugen aus den Zeilen. Der Maler Sigmar Polke wird zwar nicht explizit genannt, doch ein Satz wie „Höherem Schwachsinn kann man hier natürlich auch mit Rübensaft zuprosten“ lässt unweigerlich an dessen bekanntes Gemälde denken, das seine Entstehung augenzwinkernd selbst erklärt: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz anmalen!“ Für Einzinger dürfte Polke in seiner Ironie und Vielseitigkeit wohl ein Bruder im Geiste sein. Der Künstler schuf seinen ganz eigenen bildlichen Kosmos, der sich jeglicher Kategorisierung entzieht. Unter Verwendung unüblicher Materialien wie Meteoritenstaub und Schneckensaft entstanden vielschichtige, überzeichnete und collagierte Bilder. Sigmar Polkes Arbeitsweise ähnelt, wie ich meine, doch sehr jener von Erwin Einzinger, der übrigens gern seitenweise Bücher übermalt; auch die Covermotive, die den besprochenen Band vorn und hinten zieren, wurden von ihm selbst über gedruckte Texte gepinselt.

Die jüngste Werkschau des 2010 verstorbenen Polke, die 2017 in Deutschland zu sehen war, trug übrigens den zauberhaften Titel „Alchemie und Arabeske“ … Wie dieser Künstler kultiviert auch Einzinger den Aberwitz, das Absurde und Groteske, seine sprachlichen Bilder sind von seltenem Charme: „Auch die Gedächtnisstütze wackelt, und aus dem Fenster einer Kellerwohnung ragt ein Besenstiel aus Leichtmetall“. Und nicht zuletzt finden sich auch in seinem Werk stets Kommentare zum eigenen Tun. Würde man diese Passagen isoliert betrachten, wären damit viele Aspekte seiner poetischen Prosa benannt: „gebräuchliche Gesprächseröffnungsphrasen“, „ein buntes Potpourri aus ausgedünnten Tagebuchnotaten und erstaunlich seltsamen Erzählansätzen“, die „allesamt an schwächelnden Verbindungselementen hängen“, undsoweiter undsofort.

Was im ansatzweisen Märchen- oder Sagenton vorgetragen wird, sind sämtlich dem Alltag abgeluchste Geschichten. Manche der Satzkonstruktionen wirken umständlich lang und erinnern fast an jene von Heinrich von Kleist. Durchschossen sind die Fragmente auch von Ausdrücken der Umgangsprache, die im Verschwinden begriffen sind („schundige“, „elendige“, „Plastikpracker“, „Polsterzipfel“). Diese weit ausgreifende, sich Welt und Wörter aneignende Maschinerie von Erwin Einzinger generiert jedoch wundersamerweise immer wieder Bilder, die absolut unverwechselbar sind: „Verquere Wolkenbänder lagern dicht gestaffelt vor dem Horizont wie gut verpackte Gazestreifen vor einem Instrumententisch“, „sehr schüchtern formt der Tag im Hintergrund bekannte Krapfen“. Satzfindungen wie diese setzen sich nachhaltig fest – was sich nur von sehr, sehr wenigen Büchern sagen lässt. Nach dieser Lektüre jedenfalls fühlt man sich angenehm erheitert, aufgelockert, angereichert.

Erwin Einzinger Das Wildschwein
Arabesken.
Salzburg, Wien: Jung und Jung, 2018.
202 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99027-222-0.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor

Rezension vom 03.01.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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