#Roman

Das Fortbewegungsmittel

Hans Eichhorn

// Rezension von Judith Leister

Hans Eichhorn zu lesen ist ungefähr so, wie einer Windharfe zuzuhören oder einer Seifenblase nachzuschauen. Der Genuss liegt im Augenblick, nicht in der Dauer. Was einem diese Art von Lektüre zu geben in der Lage ist, hängt auch von der eigenen Gestimmtheit ab.

Hat man die Ruhe, durch Literatur etwas mit sich geschehen zu lassen, dann ist man hier richtig. Eher nicht geeignet sind die Werke des „Berufsfischers vom Attersee“ – so der Klappentext über den 1956 geborenen Autor – für Leute, die sich von einem Roman einen ordentlichen Plot und ein paar anständige Charaktere erwarten. Wer dauernd auf die Uhr sieht und seine Mails checkt, der wird auch mit Eichhorns neuem, tja, Roman Das Fortbewegungsmittel nicht glücklich werden.

Bereits über seine Charaktere kann sich dieser Erzähler mit sich selbst nicht einigen. Sie sollen Georg und Renate heißen, das immerhin steht recht bald fest. Die beiden, die sich noch nicht kennen, aber dem Leser in ständiger Erwartung eines gegenseitigen Kennenlernens präsentiert werden, könnten zum Beispiel ein Nichtraucher und eine Antialkoholikerin sein, sinniert es im Buch. Oder auch umgekehrt. Vielleicht wäre es aber auch passend, überlegt der Erzähler, wenn der eine nicht trinkt und die andere manchmal raucht. Woran sich die Frage anschließt, ab wann man eigentlich Nichtraucher ist. Ist man noch Nichtraucher, wenn man grundsätzlich nicht, aber ausnahmsweise doch einmal eine Zigarette raucht? Unter dem sanften Ansturm solcher Fragen löst sich die Eichhornsche Welt in viele Facetten milder Entscheidungsschwäche und wohltuender Nicht-Kategorisierbarkeit auf.

Renate und Georg haben jedoch ein gemeinsames Ziel vor Augen, dem sie hinterher laufen wie der Esel der berühmten Karotte. Beide streben eine Anstellung in einer Werbeagentur an. Nicht in irgendeiner Werbeagentur, sondern in einer, die im Auftrag einer Gedenkstätte, eines ehemaligen Vernichtungslagers, eine Marketingstrategie für höhere Besucherzahlen entwickeln soll. Bei diesem „Projekt“ wollen die in der Luft hängende Renate und der ebenso in der Luft hängende Georg unbedingt dabei sein, weil sie keine Arbeit hat und er mittellos ist. Spezifischer sind ihre Motive nicht.

Die Sache mit der zu vermarktenden Gedenkstätte ist natürlich eine contradictio in adjecto – obwohl es im wirklichen Leben selbstverständlich auch dafür Experten gibt. In „Das Fortbewegungsmittel“ setzt sich bei diesem Thema sofort der Diskurs in Gang, der das Thema Erinnerungskultur seit Jahrzehnten formt. Ein anonymes Gewissen fragt so schuldbewusst wie vorwurfsvoll, wer eigentlich gesellschaftlich-institutionell für den „Erinnerungskomplex“ zuständig sei, ob die Opfer nicht einer schmählichen Kommerzialisierung preisgegeben und die Besucher nicht automatisch zu Voyeuren werden.
Der Unmöglichkeit, hier eine einfache und allgültige Antwort zu geben, ist es vielleicht auch geschuldet, dass weder Renate noch Georg in diesem Roman je die Schwelle der Werbeagentur übertreten, geschweige denn die „Gratwanderung“, das ominöse Erinnerungsprojekt, in Angriff nehmen werden.

Hans Eichhorn Das Fortbewegungsmittel
Roman.
Wien, St. Pölten: Residenz, 2009.
160 S.; brosch.
ISBN 9783701715282.

Rezension vom 13.11.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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