#Prosa

Das Vaterhaus

Hilde Schmölzer

// Rezension von Elena Messner

Hilde Schmölzers neu aufgelegtes Buch Das Vaterhaus wird im Untertitel als „autobiografische Erzählung“ bezeichnet. Eine prototypisch österreichische und vor allem prototypisch weibliche (fiktive) Autobiografie liefert Schmölzer ihrem Lesepublikum, ein Zeitdokument, das die gesellschaftliche Entwicklung von etwa 1940 bis 1990 aus einer spezifisch weiblichen Perspektive nachzeichnet. Nicht die selbstverständliche, sondern die andere und verschwiegene Geschichte wird erzählt. Es ist die Emanzipationserzählung jener Generation von Frauen, die – vor oder während des zweiten Weltkrieges geboren – sich von der Nachkriegsgesellschaft und deren Umgang mit der NS-Zeit loslöste und gegen viele Widerstände den Aufbruch in die Selbständigkeit versuchte.

Die Eckdaten der erzählten Biografie lassen sich nahezu lückenlos auf Hilde Schmölzers eigenes Leben umlegen. Diese absolvierte, 1937 in Linz geboren, die Bayerische Staatslehranstalt für Fotografie in München, studierte Publizistik und Kunstgeschichte in Wien und war 25 Jahre als freiberufliche Journalistin und Autorin tätig. Den vom Krieg zerstörten Vater, jene Figur im Vaterhaus, die als Gegenpol und Feindbild der emanzipatorisch orientierten jungen Eva inszeniert wird, erwähnt Schmölzer in einem Interview ebenso wie die Mutter, die in den Kriegsjahren persönliche Selbständigkeit und Freiheit erlangt und sich nach der Rückkehr ihres Mannes scheiden lässt, dann aber aus dem Wunsch nach finanzieller Absicherung doch wieder heiratet und in vorgegeben konservativen Mustern stecken bleibt.

Die Figurenkonstellation ist sehr klar anhand von Gegenpolen strukturiert. Die Mutter erhält den größten erzählerischen Raum, sie ist es, an der die Figur Eva sich misst, nach der sie sich sehnt und von der sie sich zuletzt doch befreit. Ihr zur Seite gestellt werden unterschiedliche Entwürfe von Frauen: zu Beginn die von Eva immer wieder verworfenen Tanten, später die Schwiegermutter, zuletzt erst die positiv besetzten und in die Zukunft weisenden Frauen der jüngeren Generation. Es verwundert nicht, dass erst auf den letzten Seiten kurze positiv belegte Frauenbiografien vorgestellt werden, die Frauen der älteren und gleichaltrigen Generation Evas – allen voran die Mutter – erweisen sich in ihrer Vorbildfunktion als untauglich.

Die Lustmomente Evas sind in ihrer Kindheit zu finden – bei Schlittenfahrten und Weihnachten im Winter oder Badetagen im Sommer, vor allem aber beim Erleben des ersten, später misslingenden Emanzipationsaktes der Mutter. Das Lachen der Mutter, ihre Lust wirkt auf Eva wie „eine unerhörte Herausforderung, wie etwas Verbotenes, Unpassendes.“ (27) Das Warten auf die erweckte Mutter, die Erwartung eines anderen Lebens, eines eigenen Lebens, prägen Eva, während sie die erneute Heirat und das Flüchten in männliche Obhut und Sicherheit als Verrat empfindet, von dem sich die Mutter-Tochter Beziehung nie erholen wird. Erst viel später gibt es andere Momente der Lust, nicht jene sexuellen Erfahrungen mit Männern, die sie mit dem Gefühl der Nicht-Ganzheit zurücklassen, sondern die späten Freundschaften mit Frauen, vor allem der nächsten Generation, das Verstandenwerden und Aufgehobensein in weiblicher Solidarität und Freundschaft.

