#Prosa

Das gelbe Buch

Andreas Unterweger

// Rezension von Angelo Algieri

Es mutet wie ein verblichenes Polaroid-Bild an, mit einem Gelbstich versehen, in dem Geschichten der Kindheit erzählt werden. Eine Kindheit auf dem Land, eine Kindheit weit draußen, wo am Horizont die mythische und – so scheint es – unerreichbare Stadt Hoboken zu sehen ist. Menschen, Tiere und seltsame Wesen trifft man in dieser ländlichen Örtlichkeit. An einem Ort zwischen Realität und Fantastik – und doch so real. So wirklich, wie sich Kinder die Welt ausmalen, sie gar erleben. Solch einen Platz beschreibt das spielerisch-anmutende Gelbe Buch des gebürtigen Grazer Autors Andreas Unterweger. Es ist im Literaturverlag Droschl erschienen.

Über fünf Jahreszeiten erzählt der namenlose Ich-Erzähler über die Eigenheiten des gelben Landes, wo er aufgewachsen ist – jedoch erzählt er viel mehr von den anderen als von sich selbst. Meist dreht sich alles um die gleichaltrigen Präpubertären, etwa um einen Jungen, der Biber genannt wird. Dank seiner vorstehenden Schneidezähne und weil er jeden Morgen im gelben Fluss, der sich durch das Grundstück des gelben Hauses schlängelt, schwimmt. Außerdem ist er sehr genau, so dass er einen Brief nicht annimmt, weil in der Adresse statt Universum Universun steht. Auch für seine Blitz-Erkenntnisse ist er bekannt: „Es gibt auf der Welt keine verbisseneren Feinde als wie Begeisterung und Grammatik!“ Und natürlich kommt ein Bub wie Biber nicht ohne eine Liebesgeschichte aus: Er verliebt sich in das Türmchen-Mädchen. Doch zusammen zu passen scheinen sie nicht …

Nicht nur von Biber ist die Rede, sondern auch von Flora und Fauna um das gelbe Haus. Da gibt es etwa eine Tanne, die die größte im Ort zu sein scheint. Vom Auwald, über den der Waldläufer Bescheid weiß. Von unterschiedlichen Tieren: Wildschweinen, Fröschen (v. a. dem „Froschus Dorfis“), falschen Hasen bis hin zu Wolkenwalen und Zucchinischnecken.
Letztlich erzählt uns Andreas Unterweger eine Jungs-Geschichte, die teils an Fabeln und Märchen erinnert. Aber auch an die unendlichen Weiten von abenteuerlichen Prärien, wie wir sie etwa aus Karl Mays Winnetou oder Mark Twains Die Abenteuer des Huckelberry Finn kennen. Mit dem Unterschied allerdings, dass Unterwegers Text nicht weh tut. Die Geschichten, die er erzählt, sind im positiven (gelben) Licht geschrieben, harmlos und lebensbejahend. Eine Prosa, wie sie die Naive Kunst nicht hätte besser malen können. In beiden fehlen Schattierungen, zeigen sich keine Facetten, stellen sich (kindliche) Projektionen bzw. Wünsche dar. Unterweger positioniert sich mit diesem Text gegen das, was viele Rezensenten unter guter Literatur verstehen. Als einer dieser Rezensenten kann ich das zur Kenntnis nehmen, dokumentieren, ihn in ein neues Label setzen: Naive Literatur. Und anerkennend behaupten, dass Andreas Unterweger der Henri Rousseau der Literatur sei.

Bemerkenswert an diesem Buch ist die Struktur, die postmodern-spielerisch daherkommt. Die ersten sechs Großkapitel sind abwechselnd in 21 und 25 Unterkapitel eingeteilt. Neben der vorliegenden Anordnung des Textes kann man das Buch auch in anderer Reihenfolge lesen. Dank der unterschiedlich aufgelisteten Inhaltsverzeichnisse am Ende des Buches. Zwar ergibt eine neue Reihenfolge keine neue Perspektive, doch Unterweger ermuntert uns, auch eigene Inhaltsverzeichnisse zu erstellen.

Fazit: Das gelbe Buch von Andreas Unterweger legt eine unbekümmerte, heitere Kinheitsprojektion vor und führt damit gewissermaßen die Naive Kunst in die Literatur ein.

Das gelbe Buch.
Prosa.
Graz, Wien: Literaturverlag Droschl, 2015.
240 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85420-965-2.

Homepage des Autors

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 17.12.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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