#Roman

Das Erbe

Maria Czedik-Eysenberg

// Rezension von Simone Czelecz

Der Roman Das Erbe von Maria Czedik-Eysenberg setzt ein an einem Punkt des Lebens, an dem die Rückschau üblich ist und auch die Besinnung – mit dem Tod der Mutter der Protagonistin Laura. Diese Rückschau hält für Laura viele Rätsel, Überraschungen und Unannehmlichkeiten bereit. Die Menschen und die Schicksale zeigen sich plötzlich in einer völlig neuen Wahrheit. Einer Wahrheit, die nur wenige Tatsachen aufdecken kann, die jedoch Verblendungen verdeutlicht, Missurteile und Fehlinterpretationen aufzeigt.

Der Tod der Mutter kommt überraschend und unerwartet. „Die Mama war gestorben“, mit diesem ersten Satz, diesem unvermittelten Einstieg in die Geschichte, kommen die Geschehnisse ins Rollen. Laura lebt seit Jahren mit ihrem Mann in Mailand, in einer Ehe, die nur noch Funktion zu sein scheint. In ihrem Leben herrscht Wortlosigkeit und ein gleichgültiges Nebeneinander. Werden die Ereignisse Kraft genug erzeugen um eine Wandlung herbeizuführen?
Die Protagonistin macht sich auf nach Wien, in ihre Geburtsstadt. Mit Staunen stößt sie dort auf Reste des Lebens ihrer verstorbenen Mutter, die nicht in ihr Bild oder zu ihren Kenntnissen passen. Bei dieser Frau scheint es sich um einen fremden Menschen zu handeln. Die Mutter, die jahrelang durch ihren Schwiegersohn finanziell unterstützt wurde, war eine reiche Frau. Laura erbt ein kleines Vermögen und ein Mietshaus. Diese Frau, die Laura als ewig jammernde Mutter kannte, war eine geschickte Spekulantin.

Zentral ist die Thematik der Erinnerung, der Mutter-Kind-Beziehung und der schiefen Optik, welche Kinder in der Beziehung zu ihren Eltern haben (können). – Was auf Grund des Schweigens innerhalb dieser Familie nicht verwundert. Vor Laura deckt sich ein geheimes Leben der Mutter auf. Langsam, durch Begegnungen mit verschiedenen Bekannten, finden sich Stücke des Puzzles, ergibt sich das Bild eines Menschen, der Laura fremd ist. Sie kann sich kaum mit der Frage konfrontieren, ob ihre Mutter eine glückliche Frau war. Weder Glück noch Frau, weder Leidenschaft noch Verliebtheit sind Begrifflichkeiten und Befindlichkeiten, die sie mit ihrer Mutter in Verbindung bringen kann. So ist „Mutter“ also nicht ein Mensch, eine Frau mit einem eigenen Leben, mit Gefühlen. „Mutter“ ist Mutter und in Lauras Fall eine jammernde Mutter.
Die Tochter erfährt nun auch, dass sie nicht das leibliche Kind ihres geliebten Vaters ist, dass die Ehe ihrer Eltern eine arrangierte war, mit der ihr vermeintlicher Vater seinen Bruder von Schulden freikaufte. Ihre Familiengeschichte ist plötzlich eine völlig andere geworden. Laura stürzt in eine ziemliche Verwirrung, kann sich aber festhalten an einer Mieterin in ihrem geerbten Haus. Diese übernimmt nun eine neue Mutterrolle für Laura: kritisch, herausfordernd, aber auch unterstützend und liebevoll. Bei ihrem Sterben ist Laura dann eine ebenso liebevolle Tochter.

Ein weiterer Themenkomplex ist die „Wandlung des eigenen Lebens, der eigenen Persönlichkeit“. Laura wird von ihrer Umgebung eher als kleines Kind gesehen; nicht im Sinne einer kindlichen Neugier oder Freude, was positiv konnotiert wäre, sondern im Sinne von Passivität, fehlender Entscheidungsfreude, wenig Verantwortlichkeit. Nun sieht sie die Chance ihr Leben selbst zu gestalten, und sofort stürzt sie sich in ein Abenteuer. Es sind beinahe jugendliche Torheiten, die sie jetzt auslebt. Sie verliebt sich in einen jungen Aussteiger, der zwar eigene Pläne hat, doch Laura verlebt eine schöne Zeit. Und sie wird schwanger, worauf sie und ihr Mann all die Jahre vergeblich gehofft hatten. Was wird sie tun?
Bereit , endlich ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich scheiden zu lassen und in Wien ein „neues, selbständiges Leben“ zu beginnen, kommt ihr wieder das Schicksal in die Quere.
Hat sie sich verändert? Vielleicht ist sie sich ihrer Entscheidungen stärker bewusst und sieht die Konsequenzen ihres Tuns deutlicher. Das Erbe ist ein Buch, das eine Erwachsene einen Schritt ins Erwachsensein machen lässt.

Maria Czedik-Eysenberg schreibt ihre Geschichte in einer einfachen Sprache, treibt die Geschehnisse aber doch in eine Spannung hinein und in ein Wechselbad der Gefühle und Ereignisse. In vielen Dialogen eröffnet sie uns die Welten ihrer Protagonisten und lässt uns bei den Gesprächen gespannt lauschend dabei sitzen.

Maria Czedik-Eysenberg Das Erbe
Roman.
Wien: Czernin, 2005.
160 S.; geb.
ISBN 3-7076-0051-3.

Rezension vom 22.11.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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