#Lyrik

das labyrinth erst erfindet den roten faden

Franz Josef Czernin

// Rezension von Stefan Schmitzer

Da gibt es also ein neues Buch von Franz Josef Czernin, erschienen bei Carl Hanser. Mit kaum 180 Seiten ein verhältnismäßig schlanker neuer Band Aphorismen, bringt es den Rezensenten aber umsomehr in Verlegenheit: Was soll ich über ein Buch noch schreiben, das von seinem Autor im Nachwort ausdrücklich mit seiner achtbändigen Sammlung „die aphorismen. eine einführung in die mechanik“ in Verbindung gestellt wird, als „antithetische Antwort auf die Aphorismen von 1992“ und von ihnen konzeptuell geschieden hauptsächlich durch Betonung des Uneindeutigen, nicht Klassifizierbaren, eben, so die Unterstellung, Organischen in der Vernetzung der einzelnen Aphorismen?

Was soll da noch zu sagen sein? Außer, daß es so komplex wie gewohnt (also sehr) zugeht? Daß wieder mal die Frage im Raum steht, wer das noch lesen soll, diese „Logiktrainer-Rätsel mit ehrwürdigen Inhalten“ (eine Freundin) – wer, aber vor allem, wozu? Muß wieder einmal konstatiert werden, Czernin sei eine singuläre Erscheinung in der österreichischen Literatur, Verfechter einer elitären Gattung, die auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat, soweit es das Publikum betrifft? Muß die Form Aphorismus selbst verteidigt werden, als Experimentierlabor der Arbeit an der Sprachgenauigkeit? Um dann hinzuzusetzen, so notwendig diese kleinen Zwitter aus Gedicht und Essay seien oder vielmehr mal gewesen seien, so unverständlich sei ihre Fortexistenz als Publikumskunst (das Ganze vielleicht angereichert durch einen kleinen Seitenhieb in Richtung staatlicher Kultursubventionierungsbemühung)?

Das alles kann gesagt werden und wird, auch ohne Erwähnung von Verkaufs- und ähnlich statistischen Zahlen, wohl nicht ganz daneben sein. Allein, es kann schlicht und ergreifend jedesmal gesagt werden, wenn ein Aphorismenband herauskommt, schon gar jedesmal, wenn vorne Czernin draufsteht. Und es entbindet uns – zumindest mich – nicht von der Notwendigkeit, uns trotz allem das einzelne Produkt zu Gemüte zu führen.

Das im vorliegende Fall – sehr treffend das labyrinth erst erfindet den roten faden genannt – allerdings weit weniger Widerstand bereitet als erwartet. Denn dankenswert schnell und eindeutig wird dem Leser klargemacht, womit er es zu tun hat. Durch eine Vielzahl von „Personae“ hindurch sedimentiert sich da Sprache, rund um die Schlüsselbegriffe „Körper“, „Wort“, „Gedicht“ und „Erkennen“. Vage ist eingangs die Versuchsanordnung eines Gesprächs angedeutet, eines Gesprächs zwischen Exponenten wie „poesie“, „karl valentin“, „gedicht“ oder „ökonomie“. Je länger man liest, umso unklarer wird auch die Gesprächssituation, umso mehr changieren die einzelnen Aphorismen: Sind sie „Wortmeldungen“ aus dem Mund von allegorischen Gestalten, Anmerkungen zu den ihnen nächsten Gliedern der Textkette, oder sind sie Kommentare eines „Mediators“ (eines, der die Mitte wahrt) zum jeweils Allegorisierten?

Zu sagen, es ginge in diesen Aphorismen darum, was eigentlich lyrische Sprache bewirken könne, anders: Welchen Stellenwert lyrische Schöpfung als Schöpfung habe, geht zwar nicht zu weit, aber wohl ein wenig am Ziel vorbei. Nur ein wenig, aber: Die genaue Beschreibung des Anliegens unterliegt ebenso dem Formprinzip des Labyrinthischen wie die einzelnen Sätze und Aussagen. Klar ist, daß hier lyrisches Sprechen als prototypisch für Sprechen überhaupt angenommen wird, unter dem Gesichtspunkt des Nie-restlos-zu-Deutenden, des unendlichen Regress, der als Forderung in allen Fragen nach Sprachverwendung lauert.