Die traditionellen Stationen eines (für damalige Verhältnisse untypischen) Frauenlebens werden alle gestreift: Kindheit, Reifung, erste sexuelle Erfahrung, Liebe, Mutterglück, Studium und Selbstfindung, Arbeitsleben, Trennung vom Ehemann, allein erziehende Mutter. Jede dieser Stationen ist von Lust und gleichzeitiger Frustration, von Kampf um Selbstbestimmung und vom andauernden Unverständnis des Umfeldes geprägt. Der Vater wird bereits zu Beginn mit Begriffen wie (männliche) Kameradschaft, Krieg, Führer (Hitler) oder Gott in Verbindung gebracht. „In der Schule hängt ein Bild des Führers, stahlhart blickt der Führer in die Ferne und wäre da nicht der Schnurrbart, würde sie dieser Blick an jenen des Vaters erinnern.“ (21) An Stelle dieses Bildes vom Führer wird nach dem Krieg das Bild des „gemarterten Gekreuzigten gehängt, Vater unser, Führer unser, betet Eva, und merkt keinen Unterschied.“ (29)

Eine religiöse Beschichtung der Erzählung bleibt zwar sehr vage, ist aber unüberlesbar – Eva, mit der Erbsünde (dem Frausein) beladen und als Verantwortliche, Schuldige gebrandmarkt, verweigert und verwirft Vater und Gott. „Sie ist schuldig“ (138), ist „ketzerisch“ und muss aus dem Vaterhaus (dem vermeintlichen Paradies) konsequenterweise verstoßen werden. Auch die Wissenschaft, in diesem Falle die Psychologie erweist sich als Machtinstrument der männlichen Logik und Herrschaft, bestätigt sie doch diese Urschuld Evas. Frei nach Freuds Ödipuskomplex beurteilt ein Psychologe die Mutter Eva als schuldig an der Verwirrung ihres Sohnes. Von diesem Schuldspruch aus scheint es logisch, sie auch für ihr eigenes Unglück verantwortlich zu machen: „Eva ist schuld an dem, was ihr widerfahren ist. Sie ist schuld am Missbrauch ihres Vaters, dessen Verhalten sie durch Trotz provozierte, schuld am Alkoholismus ihres Mannes, dem sie zu wenig Verständnis und Liebe entgegenbrachte, schuld am Zerwürfnis mit ihrer Mutter und schließlich schuld an der Identitätskrise des vaterlos heranwachsenden Sohnes.“ (139)

Eva bleibt nichts übrig als die völlige Lösung von ihrer Familie (Mutter, Vater, Ehemann, Sohn) sowie von dieser Logik des Patriarchats, die auf jener der katholischen Kirche mit ihrem Konzept der Erbsünde gründet.

Neben der christlichen Logik wird auch die in Aberglauben und Esoterik endende Sinnsuche der Mutter als vergeblich, weil in Pseudoreligiösität mündend, gekennzeichnet. Die verzweifelte und verlogene Spiritualität, die die Mutter in einer Beziehung zu einem Guru zu finden versucht, ist nur auf Rückzug und Aufgabe ausgerichtet und muss also scheitern.

Die autobiografisch gefärbte Eva betont bereits früh den vorhandenen Wunsch nach dem Schreiben, die Sehnsucht Schriftstellerin zu werden, was ihr aber verwehrt wird – zunächst ist ihr nicht einmal der Journalistinnen-Beruf erlaubt, den sie später dennoch, gegen alle Widerstände, ausübt. Erst nach unzähligen Kämpfen kann Eva schreiben, kann sie Lust am schreiben erfahren. So schmerzhaft die Erinnerungen auch sein mögen, die jetzt alte und faltige Eva schreibt sie auf. In kursiv gesetzten Abschnitten wird diese rekapitulierende Eva in ihrem Mansardenzimmer beschrieben: immer wieder hält sie an ihrem Schreibtisch inne, sie muss „diese verworrene Zeit zurückholen in ihr Gedächtnis, einordnen in ihr Gedächtnis, in dem die Erinnerungen viele zerstückelte, zerrissene Bilder bewahrt, deren Zusammensetzung Mühe bereitet.“ Der Erinnerungstext ihrer Emanzipationsgeschichte ist gerahmt von dieser kurzen Erzählung über die alte, sich erinnernde Eva. So schließt er denn auch mit den Worten: „Eva, vor ihrem Schreibtisch sitzend, erlebt das Sammeln der Wörter, das Aneinanderreihen der Wörter, den Ausdruck der Wörter, die aus ihr herausfallen wie ein eingelöstes Versprechen, mit größter Befriedigung.“ So wird Das Vaterhaus, die Erinnerung an und Erzählung über sich Selbst, ein befreiender emanzipatorischer Akt nicht nur der Frau, sondern auch der Schriftstellerin Eva.

Das Vaterhaus.
Eine autobiografische Erzählung.
Klagenfurt, Wien: Kitab Verlag, 2007.
151 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-902585-10-3.

Homepage der Autorin

Rezension vom 29.04.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.