#Prosa

Das Haus

Ilse Helbich

// Rezension von Walter Wagner

Sie ist fünfundsechzig und kränklich und hat vor Kurzem ihre Eltern beerbt. Auf einer Reise durch die Wachau träumt sie plötzlich diesen uralten Traum aller Städter, nämlich ein Häuschen auf dem Land zu besitzen. Früher, kommentiert die Erzählerin, sei sie nirgendwo zu Hause gewesen. Nun soll ihr ein heruntergekommenes Anwesen in einem Dorf am Fuße des Manhartsberges zum heimlich ersehnten Refugium werden. Doch bevor der Herzenswunsch in Erfüllung gehen kann, muss die Protagonistin praktische Probleme in Angriff nehmen. Wie soll die Liegenschaft, in der sich einst die „Alte Post“ befand, wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt werden? Wer soll die Planung, wer die Realisierung der Arbeiten übernehmen? Und vor allem: Wie soll das durch lieblose Umbauten veränderte Objekt sein „befreites ursprüngliches Gesicht“ zurückbekommen?

Im Zuge der Restaurierung freundet sich die Dame mit den Einheimischen an, hört ihre Geschichten und beginnt, sich für die Vergangenheit des Dorfes zu interessieren. Zwar bleibt sie die Zugereiste, die Fremde, aber nach und nach wird sie Teil der dörflichen Gemeinschaft mit ihren Festen und Bräuchen. Dem alten Gemäuer hat die neue Besitzerin wieder Leben eingehaucht, und kaum hat sie sich darin behaglich niedergelassen, warten noch größere Herausforderungen auf sie …

Die Autorin erzählt die Geschichte einer nicht mehr jungen Frau und ihrer späten Liebe zu einem verfallenen Gebäude, von dem vernünftige Investoren lieber die Hände lassen. Allein ihrer Intuition folgend, wagt sie sich trotz schwacher Gesundheit und anfänglicher Skepsis in die ihr völlige neue Rolle der Bauherrin. Mit einer Schar von Helfern und dem nötigen Kapital schafft sie sich eine dauerhafte Bleibe und rettet zugleich eines der Wahrzeichen des Dorfes: die historische „Alte Post“.

Ergänzt wird die an Wechselfällen reiche Bauchronik durch einen zweiten, parallel laufenden Bericht, der von Ankunft und Heimischwerden handelt und das heikle Thema der Integration in einem ungewöhnlichen Licht erscheinen lässt. Die im Zentrum dieser Erzählung stehende Figur erfährt ihr Fremdsein nämlich als Städterin, die versucht, innerhalb fest gefügter ländlicher Strukturen ihren Platz zu finden. Die Wienerin stößt dabei auf den Argwohn der Einheimischen, die sich allerdings als recht generös erweisen und ihr rückblickend das Gefühl vermitteln, beschenkt worden zu sein. Mit dieser symbolischen Bringschuld lebt die Frau unter den Hiesigen, von denen sie lernt, dass sie zuvörderst Gast ist und dies lange bleiben wird. Wer Einlass in eine Gemeinschaft heischt, so die allegorische Lesart, hat sich folglich den herrschenden Ritualen und Regeln zu unterwerfen. Das begreift die Erzählerin, als ihr die Gartenhilfe Hedwig etwa bedeutet, dass an hohen Festtagen gewöhnlich Geschenke überbracht werden.

In praktischen Dingen, das merkt die frisch gebackene Besitzerin der „Alten Post“ rasch, vermag sie mit der Landbevölkerung nicht mitzuhalten. Dafür gewinnt sie mehr und mehr Einblick in die Vergangenheit dieses Ortes und des Platzes, auf dem ihr Haus steht. Ausgrabungsstücke, die bei den Umbauarbeiten zutage gefördert wurden, lässt sie von Experten bestimmen und datieren. Neugierig betreibt sie zudem lokalhistorische Studien, um zu erfahren, in welchem Boden sie im Begriff ist, Wurzeln zu schlagen.

In Berührung mit dieser Erde kommt sie freilich auch physisch, wenn sie ihren Garten gegen die wuchernde Natur verteidigt und sich solcherart mit Flora und Fauna anfreundet. Ilse Helbichs Buch enthält neben dem liebevollen Blick auf die Landschaft eine Vielzahl pastoraler Elemente, die in der Tradition von Vergils Eklogen stehen und vom friedvollen Leben auf dem Land künden. So kommt es, dass die Erzählerin immer seltener nach Wien fährt, um jäh an sich festzustellen, „wie sie immer sesshafter wird“.

„Wohin gehen wir? Immer nach Hause“ lautet das bekannte Zitat von Novalis. Und in der Tat flüstert uns Ilse Helbig im ruhigen Duktus ihres Stils diese simple Weisheit zu. Worum geht es? Um das schwierige Unterfangen, sich nicht nur sozial zu verorten, sondern einen topografisch definierbaren Ort zu finden, zu dem wir als Einzelne eine Beziehung ‚aufbauen‘ können. Wo modernes Nomadentum schick erscheint, plädiert die Autorin für die Rückkehr zu den Werten der Beständigkeit, der Häuslichkeit, der Innerlichkeit. Von daher rühren jene Passagen am tiefsten, wo der heitere Blick auf den Blüten und Früchten des Gartens ruht und schon vom Abschiednehmen kündet. Ihre Nachkommen würden dieses Haus eines Tages bewohnen und mit jüngeren Stimmen erfüllen, bemerkt die Erzählerin gelassen. Und in solchen Momenten kommt es ihr vor, „als wäre sie darin nie zuhause gewesen“. Schwerlich lassen sich versöhnlichere Worte für die Erfahrung existenzieller Unbehaustheit finden als jene, die Helbich in dieser stillen, klaren Prosa, gleichsam das Novalische Diktum paraphrasierend, an die Leser richtet. Wer, wenn er das Buch zugeschlagen hat, kann von sich schon behaupten, einen solchen Ort gefunden zu haben? Das Haus mag alle Heimatlosen dazu ermuntern, die Suche nicht aufzugeben.

Ilse Helbich Das Haus
Graz, Wien: Droschl, 2009.
144 S.; geb.
ISBN 978-3-85420-762-7.

Rezension vom 02.09.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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