#Roman

Das Leben der Wünsche

Thomas Glavinic

// Rezension von Judith Leister

Thomas Glavinic, Jahrgang 1972, ist ein Spezialist für die schiefe Ebene. Seine Protagonisten stemmen sich hartnäckig gegen die Schwerkraft ihres Erdenwallens, haben mit Phlegmatismus, Alkoholismus und einer gewissen Demoralisiertheit zu kämpfen. In seinen frühen Romanen kamen gern junge Männer vor, die eine Aura von Käsesocken und Onanie umwehte. In seinen letzten Romanen müssen sich Männer in mittleren Jahren, denen noch immer etwas Spätpubertäres anhaftet, mit Ehefrauen und Kindern, mit schwankenden Karrierehoffnungen oder nachlassender Liebe arrangieren. So war es in „Das bin doch ich“ (2007), einer Fingerübung in Prosa um einen gewissen Thomas Glavinic, der um den Erfolg seines Buches bangt und ein wenig neidisch auf den Kollegen Daniel Kehlmann schaut. So ist es auch in „Das Leben der Wünsche“, einem Roman, der in seiner Erzählhaltung realistisch ist, in dem jedoch umso Phantastischeres geschieht.

Märchenhaft ist der Beginn, alptraumhaft der Schluss dieses Romans. Jonas, ein Werbetexter ohne größeren Ehrgeiz, mittelprächtig verheiratet und voller heißer Gedanken an seine Geliebte Marie, wird auf der Straße von einem Unbekannten mit Goldkettchen und Bierfahne angesprochen. Der Mann, der unheimlich gut über Jonas‘ Privatleben im Bilde ist, bietet ihm die Erfüllung dreier Wünsche an. Jonas nimmt den Kerl erst nicht ernst, wünscht sich dann aber doch – in maximaler Wunschökonomie – gleich mit dem ersten Wunsch die Erfüllung aller Wünsche. Es vergeht einige Zeit, nichts passiert. Doch dann bemerkt Jonas, dass zwischen seinen unbewussten Wünschen und den dramatischen Ereignissen in seiner Umgebung ein Zusammenhang bestehen könnte. Zunächst stirbt seine Frau, einfach so, an Herzversagen. Auch sonst mehren sich die mysteriösen Zufälle. Ein Mann wird vor seinen Augen von einem Lkw überfahren, ein Tankwart erschossen, ein Flugzeug, für das er gebucht hatte, fängt Feuer. Und ein halbes Wunder geschieht: Marie entscheidet sich nun doch für ein Leben mit Jonas. Ihr russischer Gatte ist urplötzlich nach Ossetien in den Kampf gezogen.

Schon im zweiten Teil des Romans wirkt die Klimax der Ereignisse, die teils an die Schauerromantik, teils an Hollywood-Apokalypsen erinnern, dann etwas ermüdend. Jonas‘ böse Ahnungen, Doppelgänger-Visionen und Alpträume werfen ihn immer mehr aus der Bahn. Schließlich suchen er und Marie ihr erotisches Glück am Meer. Die Utopie der Liebe wird zum letzten Rettungsboot in Jonas‘ strudelnder Welt. Bis zuletzt bleibt übrigens in der Schwebe, ob es sich bei Jonas‘ Sicht der Dinge um subjektive Wahrnehmung oder um „objektive“ Gegebenheiten handelt. Immer wieder formuliert Jonas Zweifel, ob die so genannte Wirklichkeit nicht nur eine Computersimulation, der Mensch nicht bloß eine Art Avatar in einer Welt ist, die von ganz anderen Mächten dirigiert wird. Im Gegensatz zur Undurchdringlichkeit des Simulacrums steht Jonas‘ geradezu faustischer Erkenntnisdrang: „Vor allem möchte ich verstehen! Ich will die Dinge und Verhältnisse verstehen, wenigstens ein wenig, ich verstehe sie nämlich nicht, ich habe von Grund auf nichts von der Welt verstanden, habe keine Antworten, und nichts außer weiterzuleben fällt mir ein.“

Thomas Glavinics Raffinesse besteht darin, die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse in einen unauffällig-harmlosen Erzählton zu verpacken. Dies gelingt vor allem durch knappe Hauptsätze, in die sich die zahlreichen, für den Glavinic-Sound typischen SMS-Botschaften camouflageartig einfügen. Leider geht dem „Leben der Wünsche“ aber der selbstironische Humor ab, der sonst zu den ausgewiesenen Stärken des Autors gehört. Ein wenig zu absehbar ist der märchenhafte Handlungsverlauf. Es überrascht nicht wirklich, dass dem Helden die eigenen Wünsche zu Knüppeln zwischen den Beinen werden. Und: Warum muss das Scheitern von Jonas‘ Lebensentwurf eigentlich gleich zum Weltuntergang führen? Apokalypsen können in Romanen wie erzähltechnische Notausgänge wirken.

Die Schwächen seines neuen Romans ändern allerdings nichts daran, dass der überaus fleißige (elf Romane!) Thomas Glavinic zu den begabtesten deutschsprachigen Autoren seiner Generation zählt. Dies bewies schon sein absolut souveräner Krimi „Der Kameramörder“ (2001) um einen rätselhaften Mord in der Steiermark, der via TV die ganze Welt beschäftigt und eine perfide Auflösung findet. Glavinics neuer Roman schließt thematisch an seine frühere Endzeitvision „Die Arbeit der Nacht“ (2006) an. Darin findet sich ein anderer (oder derselbe?) Jonas eines Tages ganz allein auf der Erde wieder. Die geheimnisvollen Veränderungen, die er jeden Morgen vorfindet, hat er selbst durch schlafwandlerisches Handeln in den Nächten verursacht – wie er zum eigenen Entsetzen eines Tages feststellt. Doch in diesem Buch war das Szenario rätselhafter und weit entfernt von konventionellen Erklärungsmustern. „Das Leben der Wünsche“ ist dagegen ein wenig eindimensional geraten.

Cover Thomas Glavinic Das Leben der Wünsche
Roman.
München: Hanser, 2009.
320 S.; geb.
ISBN 978-3-446-23390-4.

Rezension vom 30.11.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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