#Roman

Das Märchen vom Glück

Peter Rosei

// Rezension von Alexander Peer

Die große Gabe von Peter Rosei, Charaktere mit wenigen Wörtern zu skizzieren und ihre Beziehungsverstrickungen zu betonen, zeigt sich auch in seinem aktuellen Buch Das Märchen vom Glück. Zum Märchen gehören die schlanke Handlung, die oft schicksalhafte Wendung und natürlich die Suche. In einer Rezension zu einem Märchen und der Glückssuche darf die Frage erlaubt sein, um welche Art von Vogel es sich bei diesem Glück wohl handeln mag? Manchmal um eine Spottdrossel, öfters um eine Krähe, zuweilen um eine Elster. Aber ein Adler ist selten dabei.

Genug des ornithologischen Ausflugs. Das Personal in diesem schmalen Buch ist reichlich: Lena, András, Lajos, Karel, Toni usw. Man meint stets, eine Hauptfigur vor sich zu haben, doch dann verschwindet sie rasch. Später wird aus einer vermeintlichen Nebenfigur doch noch die eine Hauptfigur: Eva Bartuska heißt sie und man gewinnt zu Beginn den Eindruck, dass es auch mit ihr ein dramatisches Ende nehmen wird. Ein Märchen muss den Pessimismus jedoch dosiert einsetzen. Es wäre aber kein Buch von Rosei, wenn dem sozialen Aufklärer nicht auch hier die ungeschönte Darstellung von Vorstadttristesse, working poor und ökonomischer Migration ein Anliegen wäre.

Wien steht im Mittelpunkt der Handlung. Alle wollen hier ihr Glück versuchen und bei allen bekommt man auch das Gefühl, dass das Glück nach ihnen sucht. Zumindest für kurze Zeit finden sie einander. Die Lebensläufe, die hier versammelt sind, konzentrieren sich auf Wesentliches, es sind keine detailgenauen Erläuterungen, Kapitel für Kapitel spult sich zügig das Geschehen ab. Geschickt verknüpft Rosei die sozialen Milieus und macht mit dem „Märchen vom Glück“ die unausweichlichen Abhängigkeiten schmerzlich bewusst, ohne mit dem Zeigefinger darauf hinzuweisen. Manchmal ist es nur eine Andeutung, etwa wenn man ahnt, wie treu Lena András wirklich war. Kaum kommt man einer Protagonistin oder einem Protagonisten jedoch wirklich nahe, verschwinden sie und er schon wieder. Die Antithese zum Märchen ist wohl der Naturalismus, der die Verhältnisse ungeschminkt offenbart. Man kann nicht behaupten, dass die Protagonisten lange brauchen, um zur Sache zu kommen. Auch in den sexuellen Beziehungen drücken sich immer wieder ökonomische Verhältnisse aus. Das wäre eine Binsenweisheit, wenn es nicht im durchaus zarten, beinahe kindlichen Ton, der den Text mitunter poetisch durchsetzt, zuweilen überraschende Erfahrungen von Intimität gäbe. Oft im Zusammenhang mit dem Tod und dem nicht wirklich überwundenem Verlust. Wenn András einmal bekennt: „Die Menschen sind doch nur Stöckchen, kommt mir vor, die einer in die Luft wirft: Eins fällt schnell, das zweite langsamer – weil’s höher geworfen war.“ (S. 23)

Die Erzählperspektive variiert, mal ist es ein auktorialer Blick, mal die Unmittelbarkeit des monologisierenden Ichs. Als zusätzliche Irritation streut Rosei gelegentlich die direkte Ansprache an die Lesenden ein; er biedert sich allerdings nicht an, sondern bleibt höflich bei einem „Sie“.

Kommen wir zurück zum Inhalt: Dieser kann als Bildungs- bzw. Emanzipationsroman aufgefasst werden. Eva gelingt der soziale Aufstieg von einer Kellnerin aus der Brünner Vorstadt Královo Polo, dem „Königsfeld“, in die schicke Innenstadt Wiens, wo sie schließlich Geschäftsführerin einer Boutique ist. Parallel dazu entwickelt sie ihre Beziehungen zu Männern. Es wäre zu einfach und lebensfremd, hier von einer linearen Entwicklung zu sprechen. Das würde zwar dem Märchencharakter entsprechen, aber spätestens seit den großartigen Interpretationen etwa von Verena Kast, die sich wiederholt mit dem Entwicklungspotenzial von Märchen und ihrer Anwendung im therapeutischen Kontext befasst hat, haben wir gelernt, Märchen als innere Bühne zu betrachten. Diese innere Bühne hat bei Eva einen sado-masochistischen Anteil, ein wenig Helfersyndrom und etwas Verblendung hinsichtlich der aristokratischen Welt zu bieten. Erst wenn diese Stoffe abgearbeitet sind, lösen sich Evas Beziehungen aus ihren belastenden Rollenvorgaben.

Wenn die Geschichte, die hier erzählt wird, eine Botschaft beinhalten soll, dann sicher diese: Wer an Forderungen und Vergangenem festhält, verpasst das Leben. Daraus allein entsteht noch kein Glück, aber zumindest die innere Voraussetzung für einen gelasseneren Umgang mit den Zumutungen, die einem das Leben so bietet. Eva lässt die Zügel schleifen, ohne deshalb die Kontrolle zu verlieren. Dank ihrer Reife scheint sie die Wechselfälle zu überdauern, denen sie ausgesetzt ist. Es ist dieser Eva durchaus zuzutrauen, dass sie eine neue Sicht auf die Welt einnimmt und deshalb nicht verzweifelt: Das Glück hat einen Vogel.

Der, dem sie im finalen Akt begegnet, hätte wohl auch nicht davon geträumt, sich auf jemanden so einlassen zu können: Ein gescheiterter Künstler und dann – durch das väterliche Erbe vor dem Untergang bewahrt – ein überwiegend zynischer Galerist, der sich in kontinuierlichen Abständen in ein wohliges Besäufnis begibt. Und doch ist das angedeutete Glück am Ende glaubhaft – und nicht etwa märchenhaft.ieder.

Peter Rosei Das Märchen vom Glück
Roman.
Salzburg: Residenz, 2021.
176 S.; geb.
ISBN 9783701717415.

Rezension vom 16.03.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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