Czernin vertritt eine Art Katholizismus ohne Gott, landet immer wieder bei der Gegenüberstellung Körper/Gehirn/Seele, bei der unterstellten Unmöglichkeit, das „ich“ im „Gehirn“ zu verorten. Er arbeitet mit dem Begriff einer Seele, einer Beseeltheit der Welt, und unterwirft damit den ganzen Band gewissermaßen einem konjunktivischen Modus. „Als ob“ ist dementsprechend ein häufiges Glied seiner aphoristische Konstrukte, auch, wo vorgeblich ganz anderes behandelt wird. „Als ob“, das heißt auch: Als ob die Errungenschaften der Aufklärung beibehalten und an der Ich-Essenz festgehalten werden könnte. Gedankensplitter defilieren an uns vorbei, die klar dieses oder jedes Jahrzehnt der letzten hundertfünfzig Jahre evozieren, bezogen auf einen Zustand von geistiger Unrast, aber im „organischen“ Gesamtgebäude zu einer Ruhe gebettet, die keineswegs die eines Friedhofs ist.

Wo die Scholastiker mit dem Paradox der Existenz des Bösen angesichts des guten Gottes zu operieren wussten, da operiert Czernin mit den Paradoxa aufgeklärter, zumindest strukturalistisch überformter Sprachtheorie angesichts einer Seelenessenz, die immer wieder aus den Dingen leuchtet/spricht. Jedes Ding spricht „als ob“ es intrinische Eigenschaften hätte, die von außerhalb in die Sprache gekommen sind.
Welches Phänomen auch immer da „seinen“ Senf zur Czerninschen Sprachmetaphysik dazuzugeben eingeladen wird, es wird natürlich betrachtet als „Wunder“, in dem Sinne einer in sich ruhenden Monade, aus der sich Rede absondert, kein Fenster zwar, aber immerhin ein Einweg-Ausscheidungs-System. Alles ist Entität.
Natürlich ist alles Entität. Das darf er. Wir befinden uns auf dem Boden lyrischen Sprechens, lesen Aphorismen. Die funktionieren stets auch „als ob“, und ein Hauptgegenstand der vorliegenden Betrachtung, das Gedicht als solches, häufig auch. Das Problem daran ist indes nicht ein „Dürfen“ oder „Nicht dürfen“. Das Problem ist, daß so manches mögliche Sprechen innerhalb der Lyrik ebenso ausgeblendet bleibt wie so manches an den Bedingungen des lyrischen Subjekts (also Dichters). Daß also Czernin in seiner „einführung in die organik“ mindestens eine Erscheinungsweise des Organischen übersieht:
Soziale Realität, die der Sprache zugänglich ist? Rede von Veränderung? – Nix da. Wir befinden uns im Bereich dessen, was der Gesellschaft – dem Menschen – total, das heißt kunsthaft, in dialektischer Antithetik gegenübersteht. „Eigentlich ist nur so viel an Kunst möglich, wie Kunst zu einem bestimmten Zeitpunkt unmöglich gemacht wird“, um es mit Theo Adornos Worten zu sagen.

Czernin baut einen ganz, ganz neuen Überbau aus den Versatzstücken des alten. Einen glänzenden, artistischen. Wer das Lustwandeln in den luftigen Höhen genauer und feiner Sprachverwendung liebt, wie sie sich nicht aus dem Alltagsgebrauch, sondern aus den Ideentraditionen der letzten 500 Jahre ableitet; wer es genau nimmt mit der Bedeutung von Interjektionen und Konjunktivstufen; wem eine gewissermaßen bekiffte Neigung zur Deutung analogieschlußmäßig um den Horizont gelegter Makrostrukturen nicht fremd ist – nun, dem sei Czernins neues Buch von ganzem Herzen empfohlen.

Franz Josef Czernin das labyrinth erst erfindet den roten faden
einführung in die organik.
München, Wien: Hanser, 2005.
189 S.; geb.
ISBN 3-446-20578-0.

Rezension vom 21.03.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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